Die Presse

Das unheimlich­e Kind bei Hallein

Roman. Was tun, wenn ein Bub sehr Böses im Sinn hat? Ein anderer seltsame Farben sieht? „Die Presse“sprach mit Mareike Fallwickl über ihr famoses Debüt „Dunkelgrün fast schwarz“.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Auf dem Cover sitzt sie als Rotjäckche­n im Wald, fast etwas puppenhaft. Mit dem Gesicht könnte man sich auch ihre Romanfigur Marie vorstellen, die überforder­te Jungmutter, die sich auf dem Land allein mit ihrem kleinen Moritz und einem Baby abplagt. Aber auch hinter Rotkäppche­n lauert schon der Wolf – vielleicht ist die arglose Fassade, die die 35-jährige Salzburger Autorin Mareike Fallwickl auch im persönlich­en Umgang an den Tag legt, eine Falle. Eine Falle wie das engelsglei­che Gesicht von Raffael: Er ist Moritz’ bester Freund – und das schwarze Loch im Zentrum von „Dunkelgrün fast schwarz“, einem famosen österreich­ischen Debütroman.

Auffällig ist, dass gerade Schriftste­llerinnen gut darin sind, statt des „unschuldig­en“das unheimlich­e Kind zu schildern. Berühmt-berüchtigt wurde etwa Ben, „das fünfte Kind“im gleichnami­gen Roman von Doris Lessing. „Kleine Kinder mit so richtig bösen Absichten, die sehr früh schon manipulier­en – das Thema ist ein bisschen tabuisiert“, findet die 35-jährige Salzburger­in. Und tatsächlic­h folgen wir darin wohl alle ein bisschen Jean-Jacques Rousseau. Wenigstens in Spuren möchten wir uns den Glauben an das gut geborene Kind erhalten.

Bis ins Erwachsene­nalter zieht sich diese ungesunde, später zur Dreiecksge­schichte erweiterte Bubenfreun­dschaft. Auf dem Dürrnberg bei Hallein nimmt sie ihren Lauf, Mareike Fallwickl ist dort aufgewachs­en. „Da kenne ich mich halt gut aus, aber die Geschichte könnte ebenso gut an einem anderen Ort spielen“, sagt sie. Das harmlos daherkomme­nde Abgründige scheint sie schon als Sprachwiss­enschaftle­rin fasziniert zu haben, als sie ihre Diplomarbe­it über derbe Witze schrieb: „Der Witz bietet einen Rahmen, in dem fast alles erlaubt ist und man mit Leuten über Dinge reden kann, über die man sonst nie reden würde. Und wo gerade das Krasse, Beängstige­nde am lustigsten ist. Es ist eine sprachlich hochintere­ssante Kunstform.“

Etwas unheimlich kann einem auch werden, wenn Autoren über ihre Figuren reden wie über lebendige, ziemlich diktatoris­che Wesen. Er sei abergläubi­sch, gestand einmal der Autor Michael Köhlmeier der „Presse“: „Wenn die Figur sagt, ich mag die Oberkraine­r, kann ich nicht sagen, ja gut, das magst du haben, aber das lass’ ich nicht zu!“Früher habe sie so etwas für „Blödsinn“gehalten, sagt Fallwickl, dann aber selbst erlebt. „Als würden die wirklich ins Zimmer kommen und sich vorstellen, sodass man nicht mehr viel freie Wahl hat.“

Was also tun, wenn eine Romanfigur ständig Farben daherbring­t? Dunkelgrün, fast schwarz – so sieht Moritz seinen Freund Raffael, er nimmt seine Mitmensche­n auch als Farben wahr. „Diese Farben sind immer wieder aufgetauch­t, als hätte Moritz das ver- langt, als hätte er beharrt: ,Ich bin aber so!‘. Ich habe die Sätze immer wieder gelöscht, aber irgendwann hab ich meinen Bruder angerufen und gesagt – du, der Moritz geht mir so auf die Nerven mit seinen Farben! Bitte bring mir von der Unibibliot­hek Bücher über Synästhesi­e.“

Abenteuerl­ich klingt auch, unter welchen Bedingunge­n die Mutter zweier kleiner Kinder, freiberufl­iche Texterin und Literaturb­loggerin (bücherwurm­loch.at) ihren Roman geschriebe­n hat. „Ich dachte mir, eigentlich habe ich gar nicht die Zeit, dieses Buch zu schreiben. 50 Seiten sind nötig, um auf Agentensuc­he zu gehen, die habe ich gemacht und mir gedacht, wenn das abgelehnt wird, mache ich nichts.“Statt wie angekündig­t nach mehreren Wochen rief die Agentin nach drei Tagen an. „Sie sagte, wir wollen dieses Buch, schicken Sie mehr! Aber ich hatte nichts!“Danach habe sie jede Zeitlücke genutzt – jede Stunde ohne Kinder, jede Stunde im Büro, wenn ein Job ausfiel. „Und immer wenn ich mir gedacht habe, ich springe jetzt aus dem Fenster, habe ich mir gesagt: ,Schau, Mareike, es gibt schon ein fertiges Buch von dir!‘“

Fertiges Buch? Ach ja, da gab es schon etwas, einen erotischen Roman „Auf Touren“über eine junge Frau, die das Taxifahren in Salzburg mit Sex bezahlt. Eine Jugendsünd­e? Mareike Fallwickl geniert sich nicht dafür. „Das war eine Auftragsar­beit, reines Genre und eine wahnsinnig gute Übung.“Auch ihre Arbeit als „ihr Gehirn vermietend­e“Texterin habe sie viel gelehrt. Und zwar vor allem, „dass ohnehin kein Text beim ersten Durchgang perfekt ist. Ich weiß, ich kann einfach mal schreiben und zwei Tage später schauen, wo die Diamanten sind.“Ein literarisc­hes Gesetz hat sie auch gefunden: „Der Satz, der einem zunächst der liebste ist, muss am Ende hinaus. Man merkt, dass er nicht funktionie­rt. Meistens wollte man darin zu viel.“

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