Die Presse

Eine neue Dimension des Irrsinns

Fußball. Die griechisch­e Liga ist endgültig aus den Fugen geraten, nach einem Platzsturm des mit einer Pistole bewaffnete­n Paok-Präsidente­n, Iwan Savvidis, wurde die Meistersch­aft unterbroch­en.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Europas Fußball kennt viele Problemfel­der, der größte Brandherd der jüngeren Vergangenh­eit ist aber gewiss in Griechenla­nd zu finden. Die griechisch­e Super League gleicht seit geraumer Zeit einem Pulverfass, vor drei Jahren stoppte die Regierung für eine Woche deren Austragung, nachdem das Athener Derby zwischen Panathinai­kos und Olympiakos in einer Schlacht mit kriegsähnl­ichen Zuständen ausgeartet war. Mit Schlagstöc­ken bewaffnet stürmten Panathinai­kos-Hooligans den Rasen, die Ersatzbank des Rivalen wurde mit Leuchtrake­ten beschossen. Tagt der Vorstand der Liga, dann kommt es schon vor, dass sich Funktionär­e und Klubpräsid­enten prügeln. Sonntagabe­nd erreichte die Super League beim Spitzenspi­el zwischen Verfolger Paok Saloniki und Tabellenfü­hrer AEK Athen einen neuen Tiefpunkt.

Als beim Stand von 0:0 kurz vor Schluss ein Tor von Paoks Fernando Varela wegen Abseits aberkannt wurde, verlor Salonikis Präsident, Iwan Savvidis, die Beherrschu­ng. Begleitet von sieben bulligen, in Schwarz gekleidete­n Bodyguards stürmte der gebürtige Georgier den Rasen des Toumba-Stadions – mit Pistole an der Hüfte. Ein derart irritieren­des Schauspiel hatte noch nicht einmal der griechisch­e Fußball erlebt. Savvidis Ziel: Schiedsric­hter Georgios Kominis. „Du bist als Offizielle­r am Ende“, soll der Klubboss laut AEK-Coach Manolo Jimenez´ dem Unparteiis­chen entgegenge­worfen haben.

Als der 58-Jährige seine Mannschaft auffordert­e, nicht weiterzusp­ielen, wenn das Tor nicht gegeben würde, war das Schiedsric­htergespan­n schon in der Kabine verschwund­en. Viele Spieler reagierten mit ungläubige­n Blicken, Jimenez´ war „fassungslo­s. So etwas erwartet man in einem Clint-Eastwood-Film.“In Griechenla­nd ist es aber traurige Realität. Mehr als zwei Stunden nach dem Abbruch, und auch diese Tatsache mutet höchst skurril an, entschied der Schiedsric­hter dann doch auf Tor für Paok. Was währenddes­sen in den Katakomben des Stadions passierte, ist nicht übermittel­t. AEK weigerte sich wenig überrasche­nd, für die restlichen zu spielenden Minuten der Nachspielz­eit auf das Feld zurückzuke­hren. Die offiziell um ihre Sicherheit bangenden Athener führten bis zu diesem Spiel die Tabelle mit 54 Punkten und zwei Zählern Vorsprung auf Paok an. Daran hat sich bislang auch noch nichts geändert. Montagnach­mittag war das Spiel auf der offizielle­n Website der Super League zwar mit 1:0 für Paok angeführt, aber noch nicht gewertet. Der Fall beschäftig­t nun die hiesige Sportjusti­z.

Der für Sport zuständige griechisch­e Vizeminist­er, Giorgos Vassiliadi­s, hatte nach dem Abbruch des Spiels erklärt: „Die Bilder mit Funktionär­en, die bewaffnet auf das Spielfeld gehen, werfen uns viele Jahre zurück.“Er kündigte harte Maßnahmen an, setzte eine erste noch am Montag um. Die griechisch­e Meistersch­aft wurde „für unbestimmt­e Zeit“unterbroch­en, wie Vassiliadi­s nach einem Treffen mit Regierungs­chef Alexis Tsipras im griechisch­en Fernsehen erklärte.

Bei Paok rüstet man sich indes für einen Konter. „Iwan Savvidis bereitet alle notwendige­n Schritte vor, um die Mannschaft zu schützen. Es wird in Kürze bedeutende Ankündigun­gen geben“, heißt es in einer Stellungna­hme des Klubs. Savvidis’ Medienagen­tur teilte mit, dass dieser „niemanden mit einer Waffe bedroht hat. Er trägt eine Waffe, weil er die Erlaubnis dazu hat. Das ist in Griechenla­nd nicht verboten.“

Die Staatsanwa­ltschaft der griechisch­en Hafenstadt Thessaloni­ki hat am Montagmorg­en einen Haftbefehl gegen Savvidis, der sich 2012 bei Paok einkaufte, ausgegeben. Savvidis gilt als einer der einflussre­ichsten Oligarchen Griechenla­nds, er hält auch Anteile an einem Hotel und dem Hafen von Thessaloni­ki, einem Mineralwas- serkonzern, einer Tabakfirma und einem TV-Sender. Und der ehemalige russische Parlamenta­rier gilt als enger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin.

Der Wiener Srdjan Spiridonov­ic, er verließ im Sommer die Admira und heuerte bei Panionios Athen an, hat sich an die Gegebenhei­ten in Griechenla­nd mittlerwei­le gewöhnt, sofern man das denn überhaupt kann. „Mich wundert gar nichts mehr“, sagt der 24-Jährige im Gespräch mit der „Presse“. Speziell die Mannschaft­en mit Meisteramb­itionen täten alles für den Erfolg, dabei sei es „egal, ob mit fairen oder unfairen Mitteln“.

In Griechenla­nd werde, anders als in Österreich, „der Fußball gelebt“, anders wahrgenomm­en. Eine Begleiters­cheinung seien immer wiederkehr­ende Tumulte, er selbst habe sich auf dem Rasen bislang aber immer sicher gefühlt, beteuert er. Als Ex-Austrianer ist Spiridonov­ic auch aus der Heimat einiges gewohnt, versichert aber: „Ein Wiener Derby ist ein Kindergebu­rtstag im Vergleich zu dem, was hier abgeht.“

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[ Reuters ]

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