Differenzen behindern EU-Reform
Bankenunion und Eurobudget. Frankreich und Deutschland ziehen nicht an einem Strang. Paris will mehr zwischenstaatliche Solidarität, Berlin lehnt kollektive Haftung ab.
2018 sollte eigentlich jenes Jahr werden, in dem die institutionellen Weichen in der EU neu gestellt werden – vor der Europawahl 2019, dem nächsten Mehrjahresbudget der EU 2020 und dem immer näher rückenden Austrittsdatum Großbritanniens ist der Reformbedarf höher als sonst. Die EU-Kommission bereitet seit geraumer Zeit den Boden für Reformen vor, auf dem Tisch liegen mehrere Szenarien – von der Rückbesinnung auf den reinen Binnenmarkt über wechselnde Koalitionen der Reformwilligen bis hin zu einer Vertiefung der Union.
Eine zentrale Rolle in diesem Kontext spielen die zwei größten Mitgliedstaaten, Deutschland und Frankreich, ohne deren Zusammenarbeit keine großen Würfe möglich sind. Mit Emmanuel Macron residiert momentan ein erklärter Reformer im E´lyse´e-Palast, und nachdem in Berlin die Große Koalition unter Angela Merkel ihre Arbeit wiederaufgenommen hat, sollte einer deutsch-französischen Initiative eigentlich nichts mehr im Weg stehen.
Doch mittlerweile spricht vieles dafür, dass es bei einer EU-Reform im Konjunktiv bleiben dürfte. Die am gestrigen Montag und heutigen Dienstag in Brüssel tagenden europäischen Finanzminister hätten nach ursprünglichen Plänen eine Diskussionsgrundlage für den EU-Gipfel nächste Woche verabschieden sollen – daraus wird allerdings nichts, denn für den Finanzministerrat sind „Beschlüsse nicht vorgesehen“, wie die „Süddeutsche Zeitung“berichtete. Die Ressortchefs sollen demnach lediglich eine „Orientierungsdiskussion“über mögliche Reformen führen. Auch einen separaten deutschfranzösischen Vorschlag wird es bis zum Gipfel wohl nicht geben.
Auf dem Tisch liegen mehrere Blaupausen, die allerdings an ein und derselben Schwäche laborieren: Um mit den Umbauarbeiten beginnen zu können, müssten sich die Bauherren darüber einig sein, wie solidarisch die künftige EU sein soll. Und genau in dieser Fra- ge scheiden sich zwischen Paris und Berlin die Geister. Frankreich will möglichst viel, Deutschland möglichst wenig finanzielle Risikoteilung. Und dieses Dilemma lässt sich mittlerweile nicht mehr mit wolkigen Floskeln und einem Verweis auf künftige Entscheidungen übertünchen.
Dass die Zauderin Merkel den reformwilligen Macron nicht völlig im Stich lassen kann, ist den Entscheidungsträgern in Berlin durchaus bewusst. Am ehesten lässt sich Entgegenkommen wohl im Bereich Eurozonenbudget simulieren, das sich der französische Staatschef in seiner Reformagenda gewünscht hatte. Nach deutschen Vorstellungen würde dieses Budget hauptsächlich für Investitionen in die Infrastruktur eingesetzt werden und – anders als von Macron angedacht – Teil des bestehenden EU-Haushalts sein. Vorschläge für ein Investitionsbudget müssten noch weiter ausgearbeitet werden, sagte Merkel gestern. „Darüber müssen wir sprechen: Was genau wollen wir?“
Bei dem, was sie nicht will, ist die Bundeskanzlerin jedenfalls konkreter: nämlich kein gemeinsames Einstehen für Schulden. „Das Prinzip gilt, dass die Haftung dort ist, wo die Aktion der jeweiligen Länder möglich ist.“Damit gemeint ist das letzte ausständige Teilstück der Bankenunion – eine gemeinsam finanzierte Einlagensicherung. Die Regierung in Berlin lehnt diese Vorhaben entschieden ab, weil sie befürchtet, dass deutsche Sparer dann für Bankenplei- ten im EU-Ausland geradestehen müssten.
Auch der Europäische Stabilisierungsmechanismus ist ein Zankapfel – doch beim ESM verläuft die Front eher zwischen Berlin und Brüssel als zwischen Berlin und Paris. Die EU-Kommission will den Rettungsfonds, der auf dem Höhepunkt der Eurokrise als zwischenstaatliches Vehikel konzipiert worden war, unters Dach des EU-Rechts bringen – und damit unter eigene Kontrolle. Berlin lehnt das ab und will den ESM zum abseits der EU-Institutionen stehenden Europäischen Währungsfonds umbauen. In Berlin will man verhindern, dass die Brüsseler Behörde den ESM politisiert – um beispielsweise bei südeuropäischen Krisenländern Milde walten zu lassen.