Russischer Konsumrausch macht Putin nervös
Kredite. Trotz Wirtschaftskrise konsumieren die Russen wieder kräftig. Eigentlich sollte das die politische Führung im Kreml freuen. Der Konsumrausch ist jedoch kreditgetrieben. Und das sorgt für immer größere Unruhe.
Moskau. Wer sehen will, wohin die Rubel in Russland momentan rollen, kann sich nach alter Manier in die elend langen Warteschlangen der Supermärkte begeben. Oder man setzt sich ganz einfach ins Auto und macht eine Spritztour rund um Moskau. Schier endlose Häuserblöcke schießen da in den Vorstädten der Metropole in die Höhe. Riesige Klötze aus monotonem Beton, die kaum noch Platz für grüne Parks übrig lassen.
Und dennoch gehen die Wohnungen dort weg wie die warmen Semmeln. Dabei sind es bei Weitem nicht nur junge Moskauer, die sich hier für umgerechnet 70.000 bis 100.000 Euro ein kleines Eigentum kaufen, obwohl die meisten nur 30.000 bis 70.000 Rubel (420 bis 990 Euro) verdienen. Gerade auch Zugereiste aus der Provinz langen zu, auch wenn ihre Arbeits- verhältnisse in vielen Fällen noch gar nicht so fix sind.
Zahlt ohnehin die Bank. Und das so bereitwillig wie seit vielen Jahren nicht mehr. Im Dezember wurde so viele Hypothekarkredite ausgegeben wie zuletzt in einem Rekordmonat des Jahres 2009. Dabei ist nach zwei Jahren Rezession eben erst ein kleines Wirtschaftswachstum von etwa 1,5 Prozent zurückgekehrt.
Dennoch borgten sich die Leute 2017 laut Zentralbank mehr als zwei Billionen Rubel (28,3 Mrd. Euro) für Wohnungskäufe. Das sind um 37 Prozent mehr als 2016 und deutlich mehr als noch im Rekordjahr vor Beginn der Wirtschaftskrise 2014. Der Wohnungskauf auf Pump ist nur das anschaulichste Beispiel für eine neue Welle der Fremdfinanzierung. Ob Autos, Haushaltsgeräte oder Einkäufe für den täglichen Gebrauch: Verbraucherkredite sind wieder en vogue. Was der Wirtschaft eigentlich zugutekommt, macht inzwischen aber sogar Staatspräsident Wladimir Putin unruhig. Kurz nach seiner Wiederwahl für eine vierte Amtszeit kann er es nicht brauchen, dass sich auf dem Markt eine Kreditblase bildet.
Spitzenbanker bei Putin
Und so zitierte er vergangene Woche Herman Gref zu sich, um sich ein klareres Bild zu verschaffen. Schließlich leitet der 54-jährige ExWirtschaftsminister die größte Bank des Landes, die Sberbank. Sie gibt den Ton auf dem Sektor an, steht sie doch für 38 Prozent aller russischen Privatkredite.
Ob die rasante Kreditierung der Bevölkerung nicht gefährlich sei, wollte Putin wissen. Nun, man müsse die Situation schon „sehr aufmerksam verfolgen, das stimmt“, sagte Gref: „Aber unserer Beurteilung zufolge wird ein sol- ches Problem in den kommenden zwei Jahren noch nicht brisant.“
Das sehen andere Entscheidungsträger anders. Die Vergabe von Verbraucherkrediten wachse viel zu schnell, schlug im Februar Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin Alarm. Vor allem das Phänomen, dass die Kredite wieder immer seltener besichert werden, beunruhigt ihn. Man solle nicht die Fehler der Jahre 2011 und 2012 wiederholen, als die Vergabe von nicht besicherten Krediten um über 50 Prozent pro Jahr zunahm. „Wenn die unbesicherten Kredite weiter in diesem Tempo wachsen, dann ist das ein Alarmsignal“, meint auch Michail Doronkin von der Ratingagentur AKRA. Die Sberbank und ihre Mitbewerber sehen das nicht so. Die Zentralbank hingegen, gleichzeitig Mehrheitsaktionärin der Sberbank, sehr wohl. Sie überlegt, die Regeln für Kredite schon ab 1. Mai zu verschärfen.