Nixe, Prinz und Botox-Spritzen
Volksoper. Wiederaufnahme von „Rusalka“, inszeniert als gesellschaftskritische und doch poetische Parabel. Prinz und Nixe sind stimmlich wie darstellerisch herausragend.
Die Waldelfen tanzen zwischen Mistsäcken und degenerierten Bäumen, die karikatureske Hofgesellschaft zieht Botox-Spritzen aus den Handtaschen, fettleibige Kinder tummeln sich am Buffet – andererseits fährt der Mann im Mond im leuchtenden Sternenkostüm Einrad, und Rusalka geht am Ende selbst blinkend zu den Irrlichtern. Das Regie- und Ausstattungsduo Andre´ Barbe und Renaud Doucet deutet Dvoˇraks´ lyrisches Märchen „Rusalka“als gesellschaftskritische und dennoch fantastisch-poetische Parabel auf den Umgang der Menschen mit der Natur. Sie halten der Wegwerfgesellschaft gekonnt den Spiegel vor, lassen dabei das Märchenhafte nicht zu kurz kommen.
Achtlosigkeit, Gier und Oberflächlichkeit werden angeprangert, während Dvorˇaks´ lyrische, über viele Jahre zu wenig beachtete, wunderbar tiefgründige Musik erklingt. Die Vertreter der Hofgesellschaft tanzen mit gelifteten Fratzen eine amüsante Choreografie, die die Silikonbusen wogen lässt und darin gipfelt, dass sie um BotoxSpritzen streiten. Der Prinz wirkt anfangs noch wie aus dem Märchen, seine Krone erweckt kindlich-naive Assoziationen. Doch er kommt nicht an Rusalka heran, die ihre Stimme hergeben musste, um ein Mensch zu werden. Eine Szene, die an Disneys „Arielle“erinnert, wenn Lichter auf den Bauch Rusalkas projiziert werden. Nach des Prinzen Treuebruch sind Rusalka und er verloren, inmitten der Mistsäcke findet er durch ihr Leuchtschwert und ihren Kuss den Tod.
Rund 1400 Takte stumm
Vincent Schirrmacher als Prinz erfreut mit hellem, strahlendem Tenor, seine Stimme ist variabel genug für die vielseitigen Aspekte dieser Partie. Dass Rusalka rund 1400 Takte stumm bleibt, dabei aber viel auf der Bühne ist, ist naturgemäß eine besonders Herausforderung für ihre Darstellerin: Caroline Melzer als Rusalka agiert mit Leichtigkeit und nie forcierend, der Text ist sehr gut verständlich, einzig manche sehr tiefe Passagen sind ausbaufähig. Sie zeigt viel Gefühl, man ist förmlich bedrückt von ihrem inneren Kampf, sich dem Prinzen mitteilen zu wollen, aber nicht zu können.
Yasushi Hirano ist ein samtigsolider Wassermann, der seine Leistung über den Abend hin steigert, wie Annely Peebo als yetigleiche Hexe Jezibaba,ˇ die anfangs noch textunsicher ist, aber später solide agiert. Melba Ramos könnte als fremde Fürstin verführerischer und durchschlagender sein. Eine Freude sind die stimmlich betörenden und neckisch-agilen Waldelfen (Elisabeth Schwarz, Manuela Leonhartsberger, Sofiya Almazova).
Gefühlvoll und meist sängerfreundlich agiert Alfred Eschwe´ am Pult, doch ausgerechnet den betörend-gespenstischen Chorgesang von Rusalkas Schwestern deckt er zu – und, was noch schwerer wiegt, den letzten Ton Rusalkas. Auf diesen folgend geht die einstmalige Nixe im Inneren leuchtend auf die Irrlichter zu. Es bleibt ein hochpoetisches Bild.