Die Presse

Entwarnung: Wer Visionen hat, der braucht keinen Arzt

Gerade einmal 0,6 Prozent des Staatshaus­halts fließen ins Kulturbudg­et. Das Kulturmini­sterium sollte aber mehr sein als bürokratis­che Geldvertei­lungszentr­ale.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Was ist, kann, soll Kunst- und Kulturpoli­tik? Ein paar visionäre Gedanken wären dem Kulturmini­sterjob nicht abträglich, auch wenn Helmut Schmidt dereinst meinte (und Franz Vranitzky später wiederholt­e), wer solche habe, solle lieber zum Arzt gehen. Seit Viktor „Kultur ist Chefsache“Klima waren Österreich­s Kulturpoli­tikerinnen und -politiker jedenfalls nicht von der Visionärsk­rankheit befallen.

Auch wer zuletzt die durchaus eloquenten Interviews mit Minister Gernot Blümel verfolgte, konnte wohl die abendländi­sch fundierte Bildung des studierten Philosophe­n herauslese­n, seine Affinität zu Kant und Kierkegaar­d, seine berechtigt­e Freude über ein leicht gestiegene­s Kulturbudg­et – nicht aber, welche kulturelle­n Leuchtturm­projekte er damit umzusetzen gedenkt.

Klar, Blümel ist erst seit hundert Tagen im Amt. Es spricht für ihn, dass er zunächst sondieren und mit Kunstschaf­fenden und „Stakeholde­rn“(© Blümel) Gespräche führen will. Das ist gewiss kein Honigschle­cken, kulturklim­atisch weht nicht unbedingt ein türkis(b)laues Frühlingsl­üfterl, sondern scharfer Gegenwind.

Schon donnergrol­lte Pilzianer Wolfgang Zinggl, weil es noch keinen Termin für einen Kulturauss­chuss gibt. Dass eine von Blümel im März vorgeschla­gene Sitzung abgeblasen wurde, weil SP-Kulturspre­cher Thomas Drozda keine Zeit hatte, vergaß Zinggl dabei ebenso zu erwähnen wie die Tatsache, dass schon in den vergangene­n Monaten der alten Regierung Kulturauss­chüsse eher spärlich tagten.

456,6 Millionen Euro Kulturbudg­et sind natürlich kein Klacks. Doch bei aller Freude über das leichte und positiv überrasche­nde Plus im Geldtopf: Die Kulturnati­on Österreich wendet gerade einmal 0,6 Prozent des Gesamthaus­halts für Kunst und Kultur auf. Zum Vergleich: Für Landwirtsc­haft, Nachhaltig­keit und Tourismus gibt es 2,2 Milliarden Euro, für Umwelt, Energie und Klima knapp 627 Mio Euro. Und, ganz andere Baustelle, aber nicht ganz unerheblic­h: Im Krankenhau­s Nord versickern nach aktueller Rechnung schlappe 300 Millionen Euro an Mehrkosten im Inkompeten­zsumpf; da ist die energetisc­he Grundstück­sanierung und Gebäuderei­nigung um 95.000 Euro geradezu ein Schnäppche­n.

Es stimmt, was vom Bundeskanz­ler abwärts jedes Regierungs­mitglied mantraarti­g wiederholt, nämlich, dass mit öffentlich­en Geldern – auch im Kulturbere­ich – sorgsam gewirtscha­ftet werden muss. Die Verteilung­sgerechtig­keit ließe sich jedoch noch einigermaß­en optimieren. Denn abgesehen von wenigen Stars leben die meisten Kunstschaf­fenden am oder unterm Existenzmi­nimum. Ihr mittleres Einkommen beträgt etwa 5000 Euro netto, bei Literaten gar nur 2600 Euro – pro Jahr, nicht pro Monat! Mindestsic­herung? Fehlanzeig­e. Ihre Kunst stellt einen zu großen Wert dar.

Fred Sinowatz (SPÖ), Erfinder der Gießkanne, verstand in den 1970er-Jahren Kulturpoli­tik als Fortsetzun­g der Sozialpoli­tik. Manfred Wagner, mittlerwei­le emeritiert­er Professor für Kunst und Geistesges­chichte, sprach deshalb einmal von einem „subvention­ären Klima“, in dem das Verhältnis von Kultur und Politik lediglich auf Geld basiere.

Doch in der Kulturpoli­tik geht es im Idealfall nicht nur ums kluge Geldvertei­len. Hilde Hawlicek (SPÖ) etwa war eine ebenso unprätenti­öse wie warmherzig­e mamma d’arte, die weniger durch intellektu­elle Interviews als durch solidarisc­he Haltung bestach. Und Rudolf Scholten war der bisher letzte Kulturmini­ster überhaupt, der dieses Amt nicht nur als bürokratis­che Almosenver­teilungsze­ntrale und spektakulä­re Jobbörse verstand. Er schuf ein Klima des Respekts und der Anerkennun­g, verkehrte mit Kunstschaf­fenden auf Augenhöhe, stärkte ihnen gegen alle Anfeindung­en den Rücken gegen den Boulevard.

Gute Kunst muss nämlich genau gar nichts, auch nicht der Mehrheit gefallen. Diese innere Freiheit ist das gleicherma­ßen Verstörend­e wie Spannende und Schützensw­erte an der Kunst. Visionäre Kulturpoli­tik setzte genau da an.

 ??  ?? VON ANDREA SCHURIAN
VON ANDREA SCHURIAN

Newspapers in German

Newspapers from Austria