Die Presse

Die große Show von Putin

Russland. Mit einer beispiello­sen Mobilisier­ungskampag­ne wollen die russischen Behörden die Bürger am 18. März zur Wahl bewegen. Nicht immer ist das legal. Die Technokrat­en im Kreml haben eine möglichst große Wahlbeteil­igung zum Ziel.

- Von unserer Korrespond­entin JUTTA SOMMERBAUE­R

Wie die russischen Behörden die Bürger mit allen Mitteln zur Wahl bewegen wollen.

Moskau. Geh’ wählen, bevor es zu spät ist – das ist die wenig subtile Botschaft eines Videoclips, der seit Mitte Februar im russischen Internet millionenf­ach angeklickt wurde. In dem dreiminüti­gen Film wird ein Durchschni­ttsrusse – Halbglatze, Bierbauch, Plattenbau­wohnung – mit seinen schlimmste­n Albträumen konfrontie­rt. Weil er am 18. März nicht zur Wahl gegangen ist, wird er in die Armee eingezogen (unter anderem von einem dunkelhäut­igen Soldaten!), der Sohn verlangt plötzlich Unsummen an Geld (die Hyperinfla­tion ist zurück), und in seiner Küche sitzt ein femininer Mann, der lasziv von einer Banane abbeißt: ein homosexuel­ler Single, der laut eines neuen Regierungs­programms von Familien ausgehalte­n werden muss, bis er wieder einen Partner hat. „Und wenn er niemanden findet, dann werdet ihr ein Paar“, sagt die Ehefrau trocken.

Mobilisier­ung mit allen Mitteln

Der homophobe Clip ist vielleicht der schrillste Mobilisier­ungsversuc­h für die Präsidente­nwahl am 18. März. Doch er ist bei Weitem nicht der einzige. Staatliche Stellen und ihre freiwillig­en Helfer überziehen das Land derzeit mit Aktivismus, der ein Ziel verfolgt: möglichst viele Wähler am kommenden Sonntag an die Urnen zu bewegen. Stars werben unter dem Hashtag „Die Wahlen sind dort, wo du bist“für die Teilnahme; für Selfie-Fotos aus dem Wahllokal winken begehrte Preise wie iPhones; Kinder fertigen in der Schule Zeichnunge­n an, die wohl eher an die Eltern gerichtet sind – und an deren staatsbürg­erliche Pflicht appelliere­n sollen. An mehreren Orten stimmt man am kommenden Sonntag in Referenden auch über andere Agenden ab.

Auch wenn der Sieger in dem ungleichen Wettkampf schon heute so gut wie feststeht, will Amtsinhabe­r Wladimir Putin doch in einer legitimen Wahl im Amt bestätigt werden. Möglichst viele der knapp 111 Millionen Wahlberech­tigten sollen ihre Stimme abgeben. Die Kalkulatio­n: Mehr Teilnehmer bedeutet auch mehr Zustimmung für Putin. Doch nicht immer nehmen es Verwaltung und mit ihr verbundene Strukturen bei der Agitation mit dem Gesetz so genau. Nichtregie­rungsorgan­isationen wie „Golos“sprechen gar von schweren Verstößen gegen die Wahlordnun­g.

Wie viele Bürger tatsächlic­h ihre Stimmzette­l in die Plastikbox­en werfen werden, ist der einzige wirkliche Unsicherhe­itsfaktor in diesem Wahlkampf und eine Frage, die den Polittechn­ologen des Kreml Kopfzerbre­chen bereitet. Zwar wollen laut der letzten Umfrage des Kreml-nahen Instituts Wziom 82 Prozent „sicher“oder „eher“teilnehmen. Doch ist das die Wahrheit? Oder geben die Befragten eine Antwort, die sie für gesellscha­ftlich akzeptabel halten?

Druck in Behörden und an Unis

Die Wahlbeteil­igung ist in den vergangene­n Jahren stetig gesunken – Ausdruck von Desinteres­se und der Überzeugun­g vieler, dass die eigene Stimme sowieso nichts entscheide­t. Ein Bedenken, das angesichts der offenen Manipulati­onen bei früheren Wahlen auch berechtigt erscheint. Die Interventi­onen der Behörden waren 2011/2012 so groß, dass sie zu einem Mitauslöse­r für die Protestwel­le wurden. Der Kreml, der Unruhen unbedingt verhindern will, hat daraus gelernt: Die Staatsmach­t befürworte­t jetzt transparen­te Wahlen.

So wirbt die Zentrale Wahlkommis­sion (ZIK) in einer beispiello­sen Kampagne für die Wahlteilna­hme. „Unser Land, unser Präsident, unsere Wahl“steht auf Plakaten und in TV-Einschaltu­ngen. ZIK-Mitarbeite­r ziehen von Haus zu Haus und informiere­n über die nächstlieg­enden Lokale. „Wir begrüßen, dass der Staat über die Wahlen informiert“, sagt Grigorij Melkonjanz, Vizechef von Golos. Doch dabei bleibt es nicht.

In staatliche­n oder staatsnahe­n Unternehme­n, in Behörden und an Universitä­ten setzt man wie früher abhängige Mitarbeite­r unter Druck und verletzt deren Recht auf eine freie, geheime Wahl. Wie Golos in einem Bericht anhand vieler Beispiele dokumentie­rt, rufen Chefs ihre Angestellt­en nicht nur zur Stimmabgab­e auf; in Listen müssen diese angeben, wo sie abstimmen werden. Aufgrund einer Gesetzesän­derung dürfen die Bürger Wahllokale auch unabhängig vom Wohnort aussuchen. Dieses Instrument, das die Partizipat­ion erleichter­n soll, könnte von Vorgesetzt­en missbrauch­t werden, befürchtet Melkonjanz. „Da könnte jemand stehen und kontrollie­ren, ob alle Mitarbeite­r kommen“, sagt der Experte und fügt hinzu: „In Russland gibt es bei jeder Wahl behördlich­en Druck, der unterschie­dliche Formen annimmt.“

TV-Debatten ohne Putin

Einen großen Haken hat die Mobilisier­ungskampag­ne. Dem Wahlkampf fehlt es an Themen, an Relevanz, an Gewicht. Bürger sollen zu einer Abstimmung gehen, „die fast keinen Inhalt hat“, sagt Melkonjanz. Dass es so gut wie nichts zu verhandeln gibt, zeigen auch die TV-Debatten, an denen die Herausford­erer Putins teilnehmen, jedoch nicht der amtierende Präsident. Statt zur Prime Time am Abend werden sie am Morgen übertragen, Gespräche zwischen den Teilnehmer­n sind in dem starren Format nicht vorgesehen – nur kurze Antworten. Aufsehen erregte einzig, als Ksenia Sobtschak dem schimpfend­en Wladimir Schirinowk­sij ein Glas Wasser über den Anzug kippte. „Die Kandidaten sehen lächerlich aus“, sagt Melkonjanz. „Am besten kommt der weg, der nicht teilnimmt.“Putin eben.

Noch etwas haben die Behörden von ihren Kritikern gelernt: Am Wahltag werden Tausende Beobachter in den Wahllokale­n sitzen. Der Großteil davon werden „loyale“Mitarbeite­r der Verwaltung oder Aktivisten staatsnahe­r Nichtregie­rungsorgan­isationen sein. Hingegen wird die Arbeit unabhängig­er Beobachter durch restriktiv­e Gesetze erschwert.

So hat das ZIK die Beobachter von Golos und des nicht zugelassen­en Kandidaten Alexej Nawalny vorerst nicht akkreditie­rt. Melkonjanz spricht von einer „Illusion der massenhaft­en Beobachtun­g“.

 ?? [ Reuters ] ?? Wladimir Putin macht sich im Wahlkampf rar. Er zeigt sich oft nur bei Kurzauftri­tten – wie in der neuen Fußballare­na.
[ Reuters ] Wladimir Putin macht sich im Wahlkampf rar. Er zeigt sich oft nur bei Kurzauftri­tten – wie in der neuen Fußballare­na.

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