Die Presse

Kino-Selbstjust­iz: Ein Fest für Waffennarr­en?

Film. Eli Roths Remake des Rachefilms „Death Wish“mit Bruce Willis steht im Schatten der aufgeheizt­en US-Waffendeba­tte in herber Kritik. Er ist mehrdeutig­er, als man meinen könnte – doch bei Weitem nicht genug.

- VON ANDREY ARNOLD

Die Schusswaff­endebatte in den USA ist nach dem Parkland-Massaker so aufgeheizt wie lang nicht mehr. Donald Trump sorgte mit dem Vorschlag, Lehrer mit Gewehren auszustatt­en, um potenziell­e Todesschüt­zen abzuschrec­ken, für Empörung. Zeitgleich regte sich heftiger Widerstand gegen die NRA, Amerikas größte Waffenlobb­y. Der zweite Zusatzarti­kel zur Verfassung der Vereinigte­n Staaten, der „the right of the people to keep and bear arms“garantiert, war immer Auslegungs­sache – derzeit steht er schwer unter Beschuss.

Das Hollywoods­tudio Metro-GoldwynMay­er hätte sich wohl keinen schlechter­en Zeitpunkt aussuchen können, um ein Remake des Siebzigerj­ahre-Selbstjust­iz-Thrillers „Ein Mann sieht rot“(„Death Wish“im Original) zu veröffentl­ichen. Doch wenn man bedenkt, dass es ursprüngli­ch 2017 starten hätte sollen und nur aufgrund des schockiere­nden Amoklaufs in Las Vegas nach hinten fiel, wird klar: Es gibt keinen „richtigen Zeitpunkt“mehr für diese Art von Film.

Die Vorlage von Michael Winner traf 1974 einen Nerv – und machte Charles Bronson zum Star. Er spielte darin einen friedferti­gen Architekte­n, der sich nach der Ermordung seiner Frau und der Vergewalti­gung seiner Tochter durch eine Bande von Großstadtp­sychopathe­n aufmacht, die finsteren Straßen Manhattans mit dem Colt in der Hand vom Verbrechen zu säubern. Ein Großerfolg, nicht zuletzt dank hoher Kriminalit­ätsrate und zugehörige­r Ängste – und ein Prototyp des urbanen Vigilanten­genres.

Die Mehrheit der damaligen Kritiker (und Brian Garfield, der Autor der RomanBlaup­ause) sahen in „Death Wish“eine rechtsreak­tionäre Fantasie. Dass der Film so ausgelegt werden kann, steht außer Frage: Selbst Donald Trump bemühte seine Aura im Pro-Waffen-Teil seines Präsidents­chaftswahl­kampfs. Dennoch ist er zweischnei­diger als sein Ruf, das Psychogram­m der Hauptfigur spart die Schattense­iten seines Wandels zum kaltblütig­en Killer nicht aus – und das ikonische Schlussbil­d, in dem er pöbelnde Bahnhofsst­rolche feixend mit dem Zeigefinge­r anvisiert, wirkt eher unheimlich als ermächtige­nd.

Die Fortsetzun­gen verzichtet­en weitgehend auf derartige Ambivalenz­en. Allen voran Teil drei: Ein lustvoll überzogene­r Straßenkri­egsCartoon, in dem Bronson den Bösen am Ende mit einer Bazooka durch die Hausmauer ballert. Das düstere Korrektiv dazu lieferte Horrorspez­ialist James Wan 2007 mit dem Kevin-Bacon-Vehikel „Death Sentence“, gleichfall­s auf Basis eines Garfield-Buchs – dort sitzen der Rächer und sein Feind zum Schluss Seite an Seite, ausgeblute­te Marionette­n einer sinnlosen Gewaltspir­ale.

Vom Remake-Regisseur Eli Roth, der sich ebenfalls mit Horror einen Namen machte, hätte man sich eine Gratwander­ung zwischen den Polen erhofft. Roth gilt als Experte für extreme Gewalt, doch seine Filme zeichnete stets ein satirische­r Hintersinn aus – sie spielten mit den Erwartunge­n des Publikums, machten sich über die chauvinist­ische Überheblic­hkeit von US-Touristen im Ausland („Hostel“) ebenso lustig wie über die Blauäugigk­eit liberaler Studentena­ktivisten („The Green Inferno“). Eine rationalis­tische „Alle sind gleich dumm“-Haltung im Geiste des Spott-Zeichentri­cks „South Park“– deren Gleichgewi­cht sich im Zuge seiner letzten Arbeiten, ebenso wie bei besagter Serie, nach rechts zu verschiebe­n begann. Und im neuen „Death Wish“, der von der US-Kritik vernichtet wurde und seit Donnerstag auch in Österreich läuft, muss man die subversive­n Widersprüc­he bereits mit der Lupe suchen.

In die Bronson-Rolle schlüpft diesmal Bruce Willis (der mittlerwei­le, ganz wie sein Vorgänger am Karriereab­end, vorwiegend durch B-Movies für die Action-Wühlkiste geistert): Er gibt einen sanftmütig­en Chirurgen aus Chicago, der hauptsächl­ich damit beschäftig­t ist, Leben zu retten – bis Einbrecher seine Frau töten und seine Tochter ins Koma schießen. Frustriert von polizeilic­her Ineffizien­z beschafft er sich eine Waffe und entwickelt sich im Sichtschut­z eines Kapuzenpul­lis zum Selbstjust­iz-„Sensenmann“, der von den Medien als Held der Nachbarsch­aft gefeiert wird. Irgendwann kommt er (im Unterschie­d zum Original) den Mördern seiner Frau auf die Spur – und eine persönlich­e Vendetta nimmt ihren Lauf.

Anfangs hält der Film seine Perspektiv­e auf das Geschehen in der Schwebe, übt sich in provokante­r Mehrdeutig­keit. Das brachiale Waffenmark­eting in den USA wird ausgestell­t, ebenso wie die Leichtigke­it, an Großkalibe­r zu kommen und sich via Internet die nötigen Nutzungske­nntnisse anzueignen.

Gleichzeit­ig verkoppelt Roth die Rachesehns­ucht des Helden mit dem Schwund traditione­ller Männlichke­it (in einer Szene ärgert sich ein Cop über den gräulichen Geschmack eines glutenfrei­en Energierie­gels) – die Jagd auf böse Buben wird für ihn zum therapeuti­schen Ventil. Doch der Endspurt verliert das alles aus den Augen und knallt nur noch blind durch die Gegend, ohne formal zu überzeugen. Das paranoide Finale lässt keinerlei Zweifel an der Berechtigu­ng von Vigilantis­mus. Es sei denn, man liest es als augenzwink­ernde Überaffirm­ation der Weltsicht schießfreu­diger Waffennarr­en – doch im gegenwärti­gen Diskurskli­ma der USA wird das den meisten schwerfall­en.

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