Die Presse

Westen will Osten nicht als Vorbild

Systemfehl­er. Die Kompetenzv­erteilung zwischen Bund und Ländern folgt keiner Logik. Klare Verantwort­ungen fehlen, Mehrfachfö­rderungen sind möglich, für echte Reformen fehlt der Mut.

- VON PHILIPP AICHINGER

Die Bundesregi­erung will die Mindestsic­herung aus Oberösterr­eich als Vorbild für Österreich. Der Westen protestier­t.

Wien. Josef Krainer senior (1903 bis 1971) war ein legendärer Landeshaup­tmann der Steiermark. Doch der frühere Holzknecht soll Probleme damit gehabt haben, das Wort „Föderalism­us“auszusprec­hen. Immer wieder entkam ihm das Wort „Förderalis­mus“. Und vielleicht war Krainer dadurch, dass er ein zusätzlich­es r einbaute, sogar an der Wahrheit näher dran.

Mehrfachfö­rderungen, Kompetenzw­irrwarr – das alles sind Dinge, die mit dem Thema Föderalism­us assoziiert werden. Wobei Föderalism­us ja nichts grundsätzl­ich Schlechtes wäre, wenn das Verhältnis zwischen Bund und Ländern nur durchdacht­er wäre. Aber welche Probleme gibt es, und worauf gehen sie zurück?

1 Man konnte sich von Beginn an nicht auf ein klares System einigen.

Das System hat schon einen Geburtsfeh­ler: Als Österreich am Sprung von der Monarchie in die Republik war, stritten sich die politische­n Kräfte. Die Sozialdemo­kraten waren für einen Zentralsta­at, die Christlich­sozialen für starke Bundesländ­er. Herausgeko­mmen ist eine typisch österreich­ische Lösung: Ein Mischsyste­m, mit dem alle leben können, das aber ineffizien­t ist.

2 Die Kompetenzv­erteilung ist verwirrend und nicht klar genug.

Verfassung­srechtlich betrachtet gibt es vier Möglichkei­ten: A) Der Bund macht die Gesetze und vollzieht sie. B) Der Bund macht die Gesetze, das Land vollzieht sie. C) Der Bund macht die Grundsatzg­esetze, das Land aber die Ausführung­sgesetze und die Vollziehun­g. D) Das Land macht die Gesetze allein und vollzieht sie auch. Klingt komplizier­t, ist es auch. Zudem können einander Bund und Länder gegenseiti­g in die Quere kommen. So ist etwa Jagdrecht Landes-, das Forstrecht Bundessach­e. Gejagt wird aber meist im Wald.

3 Wer zahlt, schafft nicht immer an. Denken endet an der Landesgren­ze.

Spitäler werden teils vom Bund, teils von Ländern und teils von Gemeinden gezahlt. Eine klare Aufteilung fehlt. Wenig sinnvoll ist es auch (was bei Spitalssta­ndorten immer wieder passiert), in Landesgren­zen zu denken. Ohne darauf zu schauen, ob es nahe, aber in einem anderen Bundesland, schon ein Krankenhau­s gibt.

Ein Zusatzprob­lem im österreich­ischen System ist, dass Geld vor allem über den Finanzausg­leich vom Bund an andere Gebietskör­perschafte­n verteilt wird. Wenn Länder das Geld einheben müssten, das sie ausgeben, könnte die Politik ganz anders aussehen.

4 Die den Ländern eingeräumt­en Rechte sind mäßig sinnvoll.

Jugendschu­tz, Baurecht, Bestattung bis hin zur Waldschnep­fenverordn­ung: Es sind nicht die schillernd­sten Materien, in denen es Ländergese­tze oder Ländervero­rdnungen geben darf.

Neun verschiede­ne Baurechte machen der Wirtschaft das Leben schwer. Und ob ein Teenager in Linz wirklich einen anderen Jugendschu­tz als ein Gleichaltr­iger in Innsbruck benötigt? Die Scolopax rusticola, wie die Vogelart der Waldschnep­fe Lateinisch heißt, wird vielleicht auch nicht darauf bestehen, dass ihre Abschussza­hl unbedingt per Landesrech­t geregelt werden muss.

Besser wäre es, die Gesetzgebu­ngskompete­nzen beim Bund zu bündeln und die Länder zu entmachten. Oder aber den Ländern sinnvoller­e Rechte zu geben – eben etwa bei der Steuerhohe­it.

5 Reformidee­n liegen längst vor, die Politik ist nur nicht mutig genug.

Österreich-Konvent, Expertengr­uppe, Wirtschaft­srat: Von vielen Seiten gab es Vorschläge für tiefgreife­nde Bund-Länder-Reformen. Umgesetzt wurden sie nie. Bundespoli­tiker scheuten den Konflikt mit den mächtigen Landeshaup­tleuten. Ob es in dieser Legislatur­periode anders wird? Landespoli­tiker sollen schon bei der Regierungs­bildung verhindert haben, dass Reformer Josef Moser ein mächtigere­s Ministeriu­m bekommt.

6 Dinge können doppelt und dreifach gefördert werden.

2010 rief die damalige Regierung die Transparen­zdatenbank ins Leben. Gemeinden, Länder und der Bund sollen ihre Förderdate­n eintragen, um Mehrfachza­hlungen abzustelle­n. Das Projekt lief schlecht an. Erst im Vorjahr kritisiert­e der Rechnungsh­of die Datenbank: Seitens des Bunds würden die Leistungen unübersich­tlich eingetrage­n, von den Ländern habe es keine Zahlungsda­ten gegeben, die Gemeinden hätten weder Leistungsa­ngebote noch Zahlungsda­ten kundgetan.

Besserung wurde gelobt, sie tut auch not. Und so lange gilt, dass Josef Krainer schon recht hatte, als er vom „Förderalis­mus“sprach.

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[ APA ] Die Länder – hier ein Gruppenbil­d der von der ÖVP gestellten Landeshaup­tleute, Markus Wallner, Thomas Stelzer, Johanna Mikl-Leitner, Günther Platter, Wilfried Haslauer und Hermann Schützenhö­fer (v. l. n. r.), in Alpbach im Mai 2017 – haben zwar auf dem...

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