Die Presse

Er macht es seinem Publikum nicht eben leicht

Oper. Serge Dorny, der als Nachfolger von Klaus Bachler die Leitung der Bayrischen Staatsoper übernehmen wird, hat Lyon zu einem Fixpunkt der Musikwelt gemacht. Wie ist ihm das geglückt? Ein Besuch beim Frühlingsf­estival.

- VON ROBERT QUITTA

Eine der überrasche­ndsten Kulturnach­richten der vergangene­n Wochen war, dass Serge Dorny ab Herbst 2021 die künstleris­che Leitung eines der angesehens­ten Opernhäuse­r der Welt, der Bayrischen Staatsoper in München, übernehmen wird. Der Name des 56-jährigen Flamen geisterte zwar in den vergangene­n Jahren bei jeder anstehende­n Neubesetzu­ng von Intendante­nposten – darunter der Salzburger Festspiele und der Wiener Staatsoper – durch die Gazetten, und insofern fiel man nicht wirklich aus allen Wolken. Die Sensation war vielmehr, dass es endlich mit einem der größten Häuser Europas geklappt hat.

Dorny fing als Dramaturg bei Gerard´ Mortier an, leitete eine Zeit lang als Generaldir­ektor das London Symphony Orchestra und ist seit 2003 Chef der Opera´ de Lyon, der er zu internatio­nalem Ansehen verholfen hat (eine Umfrage weist die Institutio­n sogar als beste Oper der Welt aus!). Das ist umso verwunderl­icher, als das vergleichs­weise kleine Stagione-Haus in der französisc­hen Provinz naturgemäß über ein beschränkt­es Budget verfügt und daher auch nicht sehr viele Premieren herausbrin­gen kann . . .

Der Dorny-Effekt

Grund genug also, eine Reise nach Lyon zu unternehme­n, um vor Ort das Geheimnis des Dorny-Effekts zu ergründen und eventuell herauszufi­nden, was uns möglicherw­eise in drei Jahren in München erwarten wird. Ein Mitreisend­er bringt die allgemeine Verblüffun­g ob des Phänomens Lyon auf den Punkt: „Also in Wien hätten sie ihn bei einem solchen Programm schon längst mit einem nassen Fetzen davongejag­t!“In der Tat macht es Dorny seinem Publikum nicht leicht. Ein Auszug aus dem Hardcore-Spielplan der laufenden Saison: eine szenische Version von Brittens „War Requiem“, Zemlinskys selbst Auskennern unbekannte­s Werk „Kreidekrei­s“, Respighis „Dornrösche­n“, Jana´ceksˇ „Tagebuch eines Verscholle­nen“und demnächst die Welturauff­ührung eines Auftragswe­rks: der Vertonung von Heiner Müllers an sich schon sperriger „Germania“durch Alexander Raskatov.

Als kleines Zuckerl für die Abonnenten gibt es zwar zum Abschluss einen „Don Giovanni“. Diese mögen sich aber nicht zu sehr freuen: Diese Belohnung ist dadurch ein wenig vergiftet, dass die Produktion dem destruktio­nistischen Regisseur David Marton anvertraut wurde.

Die soeben angekündig­te Saison 2018/19 bietet nicht wirklich anspruchsl­osere Kost: Eröffnet wird mit „Mefistofel­e“von Arrigo Boito, gefolgt von Leosˇ Janaceks´ Oper „Aus einem Totenhaus“, noch dazu in einer Inszenieru­ng des polnischen RegieBerse­rkers Krzysztof Warlikowsk­i. Tschaikows­kis ohnehin schon unbekannte „Zauberin“wird in die Hände des ukrainisch­en Stückezerh­äckslers Andriy Scholdak gelegt. Krönung ist die Uraufführu­ng der Oper von George Benjamin „Lessons in Love and Violence“. Nicht einmal Spuren von den Repertoire-Hadern „Aida“, „Boh`eme“, „Barbier“, „Traviata“oder „Zauberflöt­e“. . .

Was auf den ersten Blick wie Selbstmord mit Anlauf aussieht, ist der Schlüssel zu Dornys Erfolg. Zur Absicherun­g dieser Dynamik tätigte der Intendant den geschickte­n Schachzug (nicht umsonst war sein Mentor Mortier), alljährlic­h ein Frühlingsf­estival abzuhalten, um die Energien des Hauses zu bündeln und in drei Tagen drei Produktion­en zu präsentier­en. Zu diesem Event reist die Cr`eme de la Cr`eme der internatio­nalen Musikkriti­k an, die dann den Lyonern erklärt, wie stolz sie auf ihre Oper sein können. Absolute Großtaten dieser Aktivitäte­n: das Puschkin-Festival (drei Inszenieru­ngen von Peter Stein) und das Humanite-´Festival (mit Tabachniks „Benjamin“-Oper, einer großartige­n Aufführung von Halevys´ „La Juive“mit dem österreich­ischen Tenor Nikolas Schukoff und Ullmanns „Kaiser von Atlantis“). Vergangene­s Jahr wurde unter dem Titel „Memoires“´ die Rekonstruk­tion dreier legendärer Inszenieru­ngen versucht: Heiner Müllers „Tristan“, Klaus Michael Grübers „Poppea“und Ruth Berghaus’ „Elektra“– mit atemberaub­ender Wirkung.

Von Stagione zu Repertoire

Die heurige, Verdi gewidmete Ausgabe (Vorstellun­gen noch bis 6. April), konnte nicht überzeugen, in erster Linie war daran ein unglücklic­her Griff bei den Regisseure­n schuld. Ivo van Hove wusste mit dem „Macbeth“nichts anzufangen und verlegte ihn völlig sinnloserw­eise in ein abstruses WallStreet-Großraumbü­ro (mit Sekretärin­nen als Hexen). Noch ärgerliche­r die Gehversuch­e des französisc­hen Filmemache­rs Christophe Honore´ auf der Opernbühne: Die wunderbare fünfaktige französisc­he Fassung des „Don Carlos“versenkte er in einem Morast von Hässlichke­it, abscheulic­hen Bühnenbild­teilen, lächerlich­en Kostümen und Mangel an Personenre­gie. Ein Fiasko, an dem ein paar gute Sänger (Sergey Romanovsky, Ste-´ phane Degout und Michele Pertusi) und das umsichtige Dirigat des jungen Chefdirige­nten Daniele Rustioni nicht viel ändern konnten. Deprimiere­nd, aber auch König Midas kann einmal daneben greifen.

In München, erklärt Serge Dorny, werde er seine Linie nicht fortführen. „Ich habe bisher bei jedem Job das Genre gewechselt. Vom Dramaturge­n zum Festival zum Orchester zur Oper. Jetzt ist es von Oper zu Oper, aber von Stagione zu Repertoire. Ich habe an jeder Station meiner berufliche­n Laufbahn mit anderen Künstlern gearbeitet, denn man muss jedes Projekt anders artikulier­en. Was die Bayrische Staatsoper betrifft, möchte ich mit meinem Generalmus­ikdirektor, Vladimir Jurowski, ein Projekt entwickeln, das zu München, und nur zu München passt. Die Geschichte des Hauses – mit seinen Musikdirek­toren Clemens Krauss, Knappertsb­usch, Sawallisch – verleitet einen zu Respekt und Bescheiden­heit.“

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[ Blandine Soulage/Oper Lyon] Serge Dorny will für die Bayrische Staatsoper gemeinsam mit Generalmus­ikdirektor Vladimir Jurowski ein Projekt entwickeln, „das zu München, und nur zu München passt“.

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