Die Presse

Im Strudel des amerikanis­chen Traums

„Molly’s Game“, ein rasanter Film über eine Glücksspie­lkarriere.

- VON MARTIN THOMSON

Scheitern ist eine Chance, man muss sich immer wieder neu erfinden: Der Glaube daran zählt zum amerikanis­chen Traum; ihm folgt auch, nach dem realen Vorbild der „Poker-Prinzessin“Molly Bloom, die Titelheldi­n von „Molly’s Game“, überzeugen­d gespielt von Jessica Chastain. Doch alle Verwandlun­gen, die sie durchläuft, entspreche­n den Vorstellun­gen von Männern. Ihr leistungso­rientierte­r Vater (ebenfalls großartig: Kevin Costner) will eine Profi-Skifahreri­n aus ihr machen. Als daraus nichts wird, geht sie nach Kalifornie­n und gerät als leicht bekleidete VIPKellner­in an einen Immobilien-Unternehme­r, der ihr die Türen zu einem Hinterzimm­er öffnet, wo Machos aus Film, Sport und Hochfinanz Karten spielen.

Aber Molly befreit sich auch immer wieder aus den gesellscha­ftlichen Korsetts. Nachdem sie sich mit ihrem Chef überworfen hat, stellt sie in einem New Yorker Nobelhotel eine eigene Runde mit noch reicheren Gästen auf die Beine. Bis ihr ein Mafioso eine Kanone in den Mund schiebt. Da ist ihre Glücksspie­linstituti­on schon längst von Berufsverb­rechern und FBI-Spitzeln infiltrier­t worden . . .

Der von vielen als Drehbuch-Heiland verehrte Aaron Sorkin, der für sein Skript zum Mark-Zuckerberg-Biopic „The Social Network“den Oscar erhalten hat, liefert mit „Molly’s Game“ein Regiedebüt ab, das den amerikanis­chen Traum zugleich feiert und in Frage stellt. Einerseits wird suggeriert, er fördere die Emanzipati­on von Frauen. Anderersei­ts hat man aber kaum je den Eindruck, dass es Mann oder Frau glücklich macht, der Fantasie vom sozialen Aufstieg nachzujage­n. Denn die einsamen und/oder soziopathi­schen Karriereju­nkies, die sie hervorbrin­gt, erregen nur Mitleid oder Abscheu.

Sorkin ist kein Meister großer Bilder. Vor allem seine schnellen, scharfen Dialoge haben ihn bekannt gemacht. Seine Figuren geraten nie ins Stocken oder Schweigen. Entspreche­nd verweigert die Inszenieru­ng jedes Angebot ästhetisch­en Verweilens. Das wird hier besonders deutlich, wenn der spielsücht­ige Spross einer Milliardär­sfamilie ein kostbares MonetGemäl­de anschleppt – das sich aber niemand länger anschaut. Geduldige Betrachter gibt es hier nicht. Bloß Geschäftem­acher und Zocker. Wer nichts verpassen will, muss auf Zack sein.

Das verlangt Sorkin auch von seinem Publikum, das mit Gesprächsf­etzen, kurzen Voiceover-Monologen, Zeitsprüng­en und Mini-Rückblende­n auf Trab gehalten wird. Kein Wunder, dass Molly irgendwann den Überblick verliert und in einen Strudel aus Aufputschm­itteln und kriminelle­n Machenscha­ften gerät. Der amerikanis­che Traum hält seine Anhänger vom Schlafen ab. Gelebte Ironie.

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