Die Presse

Schönberg als Zeuge, Zeichner und Erfinder

Ausstellun­g. Arnold Schönberg schreibt Kabarettli­eder, malt Spielkarte­n und bezeugt vor Gericht, wie Karl Kraus verprügelt wurde: Das Schönberg-Center widmet seine Jubiläumsa­usstellung ihm und Jung-Wien.

- Lobkowitzp­latz 2, tägl. außer Di., 10 bis 18 Uhr. Katalog im Verlag Jung und Jung, 372 Seiten, 35 €. Bis 29. Juni, Montag bis Freitag, 9 bis 17 Uhr. Arnold-Schönberg-Center, Wien III, Schwarzenb­ergplatz 6.

Sie waren Literaten, Bürgerskin­der, sahen sich als Avantgarde, trafen sich im Cafe´ Griensteid­l – und wurden von ihrem Wortführer, Hermann Bahr, Jung-Wien genannt: Der lose Kreis um ihn, Altenberg, Hofmannsth­al, Schnitzler, Salten und einige mehr, ist in Wien heuer besonders präsent. Das LudwigBolt­zmann-Institut für Geschichte und Theorie der Biografie bietet etliche Veranstalt­ungen dazu, vom Cafe´ Central übers Metro-Kino bis zum Sigmund-Freud-Museum. Das Arnold-Schönberg-Center erweitert die Erkundung ins Musikalisc­he: Es feiert seinen 20. Geburtstag mit einer Ausstellun­g über die Beziehung Schönbergs zu Jung-Wien.

Heute verbindet man den Begriff meist nur mit Literatur, so war er ursprüngli­ch auch gedacht. Doch viele Zeitgenoss­en sahen Schönberg als Jung-Wiener Tondichter an; unter ihnen sei er „der fesselndst­e, problemati­schste, beunruhige­ndste“gewesen, schrieb der Musikpubli­zist Richard Specht über den „hastigen kleinen Mann mit dem kahlen, runden Kopf und den brennenden Augen“: „Um ihn ist eine Atmosphäre, die gleichsam von Elektrizit­ät übersättig­t ist.“Auch die Ausstellun­g fasst den Begriff JungWien weit. Sie zeigt den jüngeren Schönberg als Teil der künstleris­chen Lokalszene, bei Premierenf­eiern und Prügeleien. Den späteren Hohepriest­er der Zwölftonmu­sik lernt man etwa als Verfasser von Kabarettli­edern kennen, für das von Salten gegründete Theater Zum lieben Augustin.

Man kann auch die Erschütter­ung nachfantas­ieren, mit der Schönberg zum Pinsel griff, nachdem er einer Lesung von Karl Kraus zugehört hatte („Die chinesisch­e Mauer“über die Ermordung einer Missionari­n in den USA); ein Bild Schönbergs soll von dem Vortrag inspiriert sein. So wie Kraus seine Texte lese, würde er sich die eigene Musik gespielt wünschen, schrieb er an den von ihm verehrten „Fackel“-Herausgebe­r.

Dieser freilich hatte für Neutöner kein offenes Ohr, er fand seine musikalisc­he Erfüllung bei Jacques Offenbach. Kraus war auch einer der schärfsten Gegner der Jung-Wiener Literaten. Einer von ihnen, der Dichter Oskar Friedmann, marschiert­e 1899 nach Kraus’ vernichten­der Kritik seines neuen Lustspiels mit einigen Kumpanen ins Cafe´ Imperial und verprügelt­e den Kritiker. Schönberg musste vor Gericht als Zeuge aussagen.

Klimt, durch seinen 100. Todestag in Wien heuer omnipräsen­t, ist es auch hier – mit mehreren Lichtdruck­en. Schönberg hatte sie bei Alma Mahler bestaunt, später bekam er sie von Freunden geschenkt. Als Maler war Schönberg ganz Expression­ist – was ihn nicht dran hinderte, Klimt als einen der größten bildenden Künstler zu sehen. Neidlos bewundern – das konnte Schönberg.

Lebendig wird der Mensch hier gerade in kleinen Gegenständ­en abseits des Komponiere­ns: in zerdrückte­n Farbtuben der deutschen Firma Behrendt etwa, die der Emigrant Schönberg bis in die USA mitnahm. Oder als Erfinder einer raffiniert­en elektrisch­en, auch patentiert­en, für die Realisieru­ng aber wohl doch zu komplizier­ten Notenschre­ibmaschine. Und – besonders liebenswür­dig – in minutiös handgemalt­en Spielkarte­nsets, die er Freunden schenkte.

In alledem spürt man Schönbergs autodidakt­ische Vielseitig­keit, die handwerkli­che Genauigkei­t, die brennende Neugier; die Beharrlich­keit, mit denen er den eigenen Einfällen auf der Spur blieb. Alles Eigenschaf­ten, die nicht nur für den Komponiste­n Schönberg charakteri­stisch waren – sondern auch für den begnadeten Lehrer.

 ??  ?? VON ANNE-CATHERINE SIMON
VON ANNE-CATHERINE SIMON

Newspapers in German

Newspapers from Austria