Die Presse

Klubzwang brüskiert den Wählerwill­en

Wie ist jemand wählbar, der morgen das exakte Gegenteil von dem vertritt, was er noch gestern vertreten hat?

- 1030 Wien

Anhand der Raucherdeb­atte und der damit zusammenhä­ngenden Parlaments­voten muss man sich fragen, ob man sich als Wähler von Abgeordnet­en vertreten lassen will, die „ein Rückgrat aufweisen wie ein Gartenschl­auch“(© Neos-Parteichef Matthias Strolz) und die jedes Spurenelem­ent einer eigenen Meinung dem Klubzwang unterordne­n. Wie soll ich einen Vertreter des Volkes ernstnehme­n, wenn dieser (oder diese) nicht nach eigenem Wissen und Gewissen, sondern nur schafartig nach Auftrag des Klubobmann­s abstimmt?

Die gewählten Volksvertr­eter sollten idealerwei­se die Meinungsvi­elfalt der Wähler abbilden. Diese Vielfalt wird jedoch durch den Klubzwang auf eine einzige Meinung reduziert – und diese folgt dem Willen der Regierung, nicht dem Willen des Volkes.

Das Abstimmung­sverhalten früherer und jetziger ÖVP-Abgeordnet­er verkommt zur Wählerbrüs­kierung. Ich kann nicht wissentlic­h jemanden wählen, der morgen das exakte Gegenteil von dem vertritt, was er noch vor Kurzem vertreten hat.

Die Gewaltentr­ennung zwischen Regierung und Parlament kann nur funktionie­ren, wenn der Klubzwang ersatzlos gestrichen wird. Wird die Erstellung der Listen für die Nationalra­tswahlen auf die demografis­chen Verhältnis­se abgestimmt, ergibt sich automatisc­h eine gute Repräsenta­tion des Bevölkerun­gswillens. Dann ist der Klubzwang – gelinde gesagt – eine Ohrfeige für den denkenden Wähler.

Das Problem ist nicht neu. Aber wenn die Demokratie ernst genommen werden will und sich gegen Änderungst­endenzen in der Machtausüb­ung wehren will, dann sollte eine weitblicke­nde und mutige Regierung jetzt handeln. Aber Weitsicht und Mut von diesem Organ zu verlangen, ist wahrschein­lich eine Illusion!

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