„Verantwortung für Gräuel“
Gedenken. Bundespräsident und Bundeskanzler betonen bei einem Staatsakt Österreichs Mitverantwortung bei den NS-Verbrechen.
Das offizielle Österreich hat am Montag des „Anschlusses“an Nazi-Deutschland vor 80 Jahren gedacht. Bundespräsident Alexander Van der Bellen sprach sich gegen jegliches Vergessen und für eine Stärkung der Demokratie aus. Bundeskanzler Sebastian Kurz verurteilte in der Hofburg jeglichen Antisemitismus – „egal, ob schon vorhanden oder importiert“. Der 12. März 1938 stelle einen „Kulminationspunkt einer katastrophalen Entwicklung dar“, resümierte der Bundespräsident. Der „Opferthese“widersprach Van der Bellen unmissverständlich: „Österreich hat Mitverantwortung für die Gräueltaten des Nationalsozialismus.“Der richtige Zeitpunkt, sich der Geschichte zu stellen, sei „gestern, heute und morgen“. Rassismus und Antisemitismus würden nicht einfach verschwinden, sondern auch heute im Kleinen wie im Großen weiter existieren. Es gehe nicht nur darum, Werte der demokratischen Gesellschaft zu verteidigen, sondern auszubauen und zu stärken.
Sebastian Kurz ging in seiner Rede auf eigene Erfahrungen mit Berichten von Holocaust-Überlebenden ein. Für ihn ist der „Anschluss“der „Auftakt zu einem nie da gewesenen Verbrechen: der Schoah“. Nicht nur für die eigene jüdische Bevölkerung trage Österreich Verantwortung, „die österreichische Verpflichtung endet nicht an unseren Grenzen“.
Andre´ Heller erinnert an Vater
Auch Kurz erwähnte, Österreich habe sich eine Zeitlang gern als „Opfer“gesehen. Das gelte für jene, die Widerstand geleistet haben. Viele hätten den Nationalsozialismus aber auch unterstützt. „Jeder Mensch trägt nicht nur Verantwortung dafür, was er tut, sondern vor allem dafür, was er nicht tut.“
In einer sehr persönlichen Gedenkrede hat sich Andre´ Heller an das Schicksal seiner Familie erinnert. Sein Vater, der jüdische Süßwarenindustrielle Stephan Heller, wurde in den ersten Stunden des „Anschlusses“abgeholt und gezwungen, mit seiner Zahnbürste auf den Gehsteig gemalte Parolen für ein freies Österreich wegzuputzen. Auch Heller erinnerte daran, dass sich in den ersten Reihen der Nazis nicht wenige Österreicher befanden. Und auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs habe es „in den Köpfen der Menschen weiter gegärt“, hätten „Splitter und Balken“in der Gesellschaft weiter existiert.
Zum Staatsakt waren Vertreter der Bundesregierung und des Parlaments sowie andere Personen des öffentlichen Lebens erschienen. Unmittelbar danach war erstmals auf dem Heldenplatz eine Klanginstallation zu hören, in der Adolf Hitler drei Tage nach dem Einmarsch den „Anschluss“verkündet hatte. Dabei wird bis 12. November zweimal täglich (12.30 und 18.30 Uhr) für je zehn Minuten der Umgebungslärm übertönt. (APA/cim)