Die Mafia und der einstige Musterschüler
Slowakei. Innenminister Kalinˇ´ak ist nach Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Der Mord an dem Journalisten J´an Kuciak, der Verbindungen zwischen Politikern und der Mafia auf der Spur war, hat das Land in eine Regierungskrise gestürzt.
Der slowakische Innenminister, Robert Kalinˇa´k, hat nun doch seinen Rücktritt eingereicht. Die Regierung und insbesondere der unter Korruptionsverdacht stehende Kalinˇa´k waren nach dem Mord an dem Aufdeckerreporter Jan´ Kuciak und seiner Verlobten vor zwei Wochen unter heftigen Beschuss geraten. Die Stimmung im Land sei extrem angespannt und emotionsgeladen. „Ich hoffe, mit meinem Schritt werde ich dazu beitragen, dass sich die Situation stabilisiert“, gab der 46-jährige Kalinˇa´k bekannt.
Noch vor wenigen Wochen galt die Slowakei in der Europäischen Union als das kompromissbereiteste und kooperativste der vier Visegrad-´Länder im Gegensatz zu den Dauer-Problemkindern Ungarn und Polen sowie dem bei den Parlamentswahlen im Oktober ins populistische Fahrwasser abgeglittenen Tschechien. Doch seit am 25. Februar Jan´ Kuciak erschossen aufgefunden wurde, ist Österreichs Nachbarland innerlich zerrissen wie seit dem Ende der Meciar-ˇÄra vor 20 Jahren nicht mehr.
Der 27 Jahre alte Journalist Kuciak und seine Verlobte, Martina Kusnirova, waren in ihrem Haus im westslowakischen Dorf Vel‘ka´ Maca,ˇ 50 Kilometer östlich von Bratislava, getötet worden, durch Schüsse in Kopf und Brust im Stil einer Hinrichtung. Kuciak hatte über die Verfilzung von Politik und Geschäftemacherei recherchiert. In seiner Untersuchung der sogenannten Panama-Papers war er auf Verbindungen italienischer MafiaClans zu slowakischen Politikern und Regierungsmitarbeitern gestoßen. Seine unvollendete letzte Reportage dazu wurde nach seinem Tod in mehreren Medien veröffentlicht. Die EU-Kommission zeigte sich schockiert, und das Europaparlament schickte eine Delegation auf Erkundungsreise in das Land.
Am Freitagabend demonstrierten Zehntausende unter dem Motto „Für eine anständige Slowakei“nicht nur gegen die Mafia, sondern forderten auch den Sturz der Regierung. Sie trugen Transparente mit Aufschriften wie „Die Slowakei soll kein Mafiastaat werden“und skandierten gegen den sozialdemokratischen Regierungschef Robert Fico: „Wir haben genug!“und „Zurücktreten!“. Die Organisatoren sprachen von den größten Demonstrationen in der Slowakei seit der Samtenen Revolution von 1989, allein in der Hauptstadt sollen sich rund fünfzigtausend Menschen versammelt haben.
Nach Kuciaks Recherchen soll das kriminelle Netzwerk auch durch den Missbrauch von EU-Förderungen reich geworden sein. Der mutmaßliche Drahtzieher des italienischen Netzwerks, Antonino Vadala, soll demnach sogar seine ehemalige Geschäftspartnerin und Lebensgefährtin, das frühere Fotomodell Maria´ Troskovˇa,´ als persönliche Assistentin Ficos direkt ins Machtzentrum Bratislavas eingeschleust haben. Der Journalist Ivan Mego behauptete gegenüber der „Presse“, er habe schon vor Kuciak zu den gleichen Themen recherchiert und Troskovˇas´ Hintergrund aufgedeckt, seine Reportage sei aber aus möglicherweise politischen Gründen von der Redaktion abgelehnt worden.
Noch viel länger stand Innenminister Kalinˇa´k im Visier der Medien. Ihm wird vorgeworfen, zweifelhafte Geschäftsverbindungen zum inzwischen offiziell des Steuerbetrugs angeklagten Unternehmer Ladislav Basternˇak´ unterhalten zu haben und diesen gegen Bestechung vor Ermittlungen geschützt zu haben. Der mit diesem Fall befasste Staatsanwalt, Vasil Spirko,ˇ trat vergangene Woche mit der Behauptung an die Öffentlichkeit, Kalinˇa´k und sein Geschäftsfreund, der ehemalige Finanz- und dann Verkehrsminister Jan´ Pociatek,ˇ seien direkte Empfänger von Bestechungsgeld gewesen. Beide hätten insgesamt 200.000 Euro von einer Firma erhalten, die lukrative Staatsaufträge zur Ausstattung des Innenministeriums mit Computersystemen bekommen habe. Als er die Geldflüsse genauer untersuchen wollte, sei ihm der Fall „von oben“entzogen und gegen ihn selbst wegen angeblicher Fälschung von Zeugenaussagen ermittelt worden, behauptete Spirko.ˇ
Der Journalist Mego verdächtigt Kalinˇa´k zudem, bei einer privaten Sicherheitsfirma mitverdient
von der sozialdemokratischen Smer ist seit April 2012 Innenminister und Vizepremier unter Regierungschef Robert Fico. Der 46-Jährige, der bis 2002 als Rechtsanwalt arbeitete, steht schon seit Längerem unter Korruptionsverdacht. zu haben, die zuletzt alle großen Staatsaufträge für Bewachungsdienste bekommen habe. Kalinˇa´k wies die Vorwürfe zwar als „absurd“zurück, scheint aber auch die EU-Parlamentsdelegation nicht überzeugt zu haben. Die deutsche Co-Leiterin der Delegation, Ingeborg Gräßle (CDU), sagte: „Wir haben ein zutiefst gespaltenes Land vorgefunden, das nahezu traumatisiert ist.“
Dabei sei die Slowakei zuletzt nicht „am Radar“der EU gewesen. Premier Fico konnte sein Land nicht nur dank guter Wirtschaftsdaten als Musterschüler im Rahmen der Visegrad-´Gruppe präsentieren. Zwar pariert Fico mit migrantenfeindlicher Rhetorik die noch xenophobere Haltung der Opposition, und die Slowakei klagte noch vor Ungarn gegen die Flüchtlingsaufteilung nach EU-Quoten. Die Regierung in Bratislava akzeptierte aber die Niederlage vor dem EU-Gerichtshof und signalisierte so viel an symbolischer Kooperationsbereitschaft, dass die Slowakei jetzt als einziges Visegrad-´Land nicht mit einer EUKlage wegen verweigerter Flüchtlingsaufnahme konfrontiert ist. Der Korruptionsverdacht war daher in den Hintergrund getreten.