„Ein Beispiel reicht, alarmiert zu sein“
Schule. Der Wiener SPÖ-Bildungsstadtrat, Jürgen Czernohorszky, will Gewalt an Schulen ernst nehmen. Das Bildungsbudget sei ein Schlag ins Gesicht der Wiener Lehrer.
Die Presse: Lehrer haben zuletzt immer häufiger über Gewalt an Schulen geklagt. Jetzt lädt der Stadtschulrat zum runden Tisch. Wie dramatisch ist die Situation? Wir wissen aus den Schulen, dass Gewalt an sich ein bekanntes Thema ist. Was teilweise zunimmt, ist, dass Jugendliche weitergehen. Das sind salopp gesagt die Fälle, bei denen draufgehaut wird, wenn einer schon auf dem Boden liegt. Das muss man sehr ernst nehmen.
Erzählt wurde schon vor Längerem von Bespucken, Beleidigungen, körperlichen Attacken, auch gegen Lehrer. Warum dauert es so lang, bis etwas getan wird? Gerade in der Gewaltprävention hat sich irrsinnig viel getan. Es gibt eine Vielzahl an Projekten. Aber: Das Bessere ist immer der Feind des Guten. Das ist auch der Grund für diesen runden Tisch. An einzelnen Schulen braucht es offenbar mehr Unterstützung.
Es macht den Eindruck, dass das Thema Gewalt lang nicht breit und offen diskutiert wurde. Mein Eindruck ist ein anderer. Es ist gewünscht, dass sich die Lehrer an den Stadtschulrat wenden und Hilfe holen, wenn sie Schwierigkeiten haben. Daraus die Geschichte zu machen, sie hätten das in der Vergangenheit nicht gekonnt, halte ich für sehr gewagt.
Lehrervertreter kritisieren, dass sich ihre Kollegen nicht trauen, öffentlich über solche Dinge zu sprechen, weil sie Konsequenzen fürchten. Müssen sie nicht? Natürlich nicht. Wenn ein Lehrer nicht die Möglichkeit hat, darüber zu reden und Unterstützung zu suchen, kann nichts besser werden.
Ich spreche jetzt von der Öffentlichkeit, nicht vom Direktor. Jeder kann seine Arbeitssituation schildern – auch mit dem Ruf nach mehr Unterstützung. Die Lehrer in Wien stehen vor mehr Herausforderungen als andere. Jeder, der sagt, „Schauts da genauer hin“, stößt ins gleiche Horn wie ich.
Der Ruf nach Unterstützung geht an die Regierung, nehme ich an. Man muss hinschauen, in welcher Schule, in welcher Klasse die Herausforderungen größer sind und mehr Mittel hingeben. Das Unterstützungspersonal aus dem Integrationstopf, das genau so verteilt wurde, ist jetzt gestrichen. Die Begründung, dass die Herausforderungen temporär gewesen seien, schockiert mich. Und das ist für jeden Wiener Lehrer ein Schlag ins Gesicht. Weil die Herausforderungen hier nicht temporär sind.
Warum steckt nicht Wien Geld hinein, wenn es so dramatisch ist? Wien investiert weiter 20 Millionen Euro für die Förderung 2.0, baut Unterstützungspersonal aus. Vom Bund fordern wir aber zumindest, dass er die mehr als 300 Unterstützungspersonen aus dem Integrationstopf weiter finanziert.
Die von der Stadt versprochenen 100 Schulpsychologen sind aber noch nicht alle in den Schulen. Schon bei der Ankündigung haben wir gesagt, dass wir das Jahr für Jahr aufstocken. Weil Wiens Schulen vom Bund jetzt allein gelassen werden, stehen wir mit Herbst vor großen Herausforderungen.
Zurück zur Gewalt. Wiens ÖVP ist damit abgeblitzt, alle Vorfälle zu dokumentieren. Haben Sie Angst vor dem Ergebnis? Die ÖVP hat vorgeschlagen, dass das im Schulgesetz verankert werden soll. Das ist dort aber nicht regelbar. Unser Ziel ist, die Informationen aus den Schulen zu bekommen und dann zu reagieren. Da ist der Weg des Stadtschulrats der richtige: ein runder Tisch.
Aber ist es nicht ein riesiges Problem, dass niemand weiß, wie oft das vorkommt – also sind Zahlen nicht dringend notwendig? Wenn man bei dem runden Tisch draufkommt, was es zusätzlich zu den vielen Dingen braucht, die wir ohnehin schon tun, dann tun wir das. Und wenn das das Ergebnis ist, wird man es auch machen.
Ein anderes Thema ist die islamische Radikalisierung. Manche meinen, es werde nicht offen genug diskutiert, um der FPÖ nicht in die Hände zu spielen. Seit ich Bildungsstadtrat bin, wird darüber breit diskutiert. Und Wien hat begonnen, intensiv im Bereich Deradikalisierung zu arbeiten, als das noch keine andere europäische Stadt getan hat. Das Projekt ist von der Republik ausgezeichnet worden, weil es ein guter Weg ist. Nicht, dass der fertig gegangen wäre.
Der Plattform Addendum hat eine Lehrervertreterin erzählt, dass die Schüler Musik ablehnen, dass sie sich an der Scharia orientieren. Sind das Einzelfälle? Es reicht ein einziges Beispiel, um alarmiert zu sein. Das darf nicht sein. Es gibt gemeinsame Regeln, an die man sich halten muss. Wesentlich ist auch hier, dass man die Lehrer mit den Herausforderungen nicht allein lässt. Mit Einsparungen wird es halt nicht gehen.
Den Handschlag, das Schwimmen oder das Singen verweigern: Was ist denn ein totales No-go? Das sind alles No-goes.
SPÖ-Parteimanagerin Barbara Novak hat die Debatte ums Kopftuch an Schulen wieder aufgeworfen. Sie wollen kein Verbot? Mir bereitet das Kopftuch gerade bei Kindern Unbehagen. Ich will nicht, dass Kinder Kopftücher tragen. Das probate Mittel dagegen ist aber nicht das Verbot, sondern der intensive Kontakt mit Kindern und Eltern, den die Lehrer vor Ort haben. Sie können notfalls auch das Jugendamt einschalten.
Das bleibt die Linie der SPÖ? Das ist noch von niemandem infrage gestellt worden.
Von Barbara Novak schon. Ich habe das nicht so gelesen.