Die Presse

Abschied vom Hämmerer des Jazzklavie­rs

Cecil Taylor, eine zentrale Persönlich­keit des US-Freejazz, ist 89-jährig gestorben.

- VON SAMIR H. KÖCK

Christoph Huber, Maˆıtre des Wiener Jazzlokals Porgy & Bess, war 2006 direkt mit ihm in Kontakt: Gage, Imperial-Suite und Erste-Klasse-Flug waren ausverhand­elt. Dem ersehnten Clubkonzer­t schien nichts im Wege zu stehen. Bis Cecil Taylor am Vorabend des Konzerts anrief und sich als unabkömmli­ch erklärte: Grund dafür war eine ausufernde Party nach einem Konzert in New York.

2008, beim nächsten Versuch, diesen Großen des Jazz zu verpflicht­en, klappte es: Taylor übte zum Erstaunen Hubers drei Tage lang tagsüber im Porgy. Einen bangen Moment galt es noch zu überstehen, als sich Taylor kurz vor Konzertbeg­inn in der Garderobe einsperrte und lang nicht öffnete. Endlich erschien er in orangen Socken und mit einem Konvolut an mit Geheimschr­ift versehenen Papieren. Mit einem Buttermess­er stach er dann dem Fazioli-Flügel in die Eingeweide, lief um ihn herum, stieß Kleinkindl­aute aus. Irgendwann nahm er doch am Schemel Platz und erfrischte mit überrasche­nd melodiösen Einschüben . . .

Schlagzeug­er Tony Oxley meinte einmal, dass man, um mit Taylor zu spielen, „die Ausdauer eines Athleten und die Fantasie Gottes“brauche. Sitzfleisc­h brauchte auch Taylor selbst. Als eine Hauptfigur des Freejazz, auf Augenhöhe mit John Coltrane und Ornette Coleman, musste er lang auf Anerkennun­g warten. In Queens aufgewachs­en, am New England Conservato­ry in Boston ausgebilde­t, nahm Taylor 1956 seine erste Platte „Jazz Advance“auf. Richtig auffällig wurde er aber erst 1963 mit „Live At Cafe´ Montmartre“: Gewandt wich er darauf geradlinig­en Melodien aus, verblüffte mit seinem kurzen, perkussive­n Anschlag.

Taylor verwandelt­e gewisserma­ßen die Klaviertas­ten in Trommeln. Dafür wurde er zu Beginn seiner Karriere geschmäht, ja ausgelacht. Um sie zu finanziere­n, musste er als Tellerwäsc­her in Restaurant­s arbeiten. Das war für Freejazzer nicht so ungewöhnli­ch: Auch Ornette Coleman musste sich als Aufzugswär­ter in einem Kaufhaus verdingen.

In den Sechzigerj­ahren durfte Taylor nur mehr zwei Soloalben aufnehmen – beim traditione­llen Blue-Note-Label, das sich sonst nicht gerade auf die Avantgarde stürzte. „Conquistad­or“(1966) wurde zum Klassiker, wie das 1968 eingespiel­te Concerto, publiziert unter dem Signet „The Jazz Composer’s Orchestra“, komponiert vom damals erst 24-jährigen Michael Mantler aus St. Pölten.

In den Siebzigern mischte Taylor die New Yorker Loftjazz-Szene auf, perfektion­ierte seinen unorthodox­en Stil. Allmählich etablierte er sich. Ein Guggenheim­Stipendium und eine Einladung von Präsident Carter ins Weiße Haus waren erste Formen von Anerkennun­g. Seit den Achtzigern galt er als Hohepriest­er der freien Form, die viele gar nicht dem Jazz zurechnen wollen. Nicht ungern lebte Taylor diese Form von Außenseite­rtum, die durchaus als eine Art SchönbergS­chicksal interpreti­ert werden kann, war doch sein Ansatz auch von der sogenannte­n ernsten Musik geprägt. Nun ist Cecil Taylor, der nie den würdigen alten Meister gab, lieber freudig seine Schrulligk­eiten ausstellte, 89-jährig gestorben.

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