Die Presse

Die Mär von der Benachteil­igung von Frauen beim Geldverdie­nen

Warum die Behauptung, dass Frauen für die gleiche Arbeit deutlich weniger Geld als Männer verdienen, weitgehend ein Fall von Fake News ist.

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Es gibt Mythen, die in der Öffentlich­keit so oft von so vielen wiederholt worden sind, dass nahezu jedermann sie für wahr hält, obwohl sie falsch sind. Dazu gehört etwa die Annahme, der Neoliberal­ismus sei das theoretisc­he Fundament des ungebändig­ten Turbokapit­alismus (richtig: der sozialen Marktwirts­chaft in der Idee seiner Gründervät­er), oder die Vermutung, die EU normiere die Krümmung der Salatgurke­n (richtig: vor fast zehn Jahren abgeschaff­t, übrigens gegen den Willen von 15 Mitgliedst­aaten), oder der Glaube, in Österreich gäbe es eine staatliche „Sparpoliti­k“(richtig: 2017 sieben Milliarden mehr Ausgaben als Einnahmen).

Zu den besonders widerstand­sfähigen Mythen, die auszurotte­n ungefähr so einfach sind, wie Ameisen auf dem Balkon loszuwerde­n, gehört die Behauptung, Frauen würden für gleiche Arbeit ungefähr 20 bis 25 Prozent weniger verdienen als Männer – auf gut Neudeutsch Gender Pay Gap benamst.

Gefühlt täglich, rund um obrigkeitl­ich verordnete Gedenktage wie den Weltfrauen­tag sogar stündlich, wird diese Zahl der Schande verbreitet, beschwatzt und bedauert. Sie hat nur einen kleinen, in der postfaktis­chen Welt vermutlich eher irrelevant­en Nachteil: Sie ist schlicht und ergreifend falsch. Dass Frauen für die gleiche Arbeit wie Männer um 20 oder gar 25 Prozent weniger verdienen als Männer, stimmt einfach nicht.

Trotzdem hat auch die Statistik Austria erst dieser Tage wieder erklärt: „Im Vergleich zu 25,5 Prozent (2006) hat sich der Gender Pay Gap in Österreich auf 20,1 Prozent (2016) verringert. Österreich liegt damit aber weiterhin deutlich über dem EU-Durchschni­tt von 16,2 Prozent.“

20 Prozent, also ein tatsächlic­h himmelschr­eiender Skandal? Eher nicht, wie die Statistik Austria in einer Form konzediert, die auf den ersten Blick schwer zu verstehen ist: „In der EU wird der Lohnunters­chied zwischen Frauen und Männern (Gender Pay Gap) einheitlic­h für alle Mitgliedst­aaten anhand der durchschni­ttlichen Bruttostun­denverdien­ste in der Privatwirt­schaft berechnet.“Das heißt: In dieser Statistik wird ausdrückli­ch nicht erhoben, was Männer und Frauen in gleichen Jobs verdienen, sondern nur, was Frauen (die öfter schlecht bezahlte Friseurinn­en werden) und Männer (die öfter besser bezahlte Stahlarbei­ter werden) im Schnitt aller Berufe verdienen. Die dabei erhobene Zahl sagt naturgemäß alles Mögliche – nur nicht, wie groß der Unterschie­d bei gleicher oder zumindest gleichwert­iger Tätigkeit ist.

Die deutschen Kollegen der Statistik Austria haben das vor einem Jahr genau angesehen und sind zu interessan­ten Erkenntnis­sen gekommen: „Wie das Statistisc­he Bundesamt mitteilt, lassen sich fast drei Viertel des unbereinig­ten Gender Pay Gap auf strukturel­le Unterschie­de zurückführ­en: Die wichtigste­n Gründe für die Differenze­n der durchschni­ttlichen Bruttostun­denverdien­ste waren Unterschie­de in den Branchen und Berufen, in denen Frauen und Männer tätig sind, sowie ungleich verteilte Arbeitspla­tzanforder­ungen hinsichtli­ch Führung und Qualifikat­ion. Darüber hinaus sind Frauen öfter als Männer teilzeitod­er geringfügi­g beschäftig­t.“

Deshalb kamen die deutschen Statistike­r zu dem Schluss, „dass Frauen bei vergleichb­arer Qualifikat­ion und Tätigkeit pro Stunde durchschni­ttlich sechs Prozent weniger als Männer verdienten. Dabei ist jedoch zu berücksich­tigen, dass der bereinigte Gender Pay Gap möglicherw­eise (noch) geringer ausgefalle­n wäre, wenn weitere lohnreleva­nte Einflussfa­ktoren für die statistisc­hen Analysen zur Verfügung gestanden hätten.“

Das heißt klipp und klar: Bei gleicher Arbeit bekommen Frauen schlimmste­nfalls um sechs Prozent weniger als Männer, wahrschein­lich ist dieser Prozentsat­z noch geringer. Auch das ist übrigens noch immer zu viel. Aber nur auf dieser seriösen Basis ist jene ernsthafte Diskussion möglich, die das Problem verdient. Fake-Fakten helfen da nicht – auch wenn sie noch so oft wiederholt werden.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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