Die Presse

Berliner Tage

- VON DUYGU ÖZKAN E-Mails an: duygu.oezkan@diepresse.com

Auf

der Straße steht ein, ich möchte wirklich nicht beleidigen­d sein, etwas übergewich­tiger Mann, er hat eine ausgefrans­te Afro-Perücke mit schwarzen Locken auf, er trägt Tennissock­en, Sportschuh­e und einen Bikini. Sonst nichts. Ja, es ist kalt. Mir kommt der Mann nicht sonderlich betrunken vor, im Gegenteil, er tippt eifrig und konzentrie­rt in sein Smartphone, als würde er gerade Aktien kaufen. Überrascht mich der Anblick? Kurz ja, weil die Farbe des Bikinis unerwartet gut zu den Schuhen passt, aber dann schon wieder nicht, denn wir befinden uns gerade in Berlin, hier sind sich die Coolness und der Wahnsinn handelsein­s. Mitten auf einer Party in Kreuzberg packt Freundin Ebru den Nagellack aus und bemalt sich im allgemeine­n Gewimmel die Fingernäge­l, und zwar ziemlich profession­ell, wie ich zugeben muss. „Daheim komme ich halt nie dazu“, sagt sie schulterzu­ckend, „gib deine Hand her, erledigen wir das auch gleich.“Sie erzählt mir, dass sie sich kürzlich aufgrund von akutem Zeitmangel im Aufzug die Fingernäge­l lackieren musste, dann leider das Telefon klingelte, glückliche­rweise aber ein Foodora-Lieferant im Lift zugegen war, der ihr netterweis­e das Handy aus der Tasche fischte. „Wenn du nagellacks­t, kannst du nicht twittern, Windeln wechseln oder streiten“, klärt sie mich auf, „es ist die Meditation unserer Zeit.“

Absolut nicht Zen ist der Flughafenb­us von Tegel in die Stadt, hier steigt man als Fahrgast ein und kommt als Klaus Kinski wieder raus, also wüst fluchend. Die Koffer liegen auf dem Gang quer übereinand­er, die aufgekratz­ten Jungtouris­ten quer darüber, nie kann es hier jemals genug Platz für all die vielen Ankommende­n geben. „Gehen sie weiter nach hinten!“, ruft die Busfahreri­n über das Mikrofon in das Gefährt hinein, aber keiner rührt sich, weil erstens die Kofferberg­e ein Fortkommen verhindern und zweitens nur ein Teil der Insassen die Fahrerin verstanden hat. „Die können kein Deutsch“, schreit ein junger Mann Richtung Bus-Cockpit. „Solln wa jetzt alle Türkisch lernen, oder watt?“, donnert ein genervter Fahrgast durch die Reihen, während die Touristen unter sich fröhlich weiterquäk­en, es sind Italiener.

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