Kunst und die MeToo-Debatte: Eine verhängnisvolle Affäre
Moral, Kunst, Leben, Fantasie und die beschämende Tatsache, dass der Anteil von Frauenkunst in Museen verschwindend klein ist, werden derzeit kühn vermischt.
Ein Mensch mit den interessanten Pseudonymen nomen nescio und Anonymous schickte eine ziemlich grantige Wutpost. Abgesehen von einem Rundumschlag gegen „politisch eingefärbte und gekaufte“Journalisten und Künstler klagte er/sie, dass „Ziegenficken“im Sinne der Satire salonfähig sei, so es nur von der „geistigen Elite/Künstler unseres Planeten“komme.
Eh. Das Zauberwort heißt „Kontext“. Die Homepage eines Politikers ist kein Satiremagazin, ein Politiker ist auch kein Künstler, selbst wenn gute Politik offenbar eine hohe Kunst ist, die nur wenige beherrschen. Davon abgesehen ist auch Künstlern nicht alles erlaubt. Otto Muehl beispielsweise wurde wegen Kindesmissbrauchs und Verstoßes gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Haft verurteilt, auch wenn er seine gruseligen Gesellschaftsexperimente auf dem Friedrichshof mit der Freiheit der Kunst schönreden wollte. Gleichzeitig war Muehl aber auch ein guter Maler. Was die Frage aufwirft, ob eine moralisch und ethisch tadellose Lebensführung für die Bewertung von Kunst relevant ist.
Bis heute ist ungeklärt, ob der Bildhauer Carl Andre´ seine Ehefrau, die Künstlerin Ana Mendieta, aus dem Fenster im 34. Stock ihrer New Yorker Wohnung gestoßen hat. Caravaggio war ein gefürchteter Raufbold und Mörder, Cellini tötete zwei Männer. Paul Gauguin heiratete eine Dreizehnjährige, Henri Toulouse-Lautrec besuchte Prostituierte jeden Alters, Egon Schiele hatte ein unübersehbares Faible für junge Mädchen. Schmälert das ihr bahnbrechendes Werk? Werden ihre Bilder abgehängt?
Die mitunter aus dem Ruder laufende MeToo-Debatte lässt befürchten, dass ja. Zu viel nackte Haut, zu viel Erotik, zu viel Männerfantasie – leider werden Museen bald viele leere Wände im Zuge dieses Bildersturms haben, in dem Moral, Kunst, Leben, abgründige Fantasie und die Tatsache, dass der Anteil von Frauenkunst in Museen beschämenderweise unter zehn Prozent ist, obwohl deutlich mehr Frauen als Männer kunstakademische Abschlüsse haben, kühn vermischt werden. Doch ein Kunstwerk muss nicht moralisch sein. Kunst ist Grenzüberschreitung, rüttelt an Tabus, sublimiert unsere hellsten und dunkelsten Seiten und Obsessionen. Sie ist nicht reale Tat, sondern „als ob“, ein Fantasieprodukt, das – auch – von gesellschaftlichen Normen und der Rebellion dagegen mitunter verstörend Zeitzeugenschaft abgibt. Kunst ist, ebenso wie deren Rezeption, eine Tochter der Zeit. Kontext ist auch hier das Zauberwort.
Das Museum der Schönen Künste in Boston hat nun seine Schiele-Ausstellung wenigstens nicht gleich wieder in Kisten verpackt, sondern mit Erklärtexten versehen, dass und warum sein Name in der Debatte über „sexuelles Fehlverhalten von Künstlern“auftaucht. Die Manchester Art Gallery hat hingegen bereits im Jänner „Hylas und die Nymphen“von John William Waterhouse abgehängt, weil es pubertierende, barbusige Mädchen zeigt. Dass Waterhouse damit – auch – gegen sein extrem prüdes viktorianisches Zeitalter anmalte: geschenkt.
Eine Onlinepetition drängte das New Yorker Metropolitan Museum, ein Bild von Balthus abzuhängen, weil unter dem hochgerutschten Rock eines Mädchens ihr Höschen zu sehen ist. Balthus darf – noch – hängen, ein Bild des Fotokünstlers Chuck Close nicht mehr, die National Gallery of Art in Washington hat eine Close-Ausstellung wegen – noch unbewiesener – Missbrauchsvorwürfe gegen den Künstler abgesagt.
Doch der Ort, um Missbrauch aufzuklären und zu bestrafen, ist ein Gericht. Oder, wie es der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, ausgedrückt hat: „Kunst kann sich nicht strafbar machen, sie ist entweder gut oder schlecht. Was wäre dann noch der Unterschied zu Ländern, in denen zum Beispiel keine Bilder mit Nackten gezeigt werden dürfen und die wir dafür gern hart kritisieren?“Klare Worte, die aus den Direktionsetagen hiesiger Museen noch nicht gedrungen sind.