Entwarnung: Wer Visionen hat, der braucht keinen Arzt
Gerade einmal 0,6 Prozent des Staatshaushalts fließen ins Kulturbudget. Das Kulturministerium sollte aber mehr sein als bürokratische Geldverteilungszentrale.
Was ist, kann, soll Kunst- und Kulturpolitik? Ein paar visionäre Gedanken wären dem Kulturministerjob nicht abträglich, auch wenn Helmut Schmidt dereinst meinte (und Franz Vranitzky später wiederholte), wer solche habe, solle lieber zum Arzt gehen. Seit Viktor „Kultur ist Chefsache“Klima waren Österreichs Kulturpolitikerinnen und -politiker jedenfalls nicht von der Visionärskrankheit befallen.
Auch wer zuletzt die durchaus eloquenten Interviews mit Minister Gernot Blümel verfolgte, konnte wohl die abendländisch fundierte Bildung des studierten Philosophen herauslesen, seine Affinität zu Kant und Kierkegaard, seine berechtigte Freude über ein leicht gestiegenes Kulturbudget – nicht aber, welche kulturellen Leuchtturmprojekte er damit umzusetzen gedenkt.
Klar, Blümel ist erst seit hundert Tagen im Amt. Es spricht für ihn, dass er zunächst sondieren und mit Kunstschaffenden und „Stakeholdern“(© Blümel) Gespräche führen will. Das ist gewiss kein Honigschlecken, kulturklimatisch weht nicht unbedingt ein türkis(b)laues Frühlingslüfterl, sondern scharfer Gegenwind.
Schon donnergrollte Pilzianer Wolfgang Zinggl, weil es noch keinen Termin für einen Kulturausschuss gibt. Dass eine von Blümel im März vorgeschlagene Sitzung abgeblasen wurde, weil SP-Kultursprecher Thomas Drozda keine Zeit hatte, vergaß Zinggl dabei ebenso zu erwähnen wie die Tatsache, dass schon in den vergangenen Monaten der alten Regierung Kulturausschüsse eher spärlich tagten.
456,6 Millionen Euro Kulturbudget sind natürlich kein Klacks. Doch bei aller Freude über das leichte und positiv überraschende Plus im Geldtopf: Die Kulturnation Österreich wendet gerade einmal 0,6 Prozent des Gesamthaushalts für Kunst und Kultur auf. Zum Vergleich: Für Landwirtschaft, Nachhaltigkeit und Tourismus gibt es 2,2 Milliarden Euro, für Umwelt, Energie und Klima knapp 627 Mio Euro. Und, ganz andere Baustelle, aber nicht ganz unerheblich: Im Krankenhaus Nord versickern nach aktueller Rechnung schlappe 300 Millionen Euro an Mehrkosten im Inkompetenzsumpf; da ist die energetische Grundstücksanierung und Gebäudereinigung um 95.000 Euro geradezu ein Schnäppchen.
Es stimmt, was vom Bundeskanzler abwärts jedes Regierungsmitglied mantraartig wiederholt, nämlich, dass mit öffentlichen Geldern – auch im Kulturbereich – sorgsam gewirtschaftet werden muss. Die Verteilungsgerechtigkeit ließe sich jedoch noch einigermaßen optimieren. Denn abgesehen von wenigen Stars leben die meisten Kunstschaffenden am oder unterm Existenzminimum. Ihr mittleres Einkommen beträgt etwa 5000 Euro netto, bei Literaten gar nur 2600 Euro – pro Jahr, nicht pro Monat! Mindestsicherung? Fehlanzeige. Ihre Kunst stellt einen zu großen Wert dar.
Fred Sinowatz (SPÖ), Erfinder der Gießkanne, verstand in den 1970er-Jahren Kulturpolitik als Fortsetzung der Sozialpolitik. Manfred Wagner, mittlerweile emeritierter Professor für Kunst und Geistesgeschichte, sprach deshalb einmal von einem „subventionären Klima“, in dem das Verhältnis von Kultur und Politik lediglich auf Geld basiere.
Doch in der Kulturpolitik geht es im Idealfall nicht nur ums kluge Geldverteilen. Hilde Hawlicek (SPÖ) etwa war eine ebenso unprätentiöse wie warmherzige mamma d’arte, die weniger durch intellektuelle Interviews als durch solidarische Haltung bestach. Und Rudolf Scholten war der bisher letzte Kulturminister überhaupt, der dieses Amt nicht nur als bürokratische Almosenverteilungszentrale und spektakuläre Jobbörse verstand. Er schuf ein Klima des Respekts und der Anerkennung, verkehrte mit Kunstschaffenden auf Augenhöhe, stärkte ihnen gegen alle Anfeindungen den Rücken gegen den Boulevard.
Gute Kunst muss nämlich genau gar nichts, auch nicht der Mehrheit gefallen. Diese innere Freiheit ist das gleichermaßen Verstörende wie Spannende und Schützenswerte an der Kunst. Visionäre Kulturpolitik setzte genau da an.