Heldenplatz: Fragile Töne statt Hitlers Gebrüll
Kunst zum Gedenken. „The Voices“heißt eine subtile, melancholische Klanginstallation von Susan Philipsz.
Nach Ende der Gedenkveranstaltung zum 80. Jahrestag des „Anschlusses“gestern in der Hofburg schritt das offizielle Österreich hinaus auf den Platz, den Heldenplatz, an dem zwei Tage nach der militärischen Grenzüberschreitung die ideologische stattfand – mit Hitlers Rede vom Altan der Neuen Burg. Auch hier kein Hauch von Gegenwehr. Die Fernsehbilder, der Tonmitschnitt der Hitler hier am 15. März 1938 zujubelnden Masse seien eine „audiovisuelle Ikone für die Mitverantwortung Österreichs an der Errichtung des NS-Terrorregimes“, leitete die Direktorin der ÖNB, Johanna Rachinger, Montagmittag die kurze Eröffnung der Kunstinstallation ein, die das Gedenken begleiten soll, mit ganz anderen Klängen, leisen, zarten.
Die schottische Künstlerin Susan Philipsz war vom Haus der Geschichte, das im November eröffnet, eingeladen worden, eine „nicht wieder bildprägende“, so Direktorin Monika Sommer, Intervention hier am Heldenplatz zu schaffen. Die Jury (u. a. mit Kurator Kaspar König) habe sich dabei von der Rede des Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel „inspirieren“lassen, der 1992 vom Altan herunter sprach, dass eine Läuterung nicht von dort oben, sondern nur von unten, von den Menschen kommen könne.
Philipsz’ ephemere Installation schafft jetzt genau das, ein Bewusstmachen, ein Begreifen dieses öffentlichen Raums: Durch vier Lautsprecherboxen an den Heldenplatzenden hat sie ihn eingekesselt, aus ihnen erklingen zweimal am Tag, um 12.30 und 18.30, für je zehn Minuten jene sirenenhaft schwingenden Töne, die entstehen, wenn man mit dem Finger über den Rand eines gefüllten Glases streicht.
„The Voices“nennt die in Berlin lebende Turner-Preis-Gewinnerin diese Arbeit, die wie ein atmosphärisches Netz auf den Platz heruntersinkt. Sie generiert ihre Kraft daraus, dass sie mit Gegenteilen arbeitet und auf Melancholie zielt: Statt Hitlers Gebrüll hört man fragile Töne, statt dem Splittern der „Kristallnacht“den Gesang des Glases. Der sei von allen Instrumenten der menschlichen Stimme übrigens am nächsten, erklärt Philipsz der „Presse“. Und es ging ihr eben auch um die Stimmen, die heute fehlen.
Was sie durchaus auch gegenwärtig meint: Durch die Platzierung der Lautsprecher auf der Hofburg sowie den gegenüberliegenden Parlamentscontainern überbrückt sie die Zeiten. Ihre Assoziationen führen aber weiter zurück, kreisen um Wien als Stadt des Kristalls (sie verwendete Lobmeyr-Weingläser), als Stadt, in der Mozart eigens für die Glasharmonika komponierte und in der Magnetiseur Franz A. Mesmer mit deren Tönen seine Patienten heilen wollte. Das englische „mesmerize“, hypnotisieren, so Philipsz, komme davon. Und so seien die Leute auch von Hitlers Rede „mesmerized“gewesen.
Auch diese subtile Klanginstallation – nur so laut wie ein Auto, das über den Platz fährt – vermag zu fesseln, zu irritieren, einen zum Innehalten zu bringen. Wenn man weiß, was man hört. Infos dazu gibt es nämlich nur im Eingangsbereich zur Nationalbibliothek. Bis November werden zumindest die Wiener es wissen. Dann wird wohl passieren, was auch mit Ruth Beckermanns drastischerer Intervention am HrdlickaDenkmal 2015 geschah. Sie wird verschwinden. In dem Fall verklingen.