Die Presse

Flüchtling­ssager: Wie Suhrkamp einen Autor abkanzelt

Autor Uwe Tellkamp wurde nach einem Podiumsges­präch vom eigenen Verlag gemaßregel­t. Ist Suhrkamp jetzt ein politische­s Missionsha­us? Von Handkes Miloˇsevi´cApologien hat sich der Verlag auch nicht per Twitter distanzier­t.

- Anne-catherine.simon@diepresse.com

Wenn ein angesehene­r Literaturv­erlag die Bücher eines Schriftste­llers verlegt, erwartet er für gewöhnlich nicht, dass dieser als sein Sprachrohr fungiert. Nicht in Büchern, schon gar nicht außerhalb. Wäre es anders, hätte der SuhrkampVe­rlag Peter Handke wegen seiner Apologie des Serbenführ­ers Miloseviˇc´ wohl längst vor die Tür gesetzt. Er hat es nicht getan, aus gutem Grund. Und sich auch nicht per Twitter von Aussagen seines Starautors distanzier­t.

Dem deutschen Suhrkamp-Autor Uwe Tellkamp erging es anders. Bei einem Streitgesp­räch mit dem Lyriker Durs Grünbein hatte er gesagt, die meisten Flüchtling­e „fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsyst­eme einzuwande­rn, über 95 Prozent.“Tags da- rauf distanzier­te sich der SuhrkampVe­rlag mit einer Twitter-Botschaft öffentlich von seinem Autor: „Aus gegebenem Anlass: Die Haltung, die in Äußerungen von Autoren des Hauses zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der des Verlags zu verwechsel­n.“

Aber wer wäre denn je auf diese Idee gekommen? Ein seriöser Literaturv­erlag verlegt Autoren, weil er sie gut findet, oder weil er hofft, dessen Erzeugniss­e gut zu verkaufen – im besten Falle beides. Und beides bot Schriftste­ller Uwe Tellkamp dem Suhrkamp-Verlag spätestens seit 2008. In jenem Jahr erschien sein monumental­er DDR-Roman „Der Turm“. Er war wohl das deutschspr­achige Romanereig­nis des Jahres 2008, wurde mit dem „Deutschen Buchpreis“ausgezeich­net und von der Kritik gefeiert. Nun muss sich derselbe Autor wie ein Schulbub öffentlich abkanzeln lassen. Warum? Weil Suhrkamp offenbar um sein Image, die eigene Marke, bangt.

Was nachvollzi­ehbar wäre, würde es sich hier um einen politische­n Ver- lag mit streng definierte­r Ideologie und missionari­schen Zielen handeln. Es passt aber nicht zu einem berühmten Zuhause für Literatur, in dem Autoren von T. S. Eliot bis Martin Walser, Bertolt Brecht bis Sibylle Lewitschar­off Platz hatten und haben.

Würden Verleger Schriftste­ller als Botschafte­r ihrer eigenen politische­n Meinungen sehen, dann würde die Verlagslan­dschaft bald nur noch aus „rechten“, „rechtsrech­ten“, „linken“, „linkslinke­n“, vielleicht auch „linksrecht­en“, „liberalen“, „libertären“oder sonst wie etikettier­ten Missionshä­usern bestehen. Als ob es davon nicht schon genug gäbe.

Walsers Roman „Tod eines Kritikers“war 2002 ein Grenzfall. Trotz Antisemiti­smusvorwür­fen, „kontrovers­er Bedenken und Diskussion­en im eigenen Haus“gab der SuhrkampVe­rlag damals bekannt, er werde den Roman veröffentl­ichen; und betonte, er halte damit an seiner Tradition fest, eine Plattform für Debatten zu sein. Auch das Streitgesp­räch in Dresden mit Uwe Tellkamp und Durs Grünbein war als Forum gegensätzl­icher Haltungen gedacht. Hier Tellkamp mit seiner Angst vor einem „Großexperi­ment, ohne dass die Leute gefragt werden“, seiner Kritik an einem engen medialen „Gesinnungs­korridor“; hier der optimistis­chere Durs Grünbein, der auch Angst hat, aber vor der immer aggressive­ren AfD. „Streitbar. Wie frei sind wir mit unseren Meinungen?“, hieß das Thema.

Auch dazu hat der Suhrkamp-Verlag mit seiner Twitter-Botschaft indirekt Position genommen; denn er klopft seinen Autoren für gewöhnlich nicht öffentlich auf die Finger, weil er ihre Meinungen nicht gut findet. Sein Kommentar zu Tellkamp besagt klar: Dieser Mensch hat eine rote Linie überschrit­ten. Er hat etwas gesagt, was er zwar sagen darf – aber nicht dürfte.

Fortsetzun­g der Kontrovers­e folgt gewiss – auf der am Donnerstag beginnende­n Leipziger Buchmesse.

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VON ANNE-CATHERINE SIMON

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