May warnt Moskau vor weiteren Provokationen
Geheimdienstkrise. Die Rivalität zwischen britischen und russischen Nachrichtendiensten hat eine lange Vorgeschichte. London war dabei immer wieder Schauplatz spektakulärer Morde.
Die britische Premierministerin, Theresa May, besuchte gestern, Donnerstag, die südenglische Stadt Salisbury, die nach der Giftattacke auf den russischen Exspion Sergej Skripal und dessen Tochter Julia noch nicht zum Alltag zurückgekehrt ist. Der Westen hat in der Affäre den Ton gegen Russland verschärft: Deutschland, Frankreich und die USA veröffentlichten gemeinsam mit Großbritannien eine Stellungnahme, wonach der Anschlag eine Verletzung des Völkerrechts darstelle. May drohte im Fall neuer Provokationen mit weiteren Sanktionen.
Düstere Männer im grauen Trenchcoat, den Hut in den Nacken gedrückt und das Gesicht hinter einer riesigen Brille verborgen. Das Erscheinungsbild der Spione, die in London undurchsichtigen Geschäften nachgehen, mag sich seit dem Kalten Krieg geändert haben. Aber ihre Aktivitäten sind kaum weniger als 1974, als John le Carre´ auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen Ost und West seinen Roman „Dame, König, Ass, Spion“veröffentlichte. George Smiley, wie die Hauptfigur des Klassikers heißt, lebt weiter unter uns.
Wenn er nicht gerade durch Nervengift ausgeschaltet werden soll, wie jüngst der in England lebende frühere russische Doppelagent Sergej Skripal (66) und seine Tochter Julia (33). Beide ringen im Krankenhaus von Salisbury mit dem Tod, weiter sind die Hintergründe der Tat weitgehend im Dunkeln. Doch da London Moskau verantwortlich macht (immerhin dürfte das benutzte Gift, Nowitschok, bisher nur in Russland erzeugt worden sein), hat sich ein schwerer diplomatischer Schlagabtausch entwickelt, wie man ihn seit Ende der UdSSR nicht erlebt hat.
Russland habe „eine Geschichte staatlich angeordneter Morde“, erklärte die britische Premierministerin, Theresa May, zu Wochenbeginn. Von einem „politischen Zirkus“sprach hingegen das russische Außenministerium. Mit der Ausweisung von 23 „nicht deklarierten“russischen Diplomaten – eine Umschreibung für „Agenten“– setzte London konkrete Schritte. Es dürften nicht die letzten sein.
Eine Geschichte der Rivalität
Sie reihen sich ein in eine lange Geschichte, denn die Beziehungen zwischen den beiden ehemaligen Supermächten waren auch eine der gegenseitigen Spionage und Unterwan- derung. Dass im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts russische Revolutionäre von Alexander Herzen bis Wladimir Lenin in London Unterschlupf fanden, war nicht nur dem Glauben der Briten an die liberale Demokratie geschuldet: Mit der Gewährung von Asyl war man besonders großzügig, wenn man sich davon die Schwächung eines Rivalen versprach. Am Hindukusch und im zentralasiatisch-persischen Raum standen sich damals beide Imperien im „Great Game“in Konfrontation gegenüber. Im Krim-Krieg 1853 fügte eine von den Briten mitgetragene französisch-türkisch-sardinische Allianz den Russen eine Niederlage zu, die sich in deren kollektive Psyche einbrannte. Zugleich waren die Herrscherhäuser in St. Petersburg und London über verwandtschaftliche Bande miteinander verbunden. Als die Romanows 1917