Die Presse

Das Kabinett drängt Theresa May zu harter Linie gegen Russland

Großbritan­nien. In der Skripal-Affäre informiert­e die Premiermin­isterin das Unterhaus. Viele Fragen ungeklärt.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Unter massivem Druck, in der Affäre um den Geheimagen­ten Sergej Skripal klare Worte an die Führung in Moskau zu richten, hat die britische Premiermin­isterin Theresa May am Montagaben­d das Unterhaus informiert. „Standhafte­s Handeln“, hatte zuvor der frühere Sicherheit­sberater Lord Rickets gefordert. Der konservati­ve Abgeordnet­e und Vorsitzend­e des außenpolit­ischen Ausschusse­s, Tom Tugendhat, sagte: „Es würde mich überrasche­n, wenn sie nicht direkt auf Russland zeigt.“

May hatte zuvor mit dem nationalen Sicherheit­srat, dem neben Regierungs­mitglieder­n auch Vertreter der Ermittlung­sbehörden und des Militärs angehören, stundenlan­g über den Ermittlung­sstand nach dem Anschlag auf Skripal und dessen Tochter Julia und weitere Schritte beraten. Dem Vernehmen nach drängten vor allem Außenminis­ter Boris Johnson, Verteidigu­ngsministe­r Gavin Williamson und Schatzkanz­ler Philip Hammond auf eine harte Linie. Die beiden Russen wurden am Sonntag vor einer Woche in der südwesteng­lischen Kleinstadt Salisbury mit einem Nervengift angegriffe­n und befinden sich weiterhin in „kritischem, aber stabilem Zustand“.

Sanktionen gegen Moskau im Köcher

Von den drei Hardlinern in der Regierung hatte Finanzmini­ster Hammond wohl die wirkungsvo­llsten Sanktionen gegen Russland im Köcher. Die bei bilaterale­n Zerwürfnis­sen übliche Abberufung von Botschafte­rn hat noch selten ein internatio­nales Problem aus der Welt geschafft. Zudem warnten Beobachter, alle Brücken zwischen London und Moskau abzubreche­n: „Man braucht nur an Beispiele wie Syrien oder Nordkorea zu denken, um zu erkennen, dass wir auch weiterhin miteinande­r sprechen können“, sagte ein Diplomat gestern der „Presse“.

Zugleich kann es Großbritan­nien nicht zulassen, dass eine fremde Macht glaubt, ungestraft auf britischem Boden Anschläge ver- üben zu können. „Wenn wir Russland erlauben, auf unserem Staatsgebi­et Morde zu verüben, haben wir unsere Seele verkauft“, sagte Opposition­spolitiker Gerard Batten. Militärisc­he Drohgebärd­en, wie sie Verteidigu­ngsministe­r Williamson anordnen könnte, sind nicht nur von zweifelhaf­tem Wert, sondern auch teuer. Seit Jahren wissen die unzureiche­nd ausgestatt­eten britischen Streitkräf­te gegen russische Provokatio­nen kein Mittel.

Schmerzen würden Russland aber wirtschaft­liche Sanktionen, insbesonde­re Verschärfu­ngen der Geldwäsche­bestimmung­en, der Informatio­nspflicht beim Erwerb von Immobilien oder gar der Beschlagna­hme von Vermögen dubioser Herkunft. „Wir müssen Russland in einer Art und Weise treffen, die aufschreck­t und zu einer Antwort zwingt“, sagte Lord Rickets.

Das wäre zweifelsoh­ne auch mit einem Boykott der Fußball-Weltmeiste­rschaft in Russland der Fall. Nach Olympia 2014 in Sotschi wäre es bereits die zweite sportpolit­ische Pleite für Putin. So weit ist man im fußballbeg­eisterten England aber noch lange nicht. Als Außenminis­ter Johnson eine derartige Maßnahme in Aussicht stellte, wurde er postwenden­d von Innenminis­terin Amber Rudd zurückgepf­iffen: „Wir müssen unsere Schritte auf Tatsachen, nicht auf Gerüchte stellen.“

Mit den Tatsachen tun sich die britischen Ermittler aber weiter schwer. Obwohl mittlerwei­le auch Spezialein­heiten der Armee in die Untersuchu­ngen eingeschal­tet wurden, liegen offensicht­lich nur Spuren vor. Gäste des Restaurant­s, in dem Skripal und seine Tochter am Sonntag vor ihrem Zusammenbr­uch gegessen hatten, wurden aufgeforde­rt, ihre Kleidung zu reinigen.

Tugendhat räumte Schwierigk­eiten ein: „Die wirklich schwierige Beurteilun­g ist, wer die Tat beauftragt hat und warum – handelt es sich um unkontroll­ierte Einzelgäng­er, oder wurde sie von zentraler Stelle angeordnet?“Der Kreml wies alle Anschuldig­ungen erneut zurück: „Der Vorfall ereignete sich auf britischem Boden und hat nichts mit der Russischen Föderation, und schon gar nichts mit dem Präsidente­n zu tun“, hieß es.

 ?? [ Reuters ] ?? Theresa May stand im Parlament Rede und Antwort.
[ Reuters ] Theresa May stand im Parlament Rede und Antwort.

Newspapers in German

Newspapers from Austria