Im Strudel des amerikanischen Traums
„Molly’s Game“, ein rasanter Film über eine Glücksspielkarriere.
Scheitern ist eine Chance, man muss sich immer wieder neu erfinden: Der Glaube daran zählt zum amerikanischen Traum; ihm folgt auch, nach dem realen Vorbild der „Poker-Prinzessin“Molly Bloom, die Titelheldin von „Molly’s Game“, überzeugend gespielt von Jessica Chastain. Doch alle Verwandlungen, die sie durchläuft, entsprechen den Vorstellungen von Männern. Ihr leistungsorientierter Vater (ebenfalls großartig: Kevin Costner) will eine Profi-Skifahrerin aus ihr machen. Als daraus nichts wird, geht sie nach Kalifornien und gerät als leicht bekleidete VIPKellnerin an einen Immobilien-Unternehmer, der ihr die Türen zu einem Hinterzimmer öffnet, wo Machos aus Film, Sport und Hochfinanz Karten spielen.
Aber Molly befreit sich auch immer wieder aus den gesellschaftlichen Korsetts. Nachdem sie sich mit ihrem Chef überworfen hat, stellt sie in einem New Yorker Nobelhotel eine eigene Runde mit noch reicheren Gästen auf die Beine. Bis ihr ein Mafioso eine Kanone in den Mund schiebt. Da ist ihre Glücksspielinstitution schon längst von Berufsverbrechern und FBI-Spitzeln infiltriert worden . . .
Der von vielen als Drehbuch-Heiland verehrte Aaron Sorkin, der für sein Skript zum Mark-Zuckerberg-Biopic „The Social Network“den Oscar erhalten hat, liefert mit „Molly’s Game“ein Regiedebüt ab, das den amerikanischen Traum zugleich feiert und in Frage stellt. Einerseits wird suggeriert, er fördere die Emanzipation von Frauen. Andererseits hat man aber kaum je den Eindruck, dass es Mann oder Frau glücklich macht, der Fantasie vom sozialen Aufstieg nachzujagen. Denn die einsamen und/oder soziopathischen Karrierejunkies, die sie hervorbringt, erregen nur Mitleid oder Abscheu.
Sorkin ist kein Meister großer Bilder. Vor allem seine schnellen, scharfen Dialoge haben ihn bekannt gemacht. Seine Figuren geraten nie ins Stocken oder Schweigen. Entsprechend verweigert die Inszenierung jedes Angebot ästhetischen Verweilens. Das wird hier besonders deutlich, wenn der spielsüchtige Spross einer Milliardärsfamilie ein kostbares MonetGemälde anschleppt – das sich aber niemand länger anschaut. Geduldige Betrachter gibt es hier nicht. Bloß Geschäftemacher und Zocker. Wer nichts verpassen will, muss auf Zack sein.
Das verlangt Sorkin auch von seinem Publikum, das mit Gesprächsfetzen, kurzen Voiceover-Monologen, Zeitsprüngen und Mini-Rückblenden auf Trab gehalten wird. Kein Wunder, dass Molly irgendwann den Überblick verliert und in einen Strudel aus Aufputschmitteln und kriminellen Machenschaften gerät. Der amerikanische Traum hält seine Anhänger vom Schlafen ab. Gelebte Ironie.