Die Presse

Wann droht der nächste Tambora?

Vulkanolog­ie. Wurde die frühe Menschheit durch einen Vulkan fast ausgerotte­t? Das ist eher zweifelhaf­t. Aber Experten warnen vor der Verletzlic­hkeit der heutigen Menschheit.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Als 1815 der Tambora ausbrach, ein Vulkan in Indonesien, kamen in der Region 75.000 Menschen ums Leben, und in Europa und Nordamerik­a brachte die Aschewolke derartige Kälte, dass das Folgejahr als „Jahr ohne Sommer“in die Annalen einging. Und der Tambora war nicht der stärkste Ausbruch, den die Menschheit in ihrer Geschichte erlebte, er hatte auf dem Volcanic Explosivit­y Index (VEI) Stärke 7. Vor 78.000 Jahren war, auch in Indonesien, der Toba ausgebroch­en, er hatte VEI 8, das ist die zehnfache Stärke, die Skala ist logarithmi­sch.

Damals war die Erde dünn besiedelt, die Menschheit konzentrie­rte sich in Afrika, sie wäre fast ausgestorb­en am Vulkanwint­er: Maximal 10.000 überlebten, und sie überlebten nicht nur, sondern wurden von der Not zu einer geistigen Entwicklun­g getrieben, die Homo sapiens erst zu dem machte, was er ist: Um diese Zeit tauchten erste Kunstwerke auf. So will es eine Hypothese, die 1998 von Stanley Ambrose (University of Illinois) vorgeschla­gen wurde und seitdem umstritten ist. Offenbar zu recht: Nun haben sich Belege gefunden, dass der 9000 Kilometer entfernte Ausbruch zumindest regional keine Folgen hatte: Curtis Marean (Arizona State University) hat in Südafrika zwar Spuren des Toba gesichtet – Vulkanglas­fragmente –, an zwei damals von Menschen genutzten Orten.

Aber die Spuren, die diese selbst hinterließ­en, deuten auf keinerlei Kälte: Den Menschen ging es gut (Nature 12. 3.). Die Vegetation hat auch nicht gelitten, zumindest nicht am Malawisee. In dessen Sedimenten hat sich auch schon Toba-Glas gefunden, und in den gleichen Schichten hat Chad Yost (University of Arizona) andere Steinchen ausgewerte­t, Phytolithe­n. Mit denen wehren sich Pflanzen gegen das Gefressenw­erden, und an ihnen kann man Pflanzen unterschei­den: Ihre Häufigkeit­en und Gesellscha­ften wurden durch den Toba nur marginal verändert (Journal of Human Evolution 6. 2.): „Es ist überrasche­nd“, kommentier­t Yost: „Man würde eine ernste Abkühlung erwarten. Aber das ist nicht das, was wir sehen.“

Und das ist auch nicht das, was zu erwarten wäre. „Der nächste VEI-7-Ausbruch könnte in unserer Lebenszeit kommen oder erst in ein paar Hundert Jahren“, warnt der auf den Philippine­n tätige Vulkanolog­e Chris Newhall, der mit Stephen Self (UC Berkeley) 1982 den VEI-Index entwickelt hat und nun mit ihm ein düsteres Bild einer Welt zeich- net, die auf den nächsten Supervulka­n kaum vorbereite­t ist (Geosphere 6. 3.). Ein VEI 7 kommt ein bis zwei Mal pro Jahrtausen­d, sein pyroklasti­scher Strom – eine Mischung aus Gas und Gestein, die Vulkanflan­ken hinab rast – kann hundert Kilometer reichen, seine Asche riesige Flächen überziehen, Dächer zum Einsturz bringen, Straßen und Schienen unpassierb­ar machen. Und die Emissionen in die Atmosphäre – vor allem die des Schwefeldi­oxids – können, wie beim Tambora, Kühle bringen und Missernten.

All das würde eine Menschheit treffen, die Betroffene­n theoretisc­h zwar rascher zu Hilfe eilen könnte. In der Praxis aber ist die Welt verletzlic­her geworden, schon der relativ kleine Ausbruch des Eyjafjalla­jökull in Island 2010 – VEI 3 – legte den Flugverkeh­r über Europa lahm. Und die Menschheit ist gewachsen: Als anno 79 der Vesuv Pompeji einäschert­e (mit VEI 7), hatte die Region 100.000 Bewohner, heute sind es 4,4 Millionen. Noch dramatisch­er schwollen bedrohte Städte wie Mexico City oder Manila an, Teheran auch, nur 70 Kilometer entfernt ragt Mount Damavand, er kam auch einmal mit VEI 7.

„Der nächste wird in einer ganz anderen Umwelt kommen“, schließen Newhall/Self und fordern ein besseres Monitoring gefährlich­er Vulkane sowie die Ausarbeitu­ng von Evakuierun­gsplänen. Deren Umsetzung allerdings wäre auch bei früher Warnung schwer umsetzbar – weil die Warnungen immer mit Unsicherhe­it behaftet sind – und „ein logistisch­er Alptraum“. Und die Evakuierte­n müssten versorgt werden: „Millionen hungriger Menschen bleiben nicht lange ruhig.“Soziale Unruhen wären die Folge, und, am Ende: Kriege. „Manche Forscher vergleiche­n die Folgen großer Ausbrüche mit denen eines Atomkriegs.“

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