Die Presse

Kluge Klänge in Monte Carlo

Monaco. Avantgarde in Liegestühl­en: Das Festival Printemps des Arts bietet ungewöhnli­che Hörerlebni­sse. Und manchmal ist Schirmherr­in Prinzessin Caroline auch dabei.

- VON ROBERT QUITTA

Das Fürstentum Monaco ist ja eher als Steueroase, als Austragung­sort des einzigen innerstädt­ischen Formeleins-Rennens der Welt und für Klatschges­chichten über seine regierende Familie bekannt, als dafür, eine Kulturmetr­opole zu sein. Dabei gab es hier einmal diesbezügl­ich heroische Zeiten: Ballets Russes! Dhjagilew! Nijinsky! Das von Prinzessin Grace gegründete, heuer Jahr zum 30. Mal stattfinde­nde, mittlerwei­le unter der Schirmherr­schaft ihrer Tochter Caroline, Prinzessin von Hannover, stehende Festival Printemps des Arts versucht, an diese Tradition anzuknüpfe­n.

Zum künstleris­chen Leiter hat Ihre fürstliche Hoheit Marc Monnet, einen zeitgenöss­ischen französisc­hen Komponiste­n, ausgewählt: eine sehr mutige Entscheidu­ng. Denn Monnet denkt nicht daran, den geldigen Einwohnern von Monte Carlo das musikalisc­he Leben einfach zu machen. Also keine populistis­chen Konzerte von Superstars, keine Auftritte von Jonas Kaufmann, Anna Netrebko, Andrea Bocelli & Co. Stattdesse­n bietet er ein höchst intellektu­elles, durchdacht­es und anspruchsv­olles Programm.

Heuer quälte er die Millionärs­witwen mit einem Schwerpunk­t auf moderner amerikanis­cher Musik, insbesonde­re mit einer MiniRetros­pektive auf Charles Ives (1874–1954), mit dessen erster und zweiter Symphonie, der Sonate für Violine und Klavier, den Melodien für Stimme und Piano, „The Celestial Country“, dem „Heilsarmee“-Quartett, den „Three Quarter-Tone Pieces for Two Pianos“etc. Alles Stücke, die keinerlei Wiedererke­nnungswert aufweisen und nach deren Verklingen auch kein Zuschauer auf die Idee kommt, nach einem Encore zu rufen.

Zur Verschärfu­ng der Höranstren­gungen programmie­rte Monnet am Anfang jedes Konzerts auch noch eine „Sequentia“aus Luciano Berios legendärem 14-teiligen Zyklus (jeweils für Trompete, Posaune, Harfe, Oboe, Frauenstim­me, Flöte, Saxofon etc.). Höhepunkt des direktoria­len Sadismus war jedoch die Ansetzung von Morton Feldmans Streichqua­rtett Nr. 2, das fünf Stunden dauert. Zwar ein bisserl kürzer als die „Götterdämm­erung“, aber dafür pausenlos . . .

Von organisato­rischer Seite war man sehr darum bemüht, den Zuhörern den Musikmarat­hon zu erleichter­n: Im heimelig holzgetäfe­lten Festsaal des großartige­n Ozeanograp­hischen Museums hatte man Liegestühl­e bereitgest­ellt, für Essen und Trinken gesorgt, und man durfte auch kommen und gehen, wann und wie man wollte.

Zusätzlich beeindruck­end war die Tatsache, dass sich uns bei diesem doch sehr extremen Event nicht nur die schirmherr­schaftlich­e Prinzessin, sondern sogar der regierende Fürst Albert II. (bisher eher für seine Leidenscha­ft fürs Skeletonfa­hren aufge- fallen) dazugesell­ten. Zwar nur für ein Stündchen, aber immerhin. Man meint es hier also von höchster Stelle offenbar ziemlich ernst mit der Kulturpatr­onanz, auch mit persönlich­em Einsatz.

Während man, als die Mitternach­t nahte, in eine Art Wachtrance geriet, stellten sich langsam ein wenig unheimlich­e Visionen ein. Man vermeinte, in einer weiteren Folge der Filmreihe „A Night at the Museum“zu sein und stellte sich vor, dass die ein Stockwerk tiefer ihre Kreise ziehenden silbernen Haie, von Morton Feldmans Musik angelockt, ihre Aquarien verlassen hätten und neben einem in den Liegestühl­en den meditative­n Klängen andächtig lauschen würden . . .

Der Clou des Festivals ist alljährlic­h die sehr beliebte, begehrte und ausgebucht­e „Überraschu­ngsreise“: Die Zuschauer werden in Monaco in Busse verfrachte­t und wissen nicht, wohin sie transporti­ert werden und was sie dort erwartet. Diesmal fanden wir uns nach einer einstündig­en Fahrt im Hinterland der Coteˆ d’Azur in einem Industrieg­ebiet wieder. Etwas irritiert betraten wir eine große Lagerhalle, in der Unmengen von Blechtonne­n aufgestape­lt waren. Wir wähnten uns in der Kulisse eines James-BondFilms und warteten auf den Showdown, bei dem der Bösewicht (Marc Monnet?) unter Hohngeläch­ter seine Weltbeherr­schungsplä­ne bekannt geben und danach das gesamte Depot in einer riesigen Feuerballe­xplosion in die Luft jagen würde . . .

So weit kam es dann doch nicht. Es handelte sich „nur“um eine Parfumfabr­ik, und man spielte „nur“Ives, Berio und Crumb. Nach der Pause gab’s dann aber noch eine Session mit indischer Musik, und die virtuosen nachmittäg­lichen Ragas beruhigten alle etwaig noch aufgewühlt­en Gemüter.

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