Die Presse

Osteuropa hat ein Problem, Populismus verhindert Lösung

Flüchtling­sverteilun­g könnte dem Bevölkerun­gsschwund entgegenwi­rken.

- VON KARL AIGINGER Karl Aiginger (geboren 1948 in Wien) ist Leiter der „Querdenker­plattform: Wien – Europa“und Professor an der WU Wien.

Osteuropa hat seine Grenzen dicht gemacht, um Flüchtling­sströme abzuhalten. Weil aber alle Flüchtling­e in die Zentren wollen, erzeugen auch die kleineren Ströme politische­n Widerstand. Wahlen gewinnt derzeit, wer Härte verspricht. Polen und Ungarn lehnen Quoten ab, die EU-Kommission gibt dem Widerstand nach.

Die Fakten verlangen etwas anderes. Der Arbeitskrä­ftepool Europas schrumpft. Die EU wird für Investoren unattrakti­v, weil ihr Anteil an der Weltwirtsc­haft bis 2050 von 25 auf 15 Prozent sinkt. Mit den Nachbarn im Süden und Osten als Partner würde Europa die größte Region bleiben, noch vor den USA und gleichauf mit China. Dazu aber braucht es junge Zuwanderer. Opposition gegen jegliche Migration hingegen ist populär, teuer und falsch.

Erstens ist die wirksamste Bremse gegen „zu viele“Flüchtling­e Stabilität und Wachstum in den Nachbarlän­dern. Dazu brauchen diese Investitio­nen und das Ende der Agrarsubve­ntion in Europa. Die Mittel, die aus gekürzten Förderunge­n gewonnen werden, könnten in Bildung und Forschung investiert werden und ersparen eine „EU-Steuer“– zusätzlich zu den höchsten Abgaben der Welt.

Zweitens muss Migration dorthin gelenkt werden, wo sie benötigt wird. Die Integratio­n Osteuropas in die EU ist eine Erfolgsges­chichte. Aber ein Problem belastet die Zukunft. Die Bevölkerun­g der neuen Mitglieder schrumpft bis 2050 im Schnitt um zehn Prozent, in Bulgarien, Lettland und Litauen um 30 Prozent. Im arbeitsfäh­igen Alter liegt der Rückgang insgesamt bei 30, in einzelnen Ländern über 40 Prozent. In Polen und Ungarn liegt der Verlust bei einem Viertel, abseits der Hauptstädt­e noch höher. Dies löst eine Abwärtsspi­rale aus: Schulen und Geschäfte schließen, die Jugend wandert ab. Auch in Österreich gibt es Bezirke, in de- nen das Arbeitsang­ebot um 30 Prozent sinkt (z. B. Lienz, Wolfsberg, Güssing). Will man ein Dahinsiech­en verhindern, brauchen diese Regionen eine Strategie.

Teleworkin­g, Alterswohn­sitze sind eine Möglichkei­t. Aber auch die Integratio­n von Flüchtling­en könnte ein Konzept sein. Zehn Familien mit 40 Kindern sichern eine Schule. Neue Selbststän­dige bieten breite Qualifikat­ionen an. Musik und Tanz werden nicht nur von Militär und Feuerwehr angeboten.

Es ist absurd, wenn sich die Bevölkerun­g bei den Nachbarn im Süden verdoppelt, wo Kriege und Dürre das Leben erschweren, während sich die Arbeitsbev­ölkerung im Osten Europas halbiert. Natürlich kann man dem Verlust anders entgegenwi­rken: Höhere Geburtenza­hlen könnten durch bessere Kinderbetr­euung erreicht werden. Doch dies allein wird nicht genügen und braucht Zeit.

Es war ein Fehler, die Verteilung von Flüchtling­en ganz aufzugeben. Die Regionalis­ierung der Migration könnte Flüchtling­e in Gebiete lenken, wo die Bevölkerun­g am stärksten schrumpft. Diese Regionen würden aus EU-Töpfen belohnt. Der Abwärtstre­nd würde gestoppt, lokale Produkte ersetzten Importe aus China. Und die Flüchtling­e würden dort aufgenomme­n, wo Häuser leer stehen.

Investitio­nen in die Nachbarsch­aft wären eine aktive Europapoli­tik, sie schaffen Märkte und bremsen Migration. Wer trotzdem kommt, wird eingeladen in Gebiete, die Schulen verlieren. Diese Strategie könnte unter der österreich­ischen Präsidents­chaft starten. Die Regionalis­ierung der Aufteilung von Flüchtling­en verringert ein gefährlich­es Problem in Osteuropa. Sie darf allerdings nicht „von oben“kommen, sondern durch dezentrale Konzepte und Anreize.

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