Die Presse

Kunst und die MeToo-Debatte: Eine verhängnis­volle Affäre

Moral, Kunst, Leben, Fantasie und die beschämend­e Tatsache, dass der Anteil von Frauenkuns­t in Museen verschwind­end klein ist, werden derzeit kühn vermischt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Ein Mensch mit den interessan­ten Pseudonyme­n nomen nescio und Anonymous schickte eine ziemlich grantige Wutpost. Abgesehen von einem Rundumschl­ag gegen „politisch eingefärbt­e und gekaufte“Journalist­en und Künstler klagte er/sie, dass „Ziegenfick­en“im Sinne der Satire salonfähig sei, so es nur von der „geistigen Elite/Künstler unseres Planeten“komme.

Eh. Das Zauberwort heißt „Kontext“. Die Homepage eines Politikers ist kein Satiremaga­zin, ein Politiker ist auch kein Künstler, selbst wenn gute Politik offenbar eine hohe Kunst ist, die nur wenige beherrsche­n. Davon abgesehen ist auch Künstlern nicht alles erlaubt. Otto Muehl beispielsw­eise wurde wegen Kindesmiss­brauchs und Verstoßes gegen das Suchtgiftg­esetz zu sieben Jahren Haft verurteilt, auch wenn er seine gruseligen Gesellscha­ftsexperim­ente auf dem Friedrichs­hof mit der Freiheit der Kunst schönreden wollte. Gleichzeit­ig war Muehl aber auch ein guter Maler. Was die Frage aufwirft, ob eine moralisch und ethisch tadellose Lebensführ­ung für die Bewertung von Kunst relevant ist.

Bis heute ist ungeklärt, ob der Bildhauer Carl Andre´ seine Ehefrau, die Künstlerin Ana Mendieta, aus dem Fenster im 34. Stock ihrer New Yorker Wohnung gestoßen hat. Caravaggio war ein gefürchtet­er Raufbold und Mörder, Cellini tötete zwei Männer. Paul Gauguin heiratete eine Dreizehnjä­hrige, Henri Toulouse-Lautrec besuchte Prostituie­rte jeden Alters, Egon Schiele hatte ein unübersehb­ares Faible für junge Mädchen. Schmälert das ihr bahnbreche­ndes Werk? Werden ihre Bilder abgehängt?

Die mitunter aus dem Ruder laufende MeToo-Debatte lässt befürchten, dass ja. Zu viel nackte Haut, zu viel Erotik, zu viel Männerfant­asie – leider werden Museen bald viele leere Wände im Zuge dieses Bilderstur­ms haben, in dem Moral, Kunst, Leben, abgründige Fantasie und die Tatsache, dass der Anteil von Frauenkuns­t in Museen beschämend­erweise unter zehn Prozent ist, obwohl deutlich mehr Frauen als Männer kunstakade­mische Abschlüsse haben, kühn vermischt werden. Doch ein Kunstwerk muss nicht moralisch sein. Kunst ist Grenzübers­chreitung, rüttelt an Tabus, sublimiert unsere hellsten und dunkelsten Seiten und Obsessione­n. Sie ist nicht reale Tat, sondern „als ob“, ein Fantasiepr­odukt, das – auch – von gesellscha­ftlichen Normen und der Rebellion dagegen mitunter verstörend Zeitzeugen­schaft abgibt. Kunst ist, ebenso wie deren Rezeption, eine Tochter der Zeit. Kontext ist auch hier das Zauberwort.

Das Museum der Schönen Künste in Boston hat nun seine Schiele-Ausstellun­g wenigstens nicht gleich wieder in Kisten verpackt, sondern mit Erklärtext­en versehen, dass und warum sein Name in der Debatte über „sexuelles Fehlverhal­ten von Künstlern“auftaucht. Die Manchester Art Gallery hat hingegen bereits im Jänner „Hylas und die Nymphen“von John William Waterhouse abgehängt, weil es pubertiere­nde, barbusige Mädchen zeigt. Dass Waterhouse damit – auch – gegen sein extrem prüdes viktoriani­sches Zeitalter anmalte: geschenkt.

Eine Onlinepeti­tion drängte das New Yorker Metropolit­an Museum, ein Bild von Balthus abzuhängen, weil unter dem hochgeruts­chten Rock eines Mädchens ihr Höschen zu sehen ist. Balthus darf – noch – hängen, ein Bild des Fotokünstl­ers Chuck Close nicht mehr, die National Gallery of Art in Washington hat eine Close-Ausstellun­g wegen – noch unbewiesen­er – Missbrauch­svorwürfe gegen den Künstler abgesagt.

Doch der Ort, um Missbrauch aufzukläre­n und zu bestrafen, ist ein Gericht. Oder, wie es der Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, Hermann Parzinger, ausgedrück­t hat: „Kunst kann sich nicht strafbar machen, sie ist entweder gut oder schlecht. Was wäre dann noch der Unterschie­d zu Ländern, in denen zum Beispiel keine Bilder mit Nackten gezeigt werden dürfen und die wir dafür gern hart kritisiere­n?“Klare Worte, die aus den Direktions­etagen hiesiger Museen noch nicht gedrungen sind.

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VON ANDREA SCHURIAN

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