Wer das Nulldefizit finanziert
Studie. Die Lohnsteuerzahler finanzieren Lögers Nulldefizit unfreiwillig mit zwei Milliarden mit, die ihnen die kalte Progression abknöpft. Der Widerstand gegen deren Abschaffung ist groß.
Wir bekommen also zum ersten Mal seit 1960 ein Nulldefizit. Das ist so zwar nicht ganz richtig. Denn auf vergleichbarer Basis mit den Siebzigern oder Achtzigern (keine Auslagerungen, Zinsen für die Staatsschuld um rund 7 Milliarden Euro höher), hätten wir auch im jetzigen Budget ein ordentliches Loch.
Aber immerhin: Ein Anfang ist gemacht. Hilfreich sind dabei nicht nur die gute Konjunktur und Herr Draghi mit seinen Nullzinsen, sondern auch die vielen Lohnund Einkommensteuerzahler. Denn denen wird der Finanzmi- nister auch in den kommenden Jahren ein paar Milliarden zusätzlich abnehmen, indem er die kalte Progression weiter wirken lässt.
Deren Abschaffung beziehungsweise Milderung ist uns immer wieder versprochen, aber nie gehalten worden. Wie denn auch: Diese kalte Progression kommt ja einem zinsenlosen Kredit gleich, mit dem sich recht gut arbeiten lässt und den man dann – normalerweise im Fünfjahresrhythmus – publikumswirksam als jeweils größte Steuerreform aller Zeiten rückvergüten kann. Meist ohnehin nur teilweise.
Auch die neue Regierung denkt nicht daran, die relativ einfache, aber sehr steuerwirksame Maßnahme (eigentlich müssen nur die Lohnsteuerstufen mit der Inflationsrate indexiert werden) schnell einzuführen. Avisiert ist das Ganze frühestens für die geplante Lohnsteuerreform 2020. Und auch da ist noch lange nicht sicher, ob es tatsächlich zu einer echten Abschaffung der kalten Progression kommt oder nur zu einem nur wenig steuerwirksamen Umverteilungsmurks, wie ihn die rot-schwarze Vorgängerregierung geplant hatte.
Dabei geht es um nicht so kleine Summen. Der Budgetdienst des Parlaments hat auf Neos-Anfrage verschiedene Szenarien durchge- rechnet und – wie das Leben so spielt – zwei Tage vor der Budgetrede veröffentlicht. Die Parlamentsexperten haben drei Szenarien durchgespielt und errechnet, wie teuer den Österreichern die Verschiebung der Maßnahme bis 2020 kommt:
Das von der Vorgängerregierung geplante österreichische Modell, das eine Anpassung der unteren beiden Steuerstufen vorsieht, sobald die Inflation kumuliert fünf Prozent erreicht. Dieses Modell würde bis 2020 genau null Euro Lohnsteuerersparnis bringen. Einfach deshalb, weil die Inflation bis dahin die Fünf-Prozent-Schwelle nicht erreicht. Das Schweizer Modell. Die Eidgenossen erhöhen die Grenzen der Steuerklassen und die Höhe der Absetzbeträge jährlich um den Wert der Inflationsrate des vorangegangenen Jahres und verhindern so, dass Lohnsteuerzahler bei
ILohnerhöhungen nur wegen der Inflation in Steuerstufen hineinrutschen, die für sie eigentlich nicht gedacht waren. Dieses Modell würde die Lohnsteuerleistung heuer und im kommenden Jahr (also bis zur versprochenen Steuerstrukturreform) um satte 1,85 Mrd. Euro verringern. Und den Einsparungsbedarf des Finanzministers natürlich um ebendiesen Betrag erhöhen. Was erklärt, wieso dieses Modell in der Regierung wenig Freunde hat. Das schwedische Modell. Das ist das steuerzahlerfreundlichste von allen, weil es nicht nur Steuerstufen und Absetzbeträge automatisch an die Inflation koppelt, sondern zusätzlich noch einen Aufschlag zwischen einem und zwei Prozent bei den Steuerstufen (zwecks Annäherung an die Nominallohnerhöhung, wie es heißt) berechnet. Nach diesem Modell würden die Steuerzahler bis 2020 sogar um kumuliert 3,7 Mrd. Euro besser aussteigen als bei der herrschenden Lohnsteuerpraxis.
Klingt viel, ist es auch, aber was heißt das jetzt für den Einzelnen? Der Budgetdienst hat hier ein paar individuelle Beispiele (siehe Grafik) durchgerechnet. Ergebnis: Eine gut verdienende Familie (beide je 4000 Euro brutto) zahlt wegen des Beharrens der Regierung auf die Nichtbeseitigung der kalten Progression bis 2020 um 2300 Euro zu viel Lohnsteuer. Einer der beiden arbeitet also deutlich mehr als ein halbes Monat nur für den Windfall Profit der Finanz.
Natürlich ist die Belastung durch die kalte Progression nicht linear über alle Steuerstufen gleich. Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuer – und wird in diesem Fall auch mehr entlastet. Das nennen viele ungerecht: Wenigverdiener „bekommen“nichts. Das ist freilich ein haarsträubendes (wenn in der politischen Diskussion auch häufig gebrauchtes) Argument: Es geht hier nicht ums Verteilen, also „Bekommen“, sondern ums „nicht ungerechtfertigt Wegnehmen“. Und: Sozialpolitik ist bei den Transfers besser aufgehoben.