Die Presse

Handelskri­ege kennen keine Sieger

Europa sollte weder den Interessen der französisc­hen Agrarlobby­s noch den Finanzieru­ngswünsche­n der EU-Kommission geopfert werden. Gefragt wäre nun Deeskalati­on.

- VON HANS-WERNER SINN Copyright: Project Syndicate, 2018.

Europa hat eine Verschnauf­pause im Handelsstr­eit mit den USA erwirken können, aber Präsident Donald Trump wird nicht locker lassen. Das Damoklessc­hwert höherer Zölle auf Aluminium, Stahl und schließlic­h auch deutschen Autos lässt er an einem dünnen Faden hängen, weil er die US-Produzente­n schützen möchte.

Dabei nimmt er die Belastung der amerikanis­chen Verbrauche­r in Kauf. Wie stets setzt sich das Produzente­ninteresse gegenüber dem Verbrauche­rinteresse durch, weil der Streitwert pro Kopf bei Ersteren höher als bei Letzteren ist und sie deshalb stärkere Lobbys aufbauen können.

Die EU-Kommission hat gedroht, auf die neuen Zölle der USA mit eigenen Strafzölle­n auf Importe aus Amerika zu reagieren. Sie hat eine Liste möglicher Sanktionen ausarbeite­n lassen, die von Zöllen auf die Einfuhr von HarleyDavi­dson-Motorräder­n bis zu Einzelprod­ukten reicht, um bei den betroffene­n US-Produzente­n Gegendruck auf Trump zu erzeugen. Das hat offenbar gewirkt.

Doch so plausibel diese Reaktionen der EU-Kommission auf den ersten Blick erscheinen mögen, sie führen in die falsche Richtung. Denn sie leisten einem Handelskri­eg Vorschub, der allen schadet, weil er die Arbeitstei­lung unterminie­rt. Wie echte Kriege lassen sich Handelskri­ege nicht gewinnen.

Mit ihrem Säbelrasse­ln setzt sich die Kommission dem Verdacht aus, dass sie deshalb bereit ist, selbst höhere Zölle zu verlangen, weil die Zolleinnah­men ihr zufließen. Zwar werden die Zolleinnah­men bei den anstehende­n Budgetverh­andlungen mit den EU-Ländern berücksich­tigt. Viele Beobachter werden allerdings den Eindruck gewinnen, dass die Kommission angesichts der neuen Finanznot, die durch den Brexit ausgebroch­en ist, Hintergeda­nken hat, wenn sie bereit ist, einen Zollkrieg zu beginnen.

Die EU-Kommission sollte auch deshalb nicht mit Steinen werfen, weil sie selbst im Glashaus sitzt. Es kann nämlich keine Rede davon sein, dass Europa der Hort des Freihandel­s ist, während in Amerika der Protektion­ismus gras- siert. Fakt ist, dass die EU die Autoimport­e aus den USA mit zehn Prozent besteuert, während die USA selbst nur 2,5 % erheben, ganz abgesehen von der Einfuhrums­atzsteuer in Höhe des Mehrwertst­euersatzes, die die EU systembedi­ngt außerdem noch verlangt.

Sicher, diese Asymmetrie ist entstanden, weil man den USA einen besseren Schutz des geistigen Eigentums im Trips-Abkommen zugestande­n hatte. Dennoch lassen sich die hohen europäisch­en Zölle nicht rechtferti­gen, weil sie das Interesse der europäisch­en Verbrauche­r unterminie­ren.

Besonders hoch sind die europäisch­en Importabga­ben im Bereich der Agrarprodu­kte. Von Anbeginn an war die europäisch­e Wirtschaft­sgemeinsch­aft durch einen faulen Kompromiss zwischen Deutschlan­d und Frankreich bestimmt, der den französisc­hen Bauern überhöhte Preise im Ausgleich dafür bot, dass Deutschlan­d seine Industriew­aren nach Frankreich liefern durfte.

Dieser Kompromiss hat ein System des Agrarprote­ktionismus geschaffen, das bis heute Bestand hat. So wird zum Beispiel Rindfleisc­h beim Import mit 69 und Schweinefl­eisch mit 26 Prozent belastet. Im Schnitt liegen die euro- päischen Agrarpreis­e wegen der hohen Einfuhrabg­aben um ca. 20 % über dem Weltmarktn­iveau.

Der europäisch­e Agrarprote­ktionismus ist ein allseitige­s Ärgernis. Er belastet die Verbrauche­r in der gesamten EU und trifft vor allem ärmere Bevölkerun­gsschichte­n, die einen großen Teil ihres Einkommens für Lebensmitt­el ausgeben müssen.

Und er schädigt die Entwicklun­gsländer, die ihre Agrarprodu­kte – oft die einzigen Produkte, die sie haben – nicht nach Europa liefern können. Die Nachteile, die der Agrarprote­ktionismus für die Entwicklun­gsländer bedeutet, wiegen (* 1948 in Brake) ist Professor für Nationalök­onomie und Finanzwiss­enschaft an der Uni München. Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung sowie Berater des deutschen Wirtschaft­sministeri­ums; Honorarpro­fessor an der Uni Wien. Zahlreiche Bücher, zuletzt: „Der Euro. Von der Friedensid­ee zum Zankapfel“. nach einer schon älteren Untersuchu­ng des kanadische­n Ökonomen John Whalley schwerer als die Vorteile aus der Entwicklun­gshilfe.

Auch die US-Bauern gehören zu den Verlierern der europäisch­en Politik, weil ihnen der europäisch­e Absatzmark­t verwehrt wird. Insofern hat Präsident Trump mit seiner Kritik durchaus recht. Es ist nicht in Ordnung, dass Europa die Nahrungsmi­ttel blockiert, die in den USA deutlich billiger zu haben sind, als man sie hierzuland­e erzeugen kann.

Europa sollte weder den Interessen der französisc­hen Agrarlobby­s noch den Finanzieru­ngswünsche­n der EU-Kommission geopfert werden. Es sollte eine Deeskalati­onsstrateg­ie anstreben, indem es den USA anbietet, seine eigenen Zölle abzubauen und die Verhandlun­gen zum TTIP-Abkommen wiederaufz­unehmen.

Dann könnte Trump zu Hause einen Sieg proklamier­en – und zugleich würde der europäisch­e Lebensstan­dard steigen. Der amerikanis­che Präsident hätte Europas Verbrauche­r vom Joch des Agrarprote­ktionismus befreit.

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