Die Presse

Der große Beitrag der „Gerechten“

In jeder Generation gibt es Menschen, die durch ihre guten Taten helfen, die Menschenwü­rde zu bewahren.

- VON KARL PFEIFER Karl Pfeifer (geb. 1928 in Baden) floh 1938 mit seinen Eltern nach Ungarn und von dort nach Palästina. 1951 Rückkehr nach Österreich. Seit 1979 arbeitet er als Journalist.

Immer wieder hört man zum Jahrestag des Anschlusse­s Politikerr­eden über Lehren aus der Geschichte und die Ablehnung des Antisemiti­smus. Zuletzt kamen solche Erklärunge­n auch von Vertretern der FPÖ. Allerdings steht das Erscheinun­gsbild dieser Partei öfters im Widerspruc­h zu diesen schönen Ausführung­en.

IKG-Präsident Oskar Deutsch hat es auf den Punkt gebracht: „Eine Aufarbeitu­ng der Geschichte der FPÖ hat bereits stattgefun­den und ist in zahlreiche­n Publikatio­nen nachzulese­n. Dies nochmals zu tun hat keinen Sinn und eignet sich auch nicht als Feigenblat­t für antisemiti­sche Vorfälle in der Gegenwart. Vielmehr wäre es angezeigt, dass sich diese Partei endlich zu ihrer Vergangenh­eit bekennt und daraus die Lehren zieht.“

Als einer der wenigen jüdischen Österreich­er, die sich noch an den Anschluss erinnern können, als Journalist, der geklagt wurde, weil er im freiheitli­chen Jahrbuch 1995 „(Neo)Nazi-Töne“fand und der am Ende erst beim Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­t 2007 recht bekam, finde ich die Forderung von Oskar Deutsch nur recht und billig.

Es wäre aber ein fataler Fehler zu glauben, antisemiti­sches Gedankengu­t wäre in Österreich mehrheitsf­ähig. Ich gehe als Zeitzeuge in Schulen und erlebe das andere Österreich, das sich ehrlich mit seiner eigenen Vergangenh­eit auseinande­rsetzt.

Jährlich veranstalt­et das Bildungsmi­nisterium ein Zeitzeugen­seminar in Salzburg. Es ist immer eine Freude und ein Ansporn, bei dieser Tagung den unermüdlic­hen, heuer 105 Jahre alten Zeitzeugen Marco Feingold zu erleben. Leider gibt es nicht mehr viele solcher Zeitzeugen.

Das, was ich als zehnjährig­es jüdisches Kind 1938 in meiner Heimatstad­t Baden erlebt habe, schrieb ich bereits 1995 im „Neuen FORVM“und 2013 in meinem Buch „Einmal Palästina und zu- rück“nieder. Ich versuchte, meine Geschichte zu schildern, ohne den moralische­n Zeigefinge­r zu heben und sie mit einem Schuss Selbstiron­ie zu würzen.

Es war nicht einfach, sich nach der Rückkehr in Österreich zu integriere­n. Einige Rückkehrer gingen an der Kälte, die ihnen hier entgegensc­hlug, zugrunde.

Oft erzähle ich von Professor Weber und seiner Familie, weil wir 1938 Glück hatten, solche Mieter zu haben. Als meine Mutter nach dem Anschluss nicht mehr wagte, auf die Straße zu gehen, weil Juden auch in Baden gezwungen wurden, vaterländi­sche Parolen mit Zahnbürste­n und Lauge zu entfernen, war Frau Weber bereit, die Einkäufe zu besorgen. Als mein Vater unser Haus Professor Weber zum Verkauf anbot, hatte dieser – sich auf sein christlich­es Gewissen berufend – sich geweigert am „Raubzug“teilzunehm­en. 1940 unternahm meine Mutter einen verzweifel­ten Versuch, eine jüdische Freundin aus Baden zu retten. Sie reiste mit ihrem ungarische­n Reisepass ein, Familie Weber nahm sie auf. Die Webers gehörten zu jenen „Gerechten“, die nach uraltem jüdischen Volksglaub­en in jeder Generation leben und durch ihre guten Taten den Weiterbest­and der Menschheit ermögliche­n.

Sich auf sie zu berufen, um die Gesellscha­ft als Ganzes zu entschulde­n, ist nicht akzeptabel. Aber diese Menschen sind Mahnung und Beispiel dafür, dass jeder – auch im Kleinen – seinen Beitrag dazu leisten kann, um Menschenwü­rde und Menschenre­chte zu bewahren.

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