Westen will Osten nicht als Vorbild
Systemfehler. Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern folgt keiner Logik. Klare Verantwortungen fehlen, Mehrfachförderungen sind möglich, für echte Reformen fehlt der Mut.
Die Bundesregierung will die Mindestsicherung aus Oberösterreich als Vorbild für Österreich. Der Westen protestiert.
Wien. Josef Krainer senior (1903 bis 1971) war ein legendärer Landeshauptmann der Steiermark. Doch der frühere Holzknecht soll Probleme damit gehabt haben, das Wort „Föderalismus“auszusprechen. Immer wieder entkam ihm das Wort „Förderalismus“. Und vielleicht war Krainer dadurch, dass er ein zusätzliches r einbaute, sogar an der Wahrheit näher dran.
Mehrfachförderungen, Kompetenzwirrwarr – das alles sind Dinge, die mit dem Thema Föderalismus assoziiert werden. Wobei Föderalismus ja nichts grundsätzlich Schlechtes wäre, wenn das Verhältnis zwischen Bund und Ländern nur durchdachter wäre. Aber welche Probleme gibt es, und worauf gehen sie zurück?
1 Man konnte sich von Beginn an nicht auf ein klares System einigen.
Das System hat schon einen Geburtsfehler: Als Österreich am Sprung von der Monarchie in die Republik war, stritten sich die politischen Kräfte. Die Sozialdemokraten waren für einen Zentralstaat, die Christlichsozialen für starke Bundesländer. Herausgekommen ist eine typisch österreichische Lösung: Ein Mischsystem, mit dem alle leben können, das aber ineffizient ist.
2 Die Kompetenzverteilung ist verwirrend und nicht klar genug.
Verfassungsrechtlich betrachtet gibt es vier Möglichkeiten: A) Der Bund macht die Gesetze und vollzieht sie. B) Der Bund macht die Gesetze, das Land vollzieht sie. C) Der Bund macht die Grundsatzgesetze, das Land aber die Ausführungsgesetze und die Vollziehung. D) Das Land macht die Gesetze allein und vollzieht sie auch. Klingt kompliziert, ist es auch. Zudem können einander Bund und Länder gegenseitig in die Quere kommen. So ist etwa Jagdrecht Landes-, das Forstrecht Bundessache. Gejagt wird aber meist im Wald.
3 Wer zahlt, schafft nicht immer an. Denken endet an der Landesgrenze.
Spitäler werden teils vom Bund, teils von Ländern und teils von Gemeinden gezahlt. Eine klare Aufteilung fehlt. Wenig sinnvoll ist es auch (was bei Spitalsstandorten immer wieder passiert), in Landesgrenzen zu denken. Ohne darauf zu schauen, ob es nahe, aber in einem anderen Bundesland, schon ein Krankenhaus gibt.
Ein Zusatzproblem im österreichischen System ist, dass Geld vor allem über den Finanzausgleich vom Bund an andere Gebietskörperschaften verteilt wird. Wenn Länder das Geld einheben müssten, das sie ausgeben, könnte die Politik ganz anders aussehen.
4 Die den Ländern eingeräumten Rechte sind mäßig sinnvoll.
Jugendschutz, Baurecht, Bestattung bis hin zur Waldschnepfenverordnung: Es sind nicht die schillerndsten Materien, in denen es Ländergesetze oder Länderverordnungen geben darf.
Neun verschiedene Baurechte machen der Wirtschaft das Leben schwer. Und ob ein Teenager in Linz wirklich einen anderen Jugendschutz als ein Gleichaltriger in Innsbruck benötigt? Die Scolopax rusticola, wie die Vogelart der Waldschnepfe Lateinisch heißt, wird vielleicht auch nicht darauf bestehen, dass ihre Abschusszahl unbedingt per Landesrecht geregelt werden muss.
Besser wäre es, die Gesetzgebungskompetenzen beim Bund zu bündeln und die Länder zu entmachten. Oder aber den Ländern sinnvollere Rechte zu geben – eben etwa bei der Steuerhoheit.
5 Reformideen liegen längst vor, die Politik ist nur nicht mutig genug.
Österreich-Konvent, Expertengruppe, Wirtschaftsrat: Von vielen Seiten gab es Vorschläge für tiefgreifende Bund-Länder-Reformen. Umgesetzt wurden sie nie. Bundespolitiker scheuten den Konflikt mit den mächtigen Landeshauptleuten. Ob es in dieser Legislaturperiode anders wird? Landespolitiker sollen schon bei der Regierungsbildung verhindert haben, dass Reformer Josef Moser ein mächtigeres Ministerium bekommt.
6 Dinge können doppelt und dreifach gefördert werden.
2010 rief die damalige Regierung die Transparenzdatenbank ins Leben. Gemeinden, Länder und der Bund sollen ihre Förderdaten eintragen, um Mehrfachzahlungen abzustellen. Das Projekt lief schlecht an. Erst im Vorjahr kritisierte der Rechnungshof die Datenbank: Seitens des Bunds würden die Leistungen unübersichtlich eingetragen, von den Ländern habe es keine Zahlungsdaten gegeben, die Gemeinden hätten weder Leistungsangebote noch Zahlungsdaten kundgetan.
Besserung wurde gelobt, sie tut auch not. Und so lange gilt, dass Josef Krainer schon recht hatte, als er vom „Förderalismus“sprach.