Kino-Selbstjustiz: Ein Fest für Waffennarren?
Film. Eli Roths Remake des Rachefilms „Death Wish“mit Bruce Willis steht im Schatten der aufgeheizten US-Waffendebatte in herber Kritik. Er ist mehrdeutiger, als man meinen könnte – doch bei Weitem nicht genug.
Die Schusswaffendebatte in den USA ist nach dem Parkland-Massaker so aufgeheizt wie lang nicht mehr. Donald Trump sorgte mit dem Vorschlag, Lehrer mit Gewehren auszustatten, um potenzielle Todesschützen abzuschrecken, für Empörung. Zeitgleich regte sich heftiger Widerstand gegen die NRA, Amerikas größte Waffenlobby. Der zweite Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, der „the right of the people to keep and bear arms“garantiert, war immer Auslegungssache – derzeit steht er schwer unter Beschuss.
Das Hollywoodstudio Metro-GoldwynMayer hätte sich wohl keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, um ein Remake des Siebzigerjahre-Selbstjustiz-Thrillers „Ein Mann sieht rot“(„Death Wish“im Original) zu veröffentlichen. Doch wenn man bedenkt, dass es ursprünglich 2017 starten hätte sollen und nur aufgrund des schockierenden Amoklaufs in Las Vegas nach hinten fiel, wird klar: Es gibt keinen „richtigen Zeitpunkt“mehr für diese Art von Film.
Die Vorlage von Michael Winner traf 1974 einen Nerv – und machte Charles Bronson zum Star. Er spielte darin einen friedfertigen Architekten, der sich nach der Ermordung seiner Frau und der Vergewaltigung seiner Tochter durch eine Bande von Großstadtpsychopathen aufmacht, die finsteren Straßen Manhattans mit dem Colt in der Hand vom Verbrechen zu säubern. Ein Großerfolg, nicht zuletzt dank hoher Kriminalitätsrate und zugehöriger Ängste – und ein Prototyp des urbanen Vigilantengenres.
Die Mehrheit der damaligen Kritiker (und Brian Garfield, der Autor der RomanBlaupause) sahen in „Death Wish“eine rechtsreaktionäre Fantasie. Dass der Film so ausgelegt werden kann, steht außer Frage: Selbst Donald Trump bemühte seine Aura im Pro-Waffen-Teil seines Präsidentschaftswahlkampfs. Dennoch ist er zweischneidiger als sein Ruf, das Psychogramm der Hauptfigur spart die Schattenseiten seines Wandels zum kaltblütigen Killer nicht aus – und das ikonische Schlussbild, in dem er pöbelnde Bahnhofsstrolche feixend mit dem Zeigefinger anvisiert, wirkt eher unheimlich als ermächtigend.
Die Fortsetzungen verzichteten weitgehend auf derartige Ambivalenzen. Allen voran Teil drei: Ein lustvoll überzogener StraßenkriegsCartoon, in dem Bronson den Bösen am Ende mit einer Bazooka durch die Hausmauer ballert. Das düstere Korrektiv dazu lieferte Horrorspezialist James Wan 2007 mit dem Kevin-Bacon-Vehikel „Death Sentence“, gleichfalls auf Basis eines Garfield-Buchs – dort sitzen der Rächer und sein Feind zum Schluss Seite an Seite, ausgeblutete Marionetten einer sinnlosen Gewaltspirale.
Vom Remake-Regisseur Eli Roth, der sich ebenfalls mit Horror einen Namen machte, hätte man sich eine Gratwanderung zwischen den Polen erhofft. Roth gilt als Experte für extreme Gewalt, doch seine Filme zeichnete stets ein satirischer Hintersinn aus – sie spielten mit den Erwartungen des Publikums, machten sich über die chauvinistische Überheblichkeit von US-Touristen im Ausland („Hostel“) ebenso lustig wie über die Blauäugigkeit liberaler Studentenaktivisten („The Green Inferno“). Eine rationalistische „Alle sind gleich dumm“-Haltung im Geiste des Spott-Zeichentricks „South Park“– deren Gleichgewicht sich im Zuge seiner letzten Arbeiten, ebenso wie bei besagter Serie, nach rechts zu verschieben begann. Und im neuen „Death Wish“, der von der US-Kritik vernichtet wurde und seit Donnerstag auch in Österreich läuft, muss man die subversiven Widersprüche bereits mit der Lupe suchen.
In die Bronson-Rolle schlüpft diesmal Bruce Willis (der mittlerweile, ganz wie sein Vorgänger am Karriereabend, vorwiegend durch B-Movies für die Action-Wühlkiste geistert): Er gibt einen sanftmütigen Chirurgen aus Chicago, der hauptsächlich damit beschäftigt ist, Leben zu retten – bis Einbrecher seine Frau töten und seine Tochter ins Koma schießen. Frustriert von polizeilicher Ineffizienz beschafft er sich eine Waffe und entwickelt sich im Sichtschutz eines Kapuzenpullis zum Selbstjustiz-„Sensenmann“, der von den Medien als Held der Nachbarschaft gefeiert wird. Irgendwann kommt er (im Unterschied zum Original) den Mördern seiner Frau auf die Spur – und eine persönliche Vendetta nimmt ihren Lauf.
Anfangs hält der Film seine Perspektive auf das Geschehen in der Schwebe, übt sich in provokanter Mehrdeutigkeit. Das brachiale Waffenmarketing in den USA wird ausgestellt, ebenso wie die Leichtigkeit, an Großkaliber zu kommen und sich via Internet die nötigen Nutzungskenntnisse anzueignen.
Gleichzeitig verkoppelt Roth die Rachesehnsucht des Helden mit dem Schwund traditioneller Männlichkeit (in einer Szene ärgert sich ein Cop über den gräulichen Geschmack eines glutenfreien Energieriegels) – die Jagd auf böse Buben wird für ihn zum therapeutischen Ventil. Doch der Endspurt verliert das alles aus den Augen und knallt nur noch blind durch die Gegend, ohne formal zu überzeugen. Das paranoide Finale lässt keinerlei Zweifel an der Berechtigung von Vigilantismus. Es sei denn, man liest es als augenzwinkernde Überaffirmation der Weltsicht schießfreudiger Waffennarren – doch im gegenwärtigen Diskursklima der USA wird das den meisten schwerfallen.