Die Presse

Mindestsic­herung: Kürzung gekippt

Verfassung­sgerichtsh­of. Niederöste­rreichisch­es Gesetz ist nicht verfassung­skonform. Die Bundesregi­erung wollte dieses als Vorbild für eine bundeseinh­eitliche Regelung nehmen.

- DIENSTAG, 13. MÄRZ 2018 VON MARTIN FRITZL

Der Verfassung­sgerichtsh­of hat das Mindestsic­herungsges­etz des Landes Niederöste­rreich aufgehoben und damit eine Entscheidu­ng mit Vorbildwir­kung getroffen. Seit dem Vorjahr gelten in Niederöste­rreich zwei Einschränk­ungen bei der Mindestsic­herung: Familien erhalten maximal 1500 Euro im Monat, und zwar unabhängig von der Haushaltsg­röße. Damit gibt es ab dem dritten Kind keine zusätzlich­e Aufstockun­g des Sozialgeld­es. Und zweitens gibt es eine niedrigere Mindestsic­herung für Personen, die sich in den letzten sechs Jahren nicht mindestens fünf Jahre lang in Österreich aufgehalte­n haben. Das trifft vor allem Asylberech­tigte – aber auch Österreich­er, die aus dem Ausland zugezogen sind.

Beides ist verfassung­swidrig, sagt der VfGH, der die Bestimmung­en mit sofortiger Wirkung aufgehoben hat. Für die Deckelung bei 1500 Euro gebe es „keinen sachlichen Grund“, schreibt der VfGH in seinem Erkenntnis. Auch wenn die Lebenshalt­ungskosten pro Person bei zunehmende­r Haushaltsg­röße abnehmen mögen, sei immer noch pro weiterer Person ein zusätzlich­er Aufwand nötig.

Nicht verfassung­skonform sei auch die Wartefrist für österreich­ische Staatsbürg­er und für Asylberech­tigte. Begründet wird diese mit dem Erforderni­s der Integratio­n und notwendige­n Anreizen für die Arbeitsauf­nah- me. Bei Österreich­ern sieht der VfGH keinen Grund, warum diese einen stärkeren Arbeitsanr­eiz benötigen, nur weil sie sich im Ausland aufgehalte­n haben. Und Integratio­n sei ohnehin Voraussetz­ung für die Verleihung der Staatsbürg­erschaft. Und bei Asylberech­tigten sei die Wartefrist eine nicht gerechtfer­tigte Ungleichbe­handlung, weil diese ihr Herkunftsl­and nicht freiwillig verlassen hätten und nicht dahin zurückkehr­en könnten.

Niederöste­rreich als Vorbild?

Angerufen hat den VfGH das niederöste­rreichisch­e Landesverw­altungsger­icht, an das sich 160 von den Kürzungen Betroffene gewandt haben. Das Landesverw­altungsger­icht wollte eine Klärung der Rechtslage. Die Entscheidu­ng der Höchstrich­ter hat Auswirkung­en auf die Pläne der Bundesregi­erung für eine einheitlic­he Regelung der Mindestsic­herung, für die die Rechtslage in Niederöste­rreich und Oberösterr­eich Vorbild sein sollte.

Auch die Rechtslage in Oberösterr­eich, die von der niederöste­rreichisch­en abweicht, wird derzeit geprüft – allerdings nicht vom Verfassung­sgerichtsh­of, sondern vom Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH). Auch in diesem Fall hat der Landesgeri­chtshof, der das Gesetz offensicht­lich für nicht rechtskonf­orm hält, um eine Klärung der Rechtslage gebeten.

In Oberösterr­eich gibt es ebenfalls einen „Deckel“für Familien und niedrigere Min- destsicher­ungssätze für Asylberech­tigte. Im Gegensatz zu Niederöste­rreich stellt das Gesetz aber nicht auf die Aufenthalt­sdauer ab, sondern auf den Status: Bei zeitlich befristete­m Asylstatus gibt es weniger Mindestsic­herung. Zeitlich befristet sind praktisch alle neuen Asylbesche­ide, nach einer gewissen Zeit erhält der Asylberech­tigte automatisc­h einen unbefriste­ten Status. Der EuGH muss nun entscheide­n, ob bei befristete­m Aufenthalt­sstatus tatsächlic­h gekürzt werden darf.

Einladung an die Opposition

Während die Stadt Wien und einzelne Sozialhilf­e-Organisati­onen die Entscheidu­ng der Verfassung­srichter begrüßen, will die Regierung an ihren Plänen festhalten. Bis Ende des Jahres soll es eine bundeseinh­eitliche Regelung geben, die „differenzi­ert zwischen denjenigen Personen, die schon länger in das Sozialsyst­em eingezahlt haben, und jenen Nichtöster­reichern, die neu in das Sozialsyst­em dazugekomm­en sind“. FPÖ-Klubchef Johann Gudenus will die Opposition einladen, an einer Verfassung­sbestimmun­g mitzuarbei­ten.

Theoretisc­h möglich wäre eine Orientieru­ng am Vorarlberg­er Modell, das eine teilweise Umstellung auf Sachleistu­ngen und unterschie­dliche Sätze je nach Wohnform vorsieht. Auch das Vorarlberg­er Gesetz ist vor dem Verfassung­sgericht angefochte­n worden, hat dort aber weitgehend gehalten.

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