Der große Beitrag der „Gerechten“
In jeder Generation gibt es Menschen, die durch ihre guten Taten helfen, die Menschenwürde zu bewahren.
Immer wieder hört man zum Jahrestag des Anschlusses Politikerreden über Lehren aus der Geschichte und die Ablehnung des Antisemitismus. Zuletzt kamen solche Erklärungen auch von Vertretern der FPÖ. Allerdings steht das Erscheinungsbild dieser Partei öfters im Widerspruch zu diesen schönen Ausführungen.
IKG-Präsident Oskar Deutsch hat es auf den Punkt gebracht: „Eine Aufarbeitung der Geschichte der FPÖ hat bereits stattgefunden und ist in zahlreichen Publikationen nachzulesen. Dies nochmals zu tun hat keinen Sinn und eignet sich auch nicht als Feigenblatt für antisemitische Vorfälle in der Gegenwart. Vielmehr wäre es angezeigt, dass sich diese Partei endlich zu ihrer Vergangenheit bekennt und daraus die Lehren zieht.“
Als einer der wenigen jüdischen Österreicher, die sich noch an den Anschluss erinnern können, als Journalist, der geklagt wurde, weil er im freiheitlichen Jahrbuch 1995 „(Neo)Nazi-Töne“fand und der am Ende erst beim Europäischen Menschenrechtsgericht 2007 recht bekam, finde ich die Forderung von Oskar Deutsch nur recht und billig.
Es wäre aber ein fataler Fehler zu glauben, antisemitisches Gedankengut wäre in Österreich mehrheitsfähig. Ich gehe als Zeitzeuge in Schulen und erlebe das andere Österreich, das sich ehrlich mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzt.
Jährlich veranstaltet das Bildungsministerium ein Zeitzeugenseminar in Salzburg. Es ist immer eine Freude und ein Ansporn, bei dieser Tagung den unermüdlichen, heuer 105 Jahre alten Zeitzeugen Marco Feingold zu erleben. Leider gibt es nicht mehr viele solcher Zeitzeugen.
Das, was ich als zehnjähriges jüdisches Kind 1938 in meiner Heimatstadt Baden erlebt habe, schrieb ich bereits 1995 im „Neuen FORVM“und 2013 in meinem Buch „Einmal Palästina und zu- rück“nieder. Ich versuchte, meine Geschichte zu schildern, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben und sie mit einem Schuss Selbstironie zu würzen.
Es war nicht einfach, sich nach der Rückkehr in Österreich zu integrieren. Einige Rückkehrer gingen an der Kälte, die ihnen hier entgegenschlug, zugrunde.
Oft erzähle ich von Professor Weber und seiner Familie, weil wir 1938 Glück hatten, solche Mieter zu haben. Als meine Mutter nach dem Anschluss nicht mehr wagte, auf die Straße zu gehen, weil Juden auch in Baden gezwungen wurden, vaterländische Parolen mit Zahnbürsten und Lauge zu entfernen, war Frau Weber bereit, die Einkäufe zu besorgen. Als mein Vater unser Haus Professor Weber zum Verkauf anbot, hatte dieser – sich auf sein christliches Gewissen berufend – sich geweigert am „Raubzug“teilzunehmen. 1940 unternahm meine Mutter einen verzweifelten Versuch, eine jüdische Freundin aus Baden zu retten. Sie reiste mit ihrem ungarischen Reisepass ein, Familie Weber nahm sie auf. Die Webers gehörten zu jenen „Gerechten“, die nach uraltem jüdischen Volksglauben in jeder Generation leben und durch ihre guten Taten den Weiterbestand der Menschheit ermöglichen.
Sich auf sie zu berufen, um die Gesellschaft als Ganzes zu entschulden, ist nicht akzeptabel. Aber diese Menschen sind Mahnung und Beispiel dafür, dass jeder – auch im Kleinen – seinen Beitrag dazu leisten kann, um Menschenwürde und Menschenrechte zu bewahren.