Er macht es seinem Publikum nicht eben leicht
Oper. Serge Dorny, der als Nachfolger von Klaus Bachler die Leitung der Bayrischen Staatsoper übernehmen wird, hat Lyon zu einem Fixpunkt der Musikwelt gemacht. Wie ist ihm das geglückt? Ein Besuch beim Frühlingsfestival.
Eine der überraschendsten Kulturnachrichten der vergangenen Wochen war, dass Serge Dorny ab Herbst 2021 die künstlerische Leitung eines der angesehensten Opernhäuser der Welt, der Bayrischen Staatsoper in München, übernehmen wird. Der Name des 56-jährigen Flamen geisterte zwar in den vergangenen Jahren bei jeder anstehenden Neubesetzung von Intendantenposten – darunter der Salzburger Festspiele und der Wiener Staatsoper – durch die Gazetten, und insofern fiel man nicht wirklich aus allen Wolken. Die Sensation war vielmehr, dass es endlich mit einem der größten Häuser Europas geklappt hat.
Dorny fing als Dramaturg bei Gerard´ Mortier an, leitete eine Zeit lang als Generaldirektor das London Symphony Orchestra und ist seit 2003 Chef der Opera´ de Lyon, der er zu internationalem Ansehen verholfen hat (eine Umfrage weist die Institution sogar als beste Oper der Welt aus!). Das ist umso verwunderlicher, als das vergleichsweise kleine Stagione-Haus in der französischen Provinz naturgemäß über ein beschränktes Budget verfügt und daher auch nicht sehr viele Premieren herausbringen kann . . .
Der Dorny-Effekt
Grund genug also, eine Reise nach Lyon zu unternehmen, um vor Ort das Geheimnis des Dorny-Effekts zu ergründen und eventuell herauszufinden, was uns möglicherweise in drei Jahren in München erwarten wird. Ein Mitreisender bringt die allgemeine Verblüffung ob des Phänomens Lyon auf den Punkt: „Also in Wien hätten sie ihn bei einem solchen Programm schon längst mit einem nassen Fetzen davongejagt!“In der Tat macht es Dorny seinem Publikum nicht leicht. Ein Auszug aus dem Hardcore-Spielplan der laufenden Saison: eine szenische Version von Brittens „War Requiem“, Zemlinskys selbst Auskennern unbekanntes Werk „Kreidekreis“, Respighis „Dornröschen“, Jana´ceksˇ „Tagebuch eines Verschollenen“und demnächst die Welturaufführung eines Auftragswerks: der Vertonung von Heiner Müllers an sich schon sperriger „Germania“durch Alexander Raskatov.
Als kleines Zuckerl für die Abonnenten gibt es zwar zum Abschluss einen „Don Giovanni“. Diese mögen sich aber nicht zu sehr freuen: Diese Belohnung ist dadurch ein wenig vergiftet, dass die Produktion dem destruktionistischen Regisseur David Marton anvertraut wurde.
Die soeben angekündigte Saison 2018/19 bietet nicht wirklich anspruchslosere Kost: Eröffnet wird mit „Mefistofele“von Arrigo Boito, gefolgt von Leosˇ Janaceks´ Oper „Aus einem Totenhaus“, noch dazu in einer Inszenierung des polnischen RegieBerserkers Krzysztof Warlikowski. Tschaikowskis ohnehin schon unbekannte „Zauberin“wird in die Hände des ukrainischen Stückezerhäckslers Andriy Scholdak gelegt. Krönung ist die Uraufführung der Oper von George Benjamin „Lessons in Love and Violence“. Nicht einmal Spuren von den Repertoire-Hadern „Aida“, „Boh`eme“, „Barbier“, „Traviata“oder „Zauberflöte“. . .
Was auf den ersten Blick wie Selbstmord mit Anlauf aussieht, ist der Schlüssel zu Dornys Erfolg. Zur Absicherung dieser Dynamik tätigte der Intendant den geschickten Schachzug (nicht umsonst war sein Mentor Mortier), alljährlich ein Frühlingsfestival abzuhalten, um die Energien des Hauses zu bündeln und in drei Tagen drei Produktionen zu präsentieren. Zu diesem Event reist die Cr`eme de la Cr`eme der internationalen Musikkritik an, die dann den Lyonern erklärt, wie stolz sie auf ihre Oper sein können. Absolute Großtaten dieser Aktivitäten: das Puschkin-Festival (drei Inszenierungen von Peter Stein) und das Humanite-´Festival (mit Tabachniks „Benjamin“-Oper, einer großartigen Aufführung von Halevys´ „La Juive“mit dem österreichischen Tenor Nikolas Schukoff und Ullmanns „Kaiser von Atlantis“). Vergangenes Jahr wurde unter dem Titel „Memoires“´ die Rekonstruktion dreier legendärer Inszenierungen versucht: Heiner Müllers „Tristan“, Klaus Michael Grübers „Poppea“und Ruth Berghaus’ „Elektra“– mit atemberaubender Wirkung.
Von Stagione zu Repertoire
Die heurige, Verdi gewidmete Ausgabe (Vorstellungen noch bis 6. April), konnte nicht überzeugen, in erster Linie war daran ein unglücklicher Griff bei den Regisseuren schuld. Ivo van Hove wusste mit dem „Macbeth“nichts anzufangen und verlegte ihn völlig sinnloserweise in ein abstruses WallStreet-Großraumbüro (mit Sekretärinnen als Hexen). Noch ärgerlicher die Gehversuche des französischen Filmemachers Christophe Honore´ auf der Opernbühne: Die wunderbare fünfaktige französische Fassung des „Don Carlos“versenkte er in einem Morast von Hässlichkeit, abscheulichen Bühnenbildteilen, lächerlichen Kostümen und Mangel an Personenregie. Ein Fiasko, an dem ein paar gute Sänger (Sergey Romanovsky, Ste-´ phane Degout und Michele Pertusi) und das umsichtige Dirigat des jungen Chefdirigenten Daniele Rustioni nicht viel ändern konnten. Deprimierend, aber auch König Midas kann einmal daneben greifen.
In München, erklärt Serge Dorny, werde er seine Linie nicht fortführen. „Ich habe bisher bei jedem Job das Genre gewechselt. Vom Dramaturgen zum Festival zum Orchester zur Oper. Jetzt ist es von Oper zu Oper, aber von Stagione zu Repertoire. Ich habe an jeder Station meiner beruflichen Laufbahn mit anderen Künstlern gearbeitet, denn man muss jedes Projekt anders artikulieren. Was die Bayrische Staatsoper betrifft, möchte ich mit meinem Generalmusikdirektor, Vladimir Jurowski, ein Projekt entwickeln, das zu München, und nur zu München passt. Die Geschichte des Hauses – mit seinen Musikdirektoren Clemens Krauss, Knappertsbusch, Sawallisch – verleitet einen zu Respekt und Bescheidenheit.“