Kluge Klänge in Monte Carlo
Monaco. Avantgarde in Liegestühlen: Das Festival Printemps des Arts bietet ungewöhnliche Hörerlebnisse. Und manchmal ist Schirmherrin Prinzessin Caroline auch dabei.
Das Fürstentum Monaco ist ja eher als Steueroase, als Austragungsort des einzigen innerstädtischen Formeleins-Rennens der Welt und für Klatschgeschichten über seine regierende Familie bekannt, als dafür, eine Kulturmetropole zu sein. Dabei gab es hier einmal diesbezüglich heroische Zeiten: Ballets Russes! Dhjagilew! Nijinsky! Das von Prinzessin Grace gegründete, heuer Jahr zum 30. Mal stattfindende, mittlerweile unter der Schirmherrschaft ihrer Tochter Caroline, Prinzessin von Hannover, stehende Festival Printemps des Arts versucht, an diese Tradition anzuknüpfen.
Zum künstlerischen Leiter hat Ihre fürstliche Hoheit Marc Monnet, einen zeitgenössischen französischen Komponisten, ausgewählt: eine sehr mutige Entscheidung. Denn Monnet denkt nicht daran, den geldigen Einwohnern von Monte Carlo das musikalische Leben einfach zu machen. Also keine populistischen Konzerte von Superstars, keine Auftritte von Jonas Kaufmann, Anna Netrebko, Andrea Bocelli & Co. Stattdessen bietet er ein höchst intellektuelles, durchdachtes und anspruchsvolles Programm.
Heuer quälte er die Millionärswitwen mit einem Schwerpunkt auf moderner amerikanischer Musik, insbesondere mit einer MiniRetrospektive auf Charles Ives (1874–1954), mit dessen erster und zweiter Symphonie, der Sonate für Violine und Klavier, den Melodien für Stimme und Piano, „The Celestial Country“, dem „Heilsarmee“-Quartett, den „Three Quarter-Tone Pieces for Two Pianos“etc. Alles Stücke, die keinerlei Wiedererkennungswert aufweisen und nach deren Verklingen auch kein Zuschauer auf die Idee kommt, nach einem Encore zu rufen.
Zur Verschärfung der Höranstrengungen programmierte Monnet am Anfang jedes Konzerts auch noch eine „Sequentia“aus Luciano Berios legendärem 14-teiligen Zyklus (jeweils für Trompete, Posaune, Harfe, Oboe, Frauenstimme, Flöte, Saxofon etc.). Höhepunkt des direktorialen Sadismus war jedoch die Ansetzung von Morton Feldmans Streichquartett Nr. 2, das fünf Stunden dauert. Zwar ein bisserl kürzer als die „Götterdämmerung“, aber dafür pausenlos . . .
Von organisatorischer Seite war man sehr darum bemüht, den Zuhörern den Musikmarathon zu erleichtern: Im heimelig holzgetäfelten Festsaal des großartigen Ozeanographischen Museums hatte man Liegestühle bereitgestellt, für Essen und Trinken gesorgt, und man durfte auch kommen und gehen, wann und wie man wollte.
Zusätzlich beeindruckend war die Tatsache, dass sich uns bei diesem doch sehr extremen Event nicht nur die schirmherrschaftliche Prinzessin, sondern sogar der regierende Fürst Albert II. (bisher eher für seine Leidenschaft fürs Skeletonfahren aufge- fallen) dazugesellten. Zwar nur für ein Stündchen, aber immerhin. Man meint es hier also von höchster Stelle offenbar ziemlich ernst mit der Kulturpatronanz, auch mit persönlichem Einsatz.
Während man, als die Mitternacht nahte, in eine Art Wachtrance geriet, stellten sich langsam ein wenig unheimliche Visionen ein. Man vermeinte, in einer weiteren Folge der Filmreihe „A Night at the Museum“zu sein und stellte sich vor, dass die ein Stockwerk tiefer ihre Kreise ziehenden silbernen Haie, von Morton Feldmans Musik angelockt, ihre Aquarien verlassen hätten und neben einem in den Liegestühlen den meditativen Klängen andächtig lauschen würden . . .
Der Clou des Festivals ist alljährlich die sehr beliebte, begehrte und ausgebuchte „Überraschungsreise“: Die Zuschauer werden in Monaco in Busse verfrachtet und wissen nicht, wohin sie transportiert werden und was sie dort erwartet. Diesmal fanden wir uns nach einer einstündigen Fahrt im Hinterland der Coteˆ d’Azur in einem Industriegebiet wieder. Etwas irritiert betraten wir eine große Lagerhalle, in der Unmengen von Blechtonnen aufgestapelt waren. Wir wähnten uns in der Kulisse eines James-BondFilms und warteten auf den Showdown, bei dem der Bösewicht (Marc Monnet?) unter Hohngelächter seine Weltbeherrschungspläne bekannt geben und danach das gesamte Depot in einer riesigen Feuerballexplosion in die Luft jagen würde . . .
So weit kam es dann doch nicht. Es handelte sich „nur“um eine Parfumfabrik, und man spielte „nur“Ives, Berio und Crumb. Nach der Pause gab’s dann aber noch eine Session mit indischer Musik, und die virtuosen nachmittäglichen Ragas beruhigten alle etwaig noch aufgewühlten Gemüter.