Eine neue Dimension des Irrsinns
Fußball. Die griechische Liga ist endgültig aus den Fugen geraten, nach einem Platzsturm des mit einer Pistole bewaffneten Paok-Präsidenten, Iwan Savvidis, wurde die Meisterschaft unterbrochen.
Europas Fußball kennt viele Problemfelder, der größte Brandherd der jüngeren Vergangenheit ist aber gewiss in Griechenland zu finden. Die griechische Super League gleicht seit geraumer Zeit einem Pulverfass, vor drei Jahren stoppte die Regierung für eine Woche deren Austragung, nachdem das Athener Derby zwischen Panathinaikos und Olympiakos in einer Schlacht mit kriegsähnlichen Zuständen ausgeartet war. Mit Schlagstöcken bewaffnet stürmten Panathinaikos-Hooligans den Rasen, die Ersatzbank des Rivalen wurde mit Leuchtraketen beschossen. Tagt der Vorstand der Liga, dann kommt es schon vor, dass sich Funktionäre und Klubpräsidenten prügeln. Sonntagabend erreichte die Super League beim Spitzenspiel zwischen Verfolger Paok Saloniki und Tabellenführer AEK Athen einen neuen Tiefpunkt.
Als beim Stand von 0:0 kurz vor Schluss ein Tor von Paoks Fernando Varela wegen Abseits aberkannt wurde, verlor Salonikis Präsident, Iwan Savvidis, die Beherrschung. Begleitet von sieben bulligen, in Schwarz gekleideten Bodyguards stürmte der gebürtige Georgier den Rasen des Toumba-Stadions – mit Pistole an der Hüfte. Ein derart irritierendes Schauspiel hatte noch nicht einmal der griechische Fußball erlebt. Savvidis Ziel: Schiedsrichter Georgios Kominis. „Du bist als Offizieller am Ende“, soll der Klubboss laut AEK-Coach Manolo Jimenez´ dem Unparteiischen entgegengeworfen haben.
Als der 58-Jährige seine Mannschaft aufforderte, nicht weiterzuspielen, wenn das Tor nicht gegeben würde, war das Schiedsrichtergespann schon in der Kabine verschwunden. Viele Spieler reagierten mit ungläubigen Blicken, Jimenez´ war „fassungslos. So etwas erwartet man in einem Clint-Eastwood-Film.“In Griechenland ist es aber traurige Realität. Mehr als zwei Stunden nach dem Abbruch, und auch diese Tatsache mutet höchst skurril an, entschied der Schiedsrichter dann doch auf Tor für Paok. Was währenddessen in den Katakomben des Stadions passierte, ist nicht übermittelt. AEK weigerte sich wenig überraschend, für die restlichen zu spielenden Minuten der Nachspielzeit auf das Feld zurückzukehren. Die offiziell um ihre Sicherheit bangenden Athener führten bis zu diesem Spiel die Tabelle mit 54 Punkten und zwei Zählern Vorsprung auf Paok an. Daran hat sich bislang auch noch nichts geändert. Montagnachmittag war das Spiel auf der offiziellen Website der Super League zwar mit 1:0 für Paok angeführt, aber noch nicht gewertet. Der Fall beschäftigt nun die hiesige Sportjustiz.
Der für Sport zuständige griechische Vizeminister, Giorgos Vassiliadis, hatte nach dem Abbruch des Spiels erklärt: „Die Bilder mit Funktionären, die bewaffnet auf das Spielfeld gehen, werfen uns viele Jahre zurück.“Er kündigte harte Maßnahmen an, setzte eine erste noch am Montag um. Die griechische Meisterschaft wurde „für unbestimmte Zeit“unterbrochen, wie Vassiliadis nach einem Treffen mit Regierungschef Alexis Tsipras im griechischen Fernsehen erklärte.
Bei Paok rüstet man sich indes für einen Konter. „Iwan Savvidis bereitet alle notwendigen Schritte vor, um die Mannschaft zu schützen. Es wird in Kürze bedeutende Ankündigungen geben“, heißt es in einer Stellungnahme des Klubs. Savvidis’ Medienagentur teilte mit, dass dieser „niemanden mit einer Waffe bedroht hat. Er trägt eine Waffe, weil er die Erlaubnis dazu hat. Das ist in Griechenland nicht verboten.“
Die Staatsanwaltschaft der griechischen Hafenstadt Thessaloniki hat am Montagmorgen einen Haftbefehl gegen Savvidis, der sich 2012 bei Paok einkaufte, ausgegeben. Savvidis gilt als einer der einflussreichsten Oligarchen Griechenlands, er hält auch Anteile an einem Hotel und dem Hafen von Thessaloniki, einem Mineralwas- serkonzern, einer Tabakfirma und einem TV-Sender. Und der ehemalige russische Parlamentarier gilt als enger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin.
Der Wiener Srdjan Spiridonovic, er verließ im Sommer die Admira und heuerte bei Panionios Athen an, hat sich an die Gegebenheiten in Griechenland mittlerweile gewöhnt, sofern man das denn überhaupt kann. „Mich wundert gar nichts mehr“, sagt der 24-Jährige im Gespräch mit der „Presse“. Speziell die Mannschaften mit Meisterambitionen täten alles für den Erfolg, dabei sei es „egal, ob mit fairen oder unfairen Mitteln“.
In Griechenland werde, anders als in Österreich, „der Fußball gelebt“, anders wahrgenommen. Eine Begleiterscheinung seien immer wiederkehrende Tumulte, er selbst habe sich auf dem Rasen bislang aber immer sicher gefühlt, beteuert er. Als Ex-Austrianer ist Spiridonovic auch aus der Heimat einiges gewohnt, versichert aber: „Ein Wiener Derby ist ein Kindergeburtstag im Vergleich zu dem, was hier abgeht.“