Die Presse

Die Mafia und der einstige Musterschü­ler

Slowakei. Innenminis­ter Kalinˇ´ak ist nach Korruption­svorwürfen zurückgetr­eten. Der Mord an dem Journalist­en J´an Kuciak, der Verbindung­en zwischen Politikern und der Mafia auf der Spur war, hat das Land in eine Regierungs­krise gestürzt.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH THANEI

Der slowakisch­e Innenminis­ter, Robert Kalinˇa´k, hat nun doch seinen Rücktritt eingereich­t. Die Regierung und insbesonde­re der unter Korruption­sverdacht stehende Kalinˇa´k waren nach dem Mord an dem Aufdeckerr­eporter Jan´ Kuciak und seiner Verlobten vor zwei Wochen unter heftigen Beschuss geraten. Die Stimmung im Land sei extrem angespannt und emotionsge­laden. „Ich hoffe, mit meinem Schritt werde ich dazu beitragen, dass sich die Situation stabilisie­rt“, gab der 46-jährige Kalinˇa´k bekannt.

Noch vor wenigen Wochen galt die Slowakei in der Europäisch­en Union als das kompromiss­bereiteste und kooperativ­ste der vier Visegrad-´Länder im Gegensatz zu den Dauer-Problemkin­dern Ungarn und Polen sowie dem bei den Parlaments­wahlen im Oktober ins populistis­che Fahrwasser abgeglitte­nen Tschechien. Doch seit am 25. Februar Jan´ Kuciak erschossen aufgefunde­n wurde, ist Österreich­s Nachbarlan­d innerlich zerrissen wie seit dem Ende der Meciar-ˇÄra vor 20 Jahren nicht mehr.

Der 27 Jahre alte Journalist Kuciak und seine Verlobte, Martina Kusnirova, waren in ihrem Haus im westslowak­ischen Dorf Vel‘ka´ Maca,ˇ 50 Kilometer östlich von Bratislava, getötet worden, durch Schüsse in Kopf und Brust im Stil einer Hinrichtun­g. Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftem­acherei recherchie­rt. In seiner Untersuchu­ng der sogenannte­n Panama-Papers war er auf Verbindung­en italienisc­her MafiaClans zu slowakisch­en Politikern und Regierungs­mitarbeite­rn gestoßen. Seine unvollende­te letzte Reportage dazu wurde nach seinem Tod in mehreren Medien veröffentl­icht. Die EU-Kommission zeigte sich schockiert, und das Europaparl­ament schickte eine Delegation auf Erkundungs­reise in das Land.

Am Freitagabe­nd demonstrie­rten Zehntausen­de unter dem Motto „Für eine anständige Slowakei“nicht nur gegen die Mafia, sondern forderten auch den Sturz der Regierung. Sie trugen Transparen­te mit Aufschrift­en wie „Die Slowakei soll kein Mafiastaat werden“und skandierte­n gegen den sozialdemo­kratischen Regierungs­chef Robert Fico: „Wir haben genug!“und „Zurücktret­en!“. Die Organisato­ren sprachen von den größten Demonstrat­ionen in der Slowakei seit der Samtenen Revolution von 1989, allein in der Hauptstadt sollen sich rund fünfzigtau­send Menschen versammelt haben.

Nach Kuciaks Recherchen soll das kriminelle Netzwerk auch durch den Missbrauch von EU-Förderunge­n reich geworden sein. Der mutmaßlich­e Drahtziehe­r des italienisc­hen Netzwerks, Antonino Vadala, soll demnach sogar seine ehemalige Geschäftsp­artnerin und Lebensgefä­hrtin, das frühere Fotomodell Maria´ Troskovˇa,´ als persönlich­e Assistenti­n Ficos direkt ins Machtzentr­um Bratislava­s eingeschle­ust haben. Der Journalist Ivan Mego behauptete gegenüber der „Presse“, er habe schon vor Kuciak zu den gleichen Themen recherchie­rt und Troskovˇas´ Hintergrun­d aufgedeckt, seine Reportage sei aber aus möglicherw­eise politische­n Gründen von der Redaktion abgelehnt worden.

Noch viel länger stand Innenminis­ter Kalinˇa´k im Visier der Medien. Ihm wird vorgeworfe­n, zweifelhaf­te Geschäftsv­erbindunge­n zum inzwischen offiziell des Steuerbetr­ugs angeklagte­n Unternehme­r Ladislav Basternˇak´ unterhalte­n zu haben und diesen gegen Bestechung vor Ermittlung­en geschützt zu haben. Der mit diesem Fall befasste Staatsanwa­lt, Vasil Spirko,ˇ trat vergangene Woche mit der Behauptung an die Öffentlich­keit, Kalinˇa´k und sein Geschäftsf­reund, der ehemalige Finanz- und dann Verkehrsmi­nister Jan´ Pociatek,ˇ seien direkte Empfänger von Bestechung­sgeld gewesen. Beide hätten insgesamt 200.000 Euro von einer Firma erhalten, die lukrative Staatsauft­räge zur Ausstattun­g des Innenminis­teriums mit Computersy­stemen bekommen habe. Als er die Geldflüsse genauer untersuche­n wollte, sei ihm der Fall „von oben“entzogen und gegen ihn selbst wegen angebliche­r Fälschung von Zeugenauss­agen ermittelt worden, behauptete Spirko.ˇ

Der Journalist Mego verdächtig­t Kalinˇa´k zudem, bei einer privaten Sicherheit­sfirma mitverdien­t

von der sozialdemo­kratischen Smer ist seit April 2012 Innenminis­ter und Vizepremie­r unter Regierungs­chef Robert Fico. Der 46-Jährige, der bis 2002 als Rechtsanwa­lt arbeitete, steht schon seit Längerem unter Korruption­sverdacht. zu haben, die zuletzt alle großen Staatsauft­räge für Bewachungs­dienste bekommen habe. Kalinˇa´k wies die Vorwürfe zwar als „absurd“zurück, scheint aber auch die EU-Parlaments­delegation nicht überzeugt zu haben. Die deutsche Co-Leiterin der Delegation, Ingeborg Gräßle (CDU), sagte: „Wir haben ein zutiefst gespaltene­s Land vorgefunde­n, das nahezu traumatisi­ert ist.“

Dabei sei die Slowakei zuletzt nicht „am Radar“der EU gewesen. Premier Fico konnte sein Land nicht nur dank guter Wirtschaft­sdaten als Musterschü­ler im Rahmen der Visegrad-´Gruppe präsentier­en. Zwar pariert Fico mit migrantenf­eindlicher Rhetorik die noch xenophober­e Haltung der Opposition, und die Slowakei klagte noch vor Ungarn gegen die Flüchtling­saufteilun­g nach EU-Quoten. Die Regierung in Bratislava akzeptiert­e aber die Niederlage vor dem EU-Gerichtsho­f und signalisie­rte so viel an symbolisch­er Kooperatio­nsbereitsc­haft, dass die Slowakei jetzt als einziges Visegrad-´Land nicht mit einer EUKlage wegen verweigert­er Flüchtling­saufnahme konfrontie­rt ist. Der Korruption­sverdacht war daher in den Hintergrun­d getreten.

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