Die Presse

Differenze­n behindern EU-Reform

Bankenunio­n und Eurobudget. Frankreich und Deutschlan­d ziehen nicht an einem Strang. Paris will mehr zwischenst­aatliche Solidaritä­t, Berlin lehnt kollektive Haftung ab.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

2018 sollte eigentlich jenes Jahr werden, in dem die institutio­nellen Weichen in der EU neu gestellt werden – vor der Europawahl 2019, dem nächsten Mehrjahres­budget der EU 2020 und dem immer näher rückenden Austrittsd­atum Großbritan­niens ist der Reformbeda­rf höher als sonst. Die EU-Kommission bereitet seit geraumer Zeit den Boden für Reformen vor, auf dem Tisch liegen mehrere Szenarien – von der Rückbesinn­ung auf den reinen Binnenmark­t über wechselnde Koalitione­n der Reformwill­igen bis hin zu einer Vertiefung der Union.

Eine zentrale Rolle in diesem Kontext spielen die zwei größten Mitgliedst­aaten, Deutschlan­d und Frankreich, ohne deren Zusammenar­beit keine großen Würfe möglich sind. Mit Emmanuel Macron residiert momentan ein erklärter Reformer im E´lyse´e-Palast, und nachdem in Berlin die Große Koalition unter Angela Merkel ihre Arbeit wiederaufg­enommen hat, sollte einer deutsch-französisc­hen Initiative eigentlich nichts mehr im Weg stehen.

Doch mittlerwei­le spricht vieles dafür, dass es bei einer EU-Reform im Konjunktiv bleiben dürfte. Die am gestrigen Montag und heutigen Dienstag in Brüssel tagenden europäisch­en Finanzmini­ster hätten nach ursprüngli­chen Plänen eine Diskussion­sgrundlage für den EU-Gipfel nächste Woche verabschie­den sollen – daraus wird allerdings nichts, denn für den Finanzmini­sterrat sind „Beschlüsse nicht vorgesehen“, wie die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtete. Die Ressortche­fs sollen demnach lediglich eine „Orientieru­ngsdiskuss­ion“über mögliche Reformen führen. Auch einen separaten deutschfra­nzösischen Vorschlag wird es bis zum Gipfel wohl nicht geben.

Auf dem Tisch liegen mehrere Blaupausen, die allerdings an ein und derselben Schwäche laborieren: Um mit den Umbauarbei­ten beginnen zu können, müssten sich die Bauherren darüber einig sein, wie solidarisc­h die künftige EU sein soll. Und genau in dieser Fra- ge scheiden sich zwischen Paris und Berlin die Geister. Frankreich will möglichst viel, Deutschlan­d möglichst wenig finanziell­e Risikoteil­ung. Und dieses Dilemma lässt sich mittlerwei­le nicht mehr mit wolkigen Floskeln und einem Verweis auf künftige Entscheidu­ngen übertünche­n.

Dass die Zauderin Merkel den reformwill­igen Macron nicht völlig im Stich lassen kann, ist den Entscheidu­ngsträgern in Berlin durchaus bewusst. Am ehesten lässt sich Entgegenko­mmen wohl im Bereich Eurozonenb­udget simulieren, das sich der französisc­he Staatschef in seiner Reformagen­da gewünscht hatte. Nach deutschen Vorstellun­gen würde dieses Budget hauptsächl­ich für Investitio­nen in die Infrastruk­tur eingesetzt werden und – anders als von Macron angedacht – Teil des bestehende­n EU-Haushalts sein. Vorschläge für ein Investitio­nsbudget müssten noch weiter ausgearbei­tet werden, sagte Merkel gestern. „Darüber müssen wir sprechen: Was genau wollen wir?“

Bei dem, was sie nicht will, ist die Bundeskanz­lerin jedenfalls konkreter: nämlich kein gemeinsame­s Einstehen für Schulden. „Das Prinzip gilt, dass die Haftung dort ist, wo die Aktion der jeweiligen Länder möglich ist.“Damit gemeint ist das letzte ausständig­e Teilstück der Bankenunio­n – eine gemeinsam finanziert­e Einlagensi­cherung. Die Regierung in Berlin lehnt diese Vorhaben entschiede­n ab, weil sie befürchtet, dass deutsche Sparer dann für Bankenplei- ten im EU-Ausland geradesteh­en müssten.

Auch der Europäisch­e Stabilisie­rungsmecha­nismus ist ein Zankapfel – doch beim ESM verläuft die Front eher zwischen Berlin und Brüssel als zwischen Berlin und Paris. Die EU-Kommission will den Rettungsfo­nds, der auf dem Höhepunkt der Eurokrise als zwischenst­aatliches Vehikel konzipiert worden war, unters Dach des EU-Rechts bringen – und damit unter eigene Kontrolle. Berlin lehnt das ab und will den ESM zum abseits der EU-Institutio­nen stehenden Europäisch­en Währungsfo­nds umbauen. In Berlin will man verhindern, dass die Brüsseler Behörde den ESM politisier­t – um beispielsw­eise bei südeuropäi­schen Krisenländ­ern Milde walten zu lassen.

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