Gasleitung als Strafe für die Ukraine
Gasleitung. Die EU bezweifelt, dass Europa die strittige russische Gasleitung wirklich braucht. Als größter Energiekunde weltweit verdiene sie beste Preise ohne politische Fallstricke, sagt Maroˇs Sefˇˇcoviˇc, Vizepräsident der EU-Kommission.
Interview mit EUKommissionsvize Marosˇ Sefˇcoviˇcˇ zum Projekt Nord Stream 2.
Die Presse: Kaum ein Projekt in der EU wird so kontrovers diskutiert, wie die geplante russische Gaspipeline Nord Stream 2. Österreich ist für das Projekt, die OMV finanziert es sogar mit. Soll Nord Stream 2 gebaut werden? Marosˇ Sefˇcoviˇc:ˇ Wenn die Pipeline kommt, dann müssen die Gesetze der EU auf unserem Gebiet für sie gelten. Die beste Lösung ist zu verhandeln, wie das geschehen kann. Von den Befürwortern heißt es oft, dass die Gasleitung ein rein kommerzielles Projekt ist. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich noch nie ein kommerzielles Projekt gesehen habe, das so viele Staatsund Regierungschefs beschäftigt hat wie dieses. Bei Nord Stream 2 geht es nicht nur um das Geschäft. Das Projekt hat eine sehr politische und spalterische Natur.
Weil die EU fürchtet, dass die Ukraine als Transitland umgangen werden könnte? Als das Projekt angekündigt wurde, hat Russland deutlich gemacht, dass es als Strafe für die Ukraine gedacht ist. Jetzt hilft die EU der Ukraine auf der einen Seite mit Milliarden Euro an Strukturförderungen wieder auf die Beine, und auf der anderen Seite sollen wir ein Projekt unterstützen, das dem Land zwei Milliarden an Transitgebühren nimmt? Zum Glück gibt es in der EU aber einen Konsens, dass der Transit durch die Ukraine auch nach 2019 für die EU Priorität hat. Auch Österreich und Deutschland sehen das so. Und wir hören zunehmend Stimmen aus Russland, die einräumen, dass der Transitweg durch die Ukraine erhalten bleiben sollte.
Kann es der EU nicht egal sein, über welchen Weg das russische Gas zu uns kommt? Nein. Für uns hat der Transit durch die Ukraine auch aus Gründen der Diversifizierung strategische Bedeutung. Etliche Unternehmen aus der EU stehen bereit, um den Transit zu übernehmen und sicherzustellen, dass EU-Regeln eingehalten werden, Lieferungen reibungslos ankommen und Entwicklungsbanken für die Renovierung des Leitungsnetzes bezahlen. Vor allem aber ist es ein wichtiges Signal an die Ukraine. Aber auch ein Signal an alle osteuropäischen EU-Mitglieder, die mehr für russisches Gas bezahlen als Westeuropa, obwohl sie geografisch näher sind.
Heißt das also, Nord Stream 2 braucht es nicht? Wir wollen verhandeln, aber erst muss klar sein, dass es letztlich unser Recht ist, das gilt.
Sie haben vorgeschlagen, die EUGasmarktrichtlinie zu ändern, um Offshore-Pipelines wie die Nord Stream 2 den EU-Regeln zu unterwerfen. Nord-Stream-2Chef Matthias Warnick meint, das würde das Projekt töten, weil Gazprom nicht länger Eigentümer und Lieferant sein könnte. Das stimmt so nicht. Es gibt einen Grund, warum wir das vorgeschlagen haben. Wir wollen klarstellen, dass das dritte Energiepaket der EU voll auf Pipelines anwendbar ist, die durch das Territorium von EU-Mitgliedern gehen. Mehr als die Hälfte aller EU-Staaten fordern diese Änderung. Denn was ist die Alternative? Baut das Konsortium die Pipeline jetzt, hat sie umgehend Klagen von EU-Staaten, NGOs und Unternehmen am Hals. Wir bieten Verhandlungen, an deren Ende zumindest Rechtssicherheit herrschen wird. Wir müssen auch darüber diskutieren, was es heißt, wenn weiter Gas durch die Ukraine in die EU fließt. Wie viele Pipelineprojekte brauchen wir noch? Gibt es nicht die Gefahr von kostspieligen „stranded investments“?
Was denken Sie? Braucht Europa noch mehr russisches oder etwa mehr amerikanisches Gas? Nach unserer Analyse wird die EU im Jahr 2030 gut 400 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbrauchen. Das ist etwa das Niveau von heute. Gleichzeitig wissen wir, dass die Vorkommen in der Nordsee zur Neige gehen. Wir werden also mehr von Drittstaaten importieren als heute. Als Kunde, der eine Milliarde Euro am Tag für Energie ausgibt, verdienen wir den besten Preis, die beste Qualität und keine politischen Fallstricke. Russland wird der größte Lieferant bleiben. Aber daneben gibt es Norwegen, Algerien, erste Lieferungen von Flüssiggascargos und das, was Experten das „neue Norwegen“nennen, große Gasvorkommen zwischen Zypern und Israel. Hier liegt unsere Versorgungssicherheit.
Fans der Energiewende meinen ja, nur der komplette Verzicht auf fossile Brennstoffe könne Europa diese Sicherheit geben. Europa hat die mit Abstand ambitioniertesten Ziele, wenn es um das Thema CO2-Reduktion geht. Wir sind die einzige Wirtschaft, die sich bis 2030 verpflichtet hat, den Klimawandel zu bekämpfen. Was wir erleben, ist die tiefste Veränderung des Energiesystems, seit es vor 120 Jahren auf Basis von Öl und Gas aufgebaut wurde. 2030 werden wir auch in unseren pessimistischsten Szenarien 70 Prozent Strom ohne CO2 haben.
Gleichzeitig erlaubt Brüssel nationale Förderungen für Kohleund Gaskraftwerke in sechs Staaten. Ist das kein Widerspruch? Bis 2020 soll die EU 20 Prozent weniger CO2 emittieren, 20 Prozent grünen Strom haben und 20 Prozent effizienter mit Energie umgehen. Zwei der drei Zielen werden wir erfüllen. Nur bei der Energieeffizienz wird es knapp. Ich bin auch zuversichtlich, dass wir die ambitionierteren Ziele bis 2030 erreichen werden. Die nationalen Kapazitätsmechanismen, die Sie ansprechen, sind notwendige Sicherungen, um die Stromversorgung in den einzelnen Ländern sicherzustellen, und werden erst nach strengen Tests gestattet. Profitieren können übrigens nicht nur fossile Kraftwerke, sondern auch Erneuerbare. Wir wünschen uns hier aber noch strengere Regeln.