Die Presse

Die Zukunft startet im Innviertel

Industrie. Der Schweizer Weltkonzer­n ABB investiert 100 Mio. in einen Forschungs­campus bei der vor einem Jahr gekauften B & R. Das schafft 1000 Jobs – warum gerade auf dem Land?

- VON KARL GAULHOFER

Das sind Termine, wie Politiker sie lieben: Ein Weltkonzer­n investiert 100 Mio. Euro in Österreich und schafft dabei 1000 Arbeitsplä­tze. Noch dazu lauter Hightechjo­bs für Hochqualif­izierte, denn es geht um einen Forschungs­campus, der an der voll automatisi­erten und voll vernetzten „Fabrik der Zukunft“tüfteln soll. Und das nicht in der Großstadt, sondern im ländlichen Raum: in der kleinen Gemeinde Eggelsberg bei Schärding in Oberösterr­eich. Da lässt es sich auch Bundeskanz­ler Sebastian Kurz nicht nehmen, der Verkündigu­ng der frohen Botschaft in Linz beizuwohne­n.

Was aber zieht den Schweizer Riesen ABB ins tiefste Innviertel? Vor einem Jahr hat der Elektrotec­hnikkonzer­n dort eine Perle der heimischen Wirtschaft aufgekauft: das auf Industriea­utomatisie­rung spezialisi­erte Unternehme­n Bernecker & Rainer (B & R). Der Deal sollte eine Lücke schließen, unter der ABB in diesem Bereich immer litt – „ein Geburtsfeh­ler“, wie Konzernche­f Ulrich Spiesshofe­r offen zugibt. Der Rückenwind aus Oberösterr­eich könnte den Schweizern ermögliche­n, den Marktführe­r Siemens einzuholen. Mit der Entwicklun­g der Akquise ist Spiesshofe­r sichtlich hoch zufrieden: „Sie sehen mich immer noch lächeln.“B & R habe bisher eine „fantastisc­he Performanc­e“abgeliefer­t und die sehr ehrgeizige­n Pläne noch übertroffe­n. Der Umsatz stieg im Vorjahr von 560 Mio. auf rund 750 Mio. Euro. Die angepeilte Umsatzmill­iarde sei damit ebenfalls „nicht mehr weit weg“. Also will man nun auch bei den Investitio­nen noch mehr Gas geben.

Der Spatenstic­h für den Innovation­sund Bildungsca­mpus erfolgt im Sommer, in Betrieb gehen soll er 2020, zwei Jahre später werde der Mitarbeite­rstand komplett sein. Das Ziel ist, „junge Digitalfüc­hse mit alten Industrieh­asen“zusammenzu­bringen, in enger Kooperatio­n mit der Kepler-Uni in Linz und den Fachhochsc­hulen. Die Themen reichen von der klassische­n Steuerungs­technik bis zu lernenden Maschinen und anderen Formen künstliche­r Intelligen­z. Freilich hat ein weltweit tätiger Technologi­ekonzern wie ABB viele Forschungs­zentren, aber Eggelsberg wird künftig zu den fünf größten gehören – zusammen mit den Standorten im Silicon Valley, Shanghai, Bangalore und dem Stammsitz in Zürich.

Ganz haben sich die Gründer von B & R noch nicht von ihrem Lebenswerk gelöst. Auch beim Campusproj­ekt, der größten Einzelinve­stition in ihrer Firmengesc­hichte, sind Josef Rainer und Erwin Bernecker noch beratend dabei. 39 Jahre ist es her, dass die beiden Freunde im Keller einer Bank gestartet sind. In den beiden letzten Dekaden ist das Unternehme­n der heute 66-Jährigen im Schnitt um elf Prozent pro Jahr gewachsen und hat damit den Gesamtmark­t weit hinter sich gelassen. Heute beschäftig­t es über 3000 Mitarbeite­r weltweit, davon ein Drittel in Forschung, Entwicklun­g und Anwendungs­technik. B & R beliefert in erster Linie Maschinenb­auer mit dem „Hirn“der von ihnen gebauten Anlagen: den Industriec­omputern und der programmie­rbaren Steuerung. Dieser Markt hat ein Volumen von 20 Mrd. Dollar und ein durchschni­ttliches jährliches Wachstum von fünf Prozent.

Der Trend gehen hier in Richtung „Losgröße eins“: Die Steuerung soll ermögliche­n, dass ein Endkunde ein einzelnes Stück bestellt und die Maschine es kostengüns­tig produziert, ohne dass man sie aufwendig umrüsten oder einstellen muss. Das könne bis hin zu individuel­len Medikament­enverpacku­ngen oder der „Cola-Flasche mit einem persönlich­en Foto“gehen, erklärt B-&-R-Chef Hans Wimmer im „Presse“-Gespräch. Auch im Vertrieb findet er neue Wege: Neben Maschinenb­auern beliefert B & R seit einigen Jahren auch direkt Konzerne wie Nestle´ und BMW. Dabei geht es darum, auf schon bestehende Maschinen ein „Monitoring“draufzuset­zen. Auf diese Weise lässt sich mehr darüber erfahren, was sie den ganzen Tag über so treiben. Bei Nestle´ habe das den Ausstoß um bis zu vier Prozent erhöht – ein „sensatione­lles Ergebnis“. ABB kann diese Dynamik gut gebrauchen. Denn bei den Schweizern entwickelt­e sich das Geschäft mit der Industriea­utomatisie­rung vor der Übernahme schleppend, Umsatz und Auftragsei­ngänge gingen zurück.

Die beiden Unternehme­n ergänzen sich aber auch gut: B & R ist in der Lebensmitt­elindustri­e, bei Verpackung­sherstelle­rn und Autobauern stark, ABB bei Versorgern und Infrastruk­turanbiete­rn. B & R kann dank der neuen Mutter in Asien und Nordamerik­a aufholen, wo man bisher schwächer vertreten war. Die Kunden bekommen nun auch die Robotik, für die es bei ABB ein eigene Division gibt, aus einer Hand. Da die beiden Firmen früher kaum in direkter Konkurrenz standen, hatte auch die EU-Kommission im Vorjahr keine Bedenken gegen den Kauf.

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[ Reuters ]

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