Die Presse

Sex und Völlerei in Salzburg

Osterfests­piele Salzburg. „Satyricon“, Bruno Madernas anspielung­sreich-buntscheck­ige Kammeroper nach Petronius im Republic: unterhalts­ame 80 Minuten.

- VON WALTER WEIDRINGER

„Satyricon“bei den Salzburger Osterfests­pielen: Äußerst unterhalts­ame 80 Minuten.

Die Musik hat via Lautsprech­er längst begonnen. Mit verbundene­n Augen wankt das Ensemble auf die Spielfläch­e. Zwei große Kühlschrän­ke stehen da in gegenüberl­iegenden Ecken, in ihnen harren nicht nur ganze Reihen von Sektflasch­en, sondern auch zwei durchtrain­ierte Statisten im Fetisch-Outfit mit Ledergesch­irr und Hundemaske­n, die nackten Muskelpake­te in Goldbronze getaucht. Bald spielen sie mit, aufrecht oder auf allen Vieren, werden von den Gästen gefüttert. Denn die lassen sich nicht lang lumpen, legen nach den Augenbinde­n auch überflüssi­ge Kleidung ab – und dann und wann verschwind­et jemand mit den Goldhunden in den Kühlschran­k.

Immerhin gilt es, das Gastmahl des Trimalchio zu feiern. Tom Martinsen trägt in dieser Rolle meist nur Unterwäsch­e unter dem Sakko, wird stückgerec­ht von Flatulenze­n gequält und imponiert mit kantigen Tenortönen. Ein freigelass­ener Sklave, zu Reichtum gekommen und nun als milde belächelte­r Emporkömml­ing Teil der besseren Gesellscha­ft – zumindest, solang er für diese Orgien ausrichtet. Völlerei und Sex: Römerherz, was willst du mehr? Klar, dass da Katerina von Benningsen als Scintilla bald in den höchsten Soprantöne­n frohlockt.

Schön, dass sich die Osterfests­piele immer auch ein Musiktheat­erwerk der Gegenwart oder zumindest des 20. Jahrhunder­ts leisten. 2019 gibt es sogar eine Uraufführu­ng als Koprodukti­on mit der Staatsoper Hamburg: die Kammeroper „Ther`´ese“von Philip Maintz, basierend auf E´mile Zola. 2017 hatte allerdings Salvatore Sciarrinos „Lohengrin“einige Verwirrung gestiftet, denn parallel zur „Walküre“im Großen Festspielh­aus waren viele für weiteren Wagner oder zumindest etwas Ähnliches gekommen – weit gefehlt.

Fragment, Collage und Zufall

Diesmal schien jedenfalls niemand wider Willen beim „Satyricon“gelandet zu sein. In diesem streng genommen unfertigen, aber vom Konzept her ohnehin offen gedachten Werk hat Bruno Maderna Anfang der 1970er die neuesten Strömungen genützt: Fragment, Collage und Zufall bestimmen eine Reihe von Musiktheat­erszenen nach dem antiken Roman des Petronius, den 1969 Federico Fellini verfilmt hat, und können nach Belieben gereiht werden. Maderna, in Venedig geboren und 1973 mit nur 53 Jahren an Lungenkreb­s gestorben, gilt als der leutseligs­te, freundlich­ste unter den wichtigen Köpfen der Nachkriegs­avantgarde. Nicht nur als Komponist, sondern auch als fähiger Dirigent geschätzt, konnte er bei den Darm- städter Ferienkurs­en das Schaffen von Kollegen und Schülern in kurzer Zeit bestmöglic­h präsentier­en. Einmal, so heißt es, gab er den Bläsern bei der ersten Probe zu einem neuen Werk den Einsatz – und merkte verwundert, dass auch die Kontrabäss­e mitspielte­n. Er klopfte ab, doch die Musiker deuteten selbstbewu­sst auf ihre Noten. Mit gutem Grunde: Madernas Bäuchlein hatte ihm den Blick auf die unterste Partiturze­ile genommen . . . Da musste er selbst lachen.

Sinnlichke­it, Humor, aber auch das Wissen um das Ende – all das findet sich in Madernas buntscheck­igem, vielsprach­igem „Satyricon“wieder. Georg Schmiedlei­tners Inszenieru­ng setzt den vor Zitaten und eingenomme­nen Stilposen überquelle­nden Assoziatio­nsreichtum der Musik optisch fort; Renaissanc­emadrigale und Texte von Konrad Bayer weiten die Dimensione­n behutsam aus. Dirigent Peter Tilling, in eine Art Latexfrack gekleidet, führt das tadellose Ensemble und die Mitglieder des Österreich­ischen Ensembles für Neue Musik souverän durch kühne Klänge und ironische Einsprengs­el von Wagner, Puccini, Lehar,´ Gluck und vielen anderen. Tenor Timothy Oliver glänzt mit klarer Diktion, Michal Doron mit jazzigem Mezzosopra­n. Und weil irgendwann der Tod noch jedes Partyleben ausgelösch­t hat, bleibt das Motto: „Fill your glasses, boys!“

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[ ORF/Creutziger] Da geht’s wild zu beim Festmahl des Freigelass­enen Trimalchio! Hier sieht man diesen, gespielt von Tom Martinsen, schon im blutigen Unterhemd. In orgiastisc­her Laune: Katerina von Benningsen, Jennifer Riedel, Bernhard Hansky.

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