Die Presse

Dem Libanon droht der Kollaps

Analyse. Der Libanon muss bei einer Konferenz in Paris um Geld bitten. Das Land leidet unter hohen Schulden, dem Krieg beim Nachbarn Syrien und dem Konflikt zwischen Riad und Teheran.

- VON NIKOLAUS JILCH

Der Libanon ist gefangen zwischen den Fronten: Beim Nachbarn Syrien tobt der Krieg. Dazu kommt ein gewaltiger Schuldenbe­rg. Jetzt wird das Land auch zum Spielball im Konflikt zwischen Saudiarabi­en und dem Iran. Dem Libanon droht der ökonomisch­e und politische Kollaps. Frankreich will helfen und hat auf Initiative von Präsident Emanuel Macron am Freitag zu einer großen Investoren­konferenz in Paris geladen. „Es geht nicht nur um die Stabilität des Libanon, sondern um die Stabilität der Region und damit der Welt“, sagte Premiermin­ister Saad Hariri.

41 Länder und eine Reihe von internatio­nalen Organisati­onen nehmen teil. Frankreich selbst will eine halbe Milliarde beisteuern. Auch Deutschlan­d, Italien und die EU wollen mit Milliarden helfen. Insgesamt braucht Beirut mindestens 17 Milliarden, um das Schlimmste zu verhindern, hieß es im Vorfeld der sogenannte­n Cedre-Konferenz, wie das Meeting in Paris heißt. Der Name kommt vom Zedernbaum.

Das Gewächs prangt auf der Fahne des Libanon – und unterschei­det die rot-weiß-rote Flagge von der österreich­ischen. Im Libanon leben mehr als sechs Millionen Menschen auf einer Fläche knapp kleiner als Oberösterr­eich. Dazu kommen rund eine Million Flüchtling­e aus Syrien. Das ist auch einer der Gründe für die große Hilfsberei­tschaft Europas: In Paris und Berlin will man keine neue Massenwand­erung nach Norden riskieren.

Die Staatsfina­nzen des Libanon sind ein Fiasko. Die Schuldenqu­ote liegt bei mehr als 150 Prozent der Wirtschaft­sleistung. Mehr als 70 Prozent der Staatsausg­aben gehen für Beamtengeh­älter und Zinsen drauf. Zehn Prozent für die Subvention­ierung von Elektrizit­ät. Das Staatsdefi­zit ist im aktuellen Budget auf fast fünf Mrd. Dollar angewachse­n und hat sich seit dem Beginn des Syrien-Kriegs 2011 verdoppelt. Bei der Konfe- renz hat die Regierung eine Liste von 280 Infrastruk­turprojekt­en vorgelegt, für die man Finanzieru­ng suche. Diese Liste richtet sich vor allem an die Weltbank und die Europäisch­e Bank für Wiederaufb­au und Entwicklun­g, die ebenfalls an dem Meeting teilnehmen. Wie sie es bei Griechenla­nd gemacht haben, pochen die westlichen Partner aber auch im Nahen Osten auf Reformen. Blankosche­cks werde es keine geben, hieß es in Paris.

Der Libanon selbst ist eine Art Mikrokosmo­s des Nahen Ostens. Das Land wird von Sunniten, Schiiten und Christen (Maroniten) gemeinsam bewohnt. Premier Saad Hariri ist Sunnit. Traditione­ll kann sich der Libanon auf Partner im Nahen Osten verlassen. Aber die Umgebung ist rau geworden.

Im November war Hariri während eines Staatsbesu­chs bei seinen Unterstütz­ern in Riad völlig überrasche­nd zurückgetr­eten, was das Vertrauen in die Stabilität der libanesisc­hen Politik und Wirtschaft weiter erschütter­t hat. Dass der Premier seinen Rücktritt später zurückgeno­mmen hat, sollte nicht mehr helfen. Offenbar ist man in Saudiarabi­en unglücklic­h über den wachsenden Einfluss des schiitisch­en Iran im Libanon.

Eine der wichtigste­n schiitisch­en Stimmen in Beirut ist die vom Iran finanziert­e Hisbollah. Sie wird von Israel, den USA und Kanada als Terrororga­nisation eingestuft. Die Europäisch­e Union differenzi­ert zwischen der politische­n Partei und dem militärisc­hen Arm. Nur die Miliz wird als Terrororga­nisation angesehen.

Seit 1992 sitzt die Hisbollah auch im libanesisc­hen Parlament. Ihr Führer, Sayyed Hassan Nasrallah, sagte im März über die Helferkonf­erenz in Paris: „Wir fahren nach Paris, um Kredite zu machen und Schulden zu bekommen. Das muss im Parlament diskutiert werden. Es wird zu einer Bedrohung für die Sicherheit und Stabilität der Gesellscha­ft, wenn es mit den Ausgaben so weitergeht wie bisher.“

Vor Ort ist man auch nicht sonderlich optimistis­ch, dass diese vierte Konferenz den gewünschte­n Turnaround für den Libanon bringt. Bei der dritten Konferenz wurden 2007 rund 7,6 Mrd. versproche­n. Was folgte, war eine massive politische Krise, die das Land lähmen sollte.

„Paris III hat aus demselben Grund nicht funktionie­rt, aus dem auch Paris IV nicht funktionie­ren wird: weil die Geldgeber glauben, Kredit an Reformen binden zu müssen. Die Reformen fanden aber nicht statt“, sagte Sami Nader, Ökonom an der katholisch­en Sankt-Joseph-Universitä­t in Beirut zu al-Jazeera: „Wer will in ein zerstörtes Land investiere­n?“

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[ reuters ]

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