Das Evangelium von Kika und Leiner
Affäre. Wer hat die Immobilien beim Verkauf des Möbelkonzerns Kika/Leiner an die nun skandalgebeutelte Steinhoff-Gruppe bewertet? Ein Fall mit offenen Fragen und schillernden Protagonisten.
Für Karl Vogl war die Umstellung nicht leicht. 43 Jahre hatte er für die Kika/Leiner-Häuser der Familie Koch gearbeitet, als sie im Sommer 2013 vom südafrikanischdeutschen Handelsriesen Steinhoff geschluckt wurden. Der Leiner-Betriebsrat tröstete sich damals: „Zumindest haben wir einen großen Konzern im Rücken. Jetzt kann uns nichts mehr passieren.“
Nur stimmte das leider nicht. Die neue Mutter, die bei der stockenden Osteuropaexpansion und im Wettbewerb mit dem wachsenden Rivalen XXXLutz Leiner/Kika den Rücken stärken sollte, entpuppte sich als weniger hilfreich als gedacht. Das wurde im Dezember klar: Da gaben die Südafrikaner Bilanzunregelmäßigkeiten im großen Stil zu. Chef Markus Jooste musste den Hut nehmen und hinterließ Verbindlichkeiten von 10,7 Mrd. Euro. Kika/Leiner und andere Tochterfirmen mussten plötzliche Geldlöcher mit Notverkäufen stopfen. Seitdem sind die Wirtschaftsprüfer einmarschiert – das Vertrauen ist dahin, die Aktie im Keller. Alles steht auf dem Prüfstand.
Womit wir zurück nach Österreich kommen: Anfang der Woche gab Steinhoff bekannt, dass das Immobilienportfolio der Tochterfirma Hemisphere wohl nur 1,1 Mrd. Euro statt 2,2 Mrd. Euro wert ist. Das ergab eine externe Prüfung, die Leerstände und konzerninterne Vermietungen herausrechnete. 140 Grundstücken und Häusern droht nun eine Milliardenabschreibung. 60 bis 70 davon sind Kika/Leiner-Filialen in Österreich und Osteuropa, bestätigte die Kette gegenüber der „Presse“.
Kika/Leiner-Chef Gunnar George will aber keine direkte Gefahr für seine Filialen sehen. Er verweist auf die Konzernstruktur: Die Immobilien und das operative Geschäft sind bei Steinhoff in verschiedenen Gesellschaften in verschiedenen Ländern geparkt. Viele Beobachter kritisierten diese Intransparenz im Zuge des Bilanzskandals.
„Wir sind nur der Mieter und haften nicht für die Immobilien. Das wissen unsere Gläubiger. Und die Kunden interessieren sich nur für das Tagesgeschäft“, sagt George zur „Presse“. Betriebsrat Vogl erlebt das anders. Viele würden Steinhoff mittlerweile mit Kika/ Leiner assoziieren. Besorgte Kunden fragen ihn regelmäßig, ob ihre Möbel noch geliefert werden.
Eine andere Frage, die sich nicht nur Kunden der Möbelkette stellen dürften, lautet: Nach welchen Kriterien wurden die Kika/ Leiner-Immobilien bewertet? Für eine Antwort muss man in der Zeit zurückgehen: Der Eigentümerfamilie Koch gehörten alle Filialen in Österreich. Steinhoff übersiedelte die Immobilien nach dem Verkauf in die Tochter Hemisphere im fernen Amsterdam. Am Verhandlungstisch saß der Kika/Leiner-Seniorchef Herbert Koch einer Riege an Finanzexperten von Steinhoff gegenüber. Also bat er auch den Finanzexperten seines Vertrauens dazu: Wolfgang Kulterer.
Wolfgang Kulterer? Den ExVorstand der Hypo Alpe Adria und den ehemaligen Hypo-Aufsichtsratschef Koch verbindet eine lange, enge Bekanntschaft. Die beiden Kärntner hatten immer gute Geschäfte miteinander gemacht. Kulterers Wort sei das „Evangelium“für den Kika/Leiner-Chef gewesen, erzählen Mitstreiter.
Zwischen seiner U–Haft 2010 im Zuge des Hypo-Skandals und dem Antritt seiner Haftstrafe 2014 nahm sich Kulterer also Zeit, seinem Freund Koch beim Verkauf seiner Kika/Leiner-Häuser zu helfen. Aufgrund des nahenden Haftantritts fanden die Verhandlungen allerdings unter Zeitdruck statt, erzählen mit dem Verkauf Vertraute.
Diese Episode ist seit 2015 bekannt. Da hielt Koch als Zeuge vor dem Hypo-U–Ausschuss eine Brandrede, in der er seinen ehemaligen Bankmanager verteidigte und dessen Schuld im Hypo-Skandal relativierte.
Als Hintergrund muss man wissen: Koch, seine Frau, Friederike, und die Firma Kika haben einst beim Hypo-Vorzugsaktiendeal einige Millionen investiert. Sie waren eine von mehreren betuchten Familien der „Jagdrunde“um Investor Tilo Berlin, die am Verkauf der Kärntner Hypo an die BayernLB gut verdient haben sollen. Mehrere Hypo-Vorstände wurden für den Deal später wegen Untreue verurteilt, Kulterer kam diesen Februar bedingt frei.
Aber zurück zu Kika/Leiner: Die Südafrikaner übernahmen die Kette 2013 rasch und schmerzlos. „Die Familie Koch hat zum richtigen Zeitpunkt das Richtige getan“, sagten Branchenkenner damals zur „Presse“. Der Kaufpreis wurde mit 600 Mio. Euro kolportiert.
Die Frage, nach welchen Kriterien die Immobilien damals bewertet wurden, ist aber nach wie vor offen. „Die Presse“stieß auf viele Erinnerungslücken. Im Umfeld von Kika/Leiner weist man hinter vorgehaltener Hand in Richtung Amsterdam.
Dabei fällt der Name der Beratungsgesellschaft Jones Lang LaSalle (JLL). Sie soll die Bewertungen vorgenommen haben, heißt es. JLL bestätigt zwar, 2012 einige Immobilien bewertet zu haben, die die Südafrikaner später kauften. Das sei aber auch alles gewesen. „JLL wurde nicht durch Steinhoff beauftragt. Eine Geschäftsbeziehung zwischen JLL und Steinhoff [. . .] hat es zu keiner Zeit gegeben.“Wer den Auftrag gab, könne man aus Gründen der Diskretion nicht sagen.
Antworten auf manche Fragen könnte der 20. April bringen. Da findet nämlich die Hauptversammlung von Steinhoff statt. Im Umfeld der Mutter wie auch der Tochter erhofft man sich Klarstellungen. Die spärliche Kommunikation befeuere nur Spekulationen, wie es um den Konzern steht und welches Loch die Abwertung im Immobilienportfolio tatsächlich aufreißt. Kika/Leiner-Chef George übt sich unterdessen in Gelassenheit: „Solang unser Vermieter nicht pleitegeht oder uns verkauft, ist es mir egal.“