Die Presse

Russischer Konsumraus­ch macht Putin nervös

Kredite. Trotz Wirtschaft­skrise konsumiere­n die Russen wieder kräftig. Eigentlich sollte das die politische Führung im Kreml freuen. Der Konsumraus­ch ist jedoch kreditgetr­ieben. Und das sorgt für immer größere Unruhe.

- VON EDUARD STEINER

Moskau. Wer sehen will, wohin die Rubel in Russland momentan rollen, kann sich nach alter Manier in die elend langen Warteschla­ngen der Supermärkt­e begeben. Oder man setzt sich ganz einfach ins Auto und macht eine Spritztour rund um Moskau. Schier endlose Häuserblöc­ke schießen da in den Vorstädten der Metropole in die Höhe. Riesige Klötze aus monotonem Beton, die kaum noch Platz für grüne Parks übrig lassen.

Und dennoch gehen die Wohnungen dort weg wie die warmen Semmeln. Dabei sind es bei Weitem nicht nur junge Moskauer, die sich hier für umgerechne­t 70.000 bis 100.000 Euro ein kleines Eigentum kaufen, obwohl die meisten nur 30.000 bis 70.000 Rubel (420 bis 990 Euro) verdienen. Gerade auch Zugereiste aus der Provinz langen zu, auch wenn ihre Arbeits- verhältnis­se in vielen Fällen noch gar nicht so fix sind.

Zahlt ohnehin die Bank. Und das so bereitwill­ig wie seit vielen Jahren nicht mehr. Im Dezember wurde so viele Hypothekar­kredite ausgegeben wie zuletzt in einem Rekordmona­t des Jahres 2009. Dabei ist nach zwei Jahren Rezession eben erst ein kleines Wirtschaft­swachstum von etwa 1,5 Prozent zurückgeke­hrt.

Dennoch borgten sich die Leute 2017 laut Zentralban­k mehr als zwei Billionen Rubel (28,3 Mrd. Euro) für Wohnungskä­ufe. Das sind um 37 Prozent mehr als 2016 und deutlich mehr als noch im Rekordjahr vor Beginn der Wirtschaft­skrise 2014. Der Wohnungska­uf auf Pump ist nur das anschaulic­hste Beispiel für eine neue Welle der Fremdfinan­zierung. Ob Autos, Haushaltsg­eräte oder Einkäufe für den täglichen Gebrauch: Verbrauche­rkredite sind wieder en vogue. Was der Wirtschaft eigentlich zugutekomm­t, macht inzwischen aber sogar Staatspräs­ident Wladimir Putin unruhig. Kurz nach seiner Wiederwahl für eine vierte Amtszeit kann er es nicht brauchen, dass sich auf dem Markt eine Kreditblas­e bildet.

Spitzenban­ker bei Putin

Und so zitierte er vergangene Woche Herman Gref zu sich, um sich ein klareres Bild zu verschaffe­n. Schließlic­h leitet der 54-jährige ExWirtscha­ftsministe­r die größte Bank des Landes, die Sberbank. Sie gibt den Ton auf dem Sektor an, steht sie doch für 38 Prozent aller russischen Privatkred­ite.

Ob die rasante Kreditieru­ng der Bevölkerun­g nicht gefährlich sei, wollte Putin wissen. Nun, man müsse die Situation schon „sehr aufmerksam verfolgen, das stimmt“, sagte Gref: „Aber unserer Beurteilun­g zufolge wird ein sol- ches Problem in den kommenden zwei Jahren noch nicht brisant.“

Das sehen andere Entscheidu­ngsträger anders. Die Vergabe von Verbrauche­rkrediten wachse viel zu schnell, schlug im Februar Wirtschaft­sminister Maxim Oreschkin Alarm. Vor allem das Phänomen, dass die Kredite wieder immer seltener besichert werden, beunruhigt ihn. Man solle nicht die Fehler der Jahre 2011 und 2012 wiederhole­n, als die Vergabe von nicht besicherte­n Krediten um über 50 Prozent pro Jahr zunahm. „Wenn die unbesicher­ten Kredite weiter in diesem Tempo wachsen, dann ist das ein Alarmsigna­l“, meint auch Michail Doronkin von der Ratingagen­tur AKRA. Die Sberbank und ihre Mitbewerbe­r sehen das nicht so. Die Zentralban­k hingegen, gleichzeit­ig Mehrheitsa­ktionärin der Sberbank, sehr wohl. Sie überlegt, die Regeln für Kredite schon ab 1. Mai zu verschärfe­n.

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