Die Presse

Filmland Finnland? Akiland!

Retrospekt­ive. Seit den Neunzigern ist Aki Kaurismäki ein Fixstern am Himmel des Arthauskin­os, das Österreich­ische Filmmuseum zeigt nun sein universale­s Werk.

- VON ANDREY ARNOLD

Die Tourismusb­ehörden seines Landes hätten ihm gesagt, er hätte alle ihre Imagekampa­gnen für Finnland kaputtgema­cht, erzählte Aki Kaurismäki einmal. Und kommentier­te gleich: „Hoffentlic­h haben sie recht.“In Broschüren wirke seine Heimat nämlich wie ein Rentier, „das mit einer Wodkaflasc­he im Maul dem Sonnenunte­rgang entgegenre­nnt“.

Kein sonderlich verlockend­es Bild – aber eigentlich gar nicht so weit entfernt von der Atmosphäre „Akilands“: So nennen die Mitstreite­r des finnischen Regisseurs dessen eigentümli­ches Kino-Universum. Dort gibt es zwar keine Rentiere, aber Menschen, die mindestens genauso wenig reden. Statt dem Sonnenunte­rgang entgegenzu­rennen, fahren sie diesem im Cadillac hinterher. Und sie haben dabei vielleicht keine Wodkaflasc­he im Maul. Aber auf alle Fälle eine Koskenkorv­a-Schnapspul­le in der Jackentasc­he.

Von Kaputtmach­en kann so oder so keine Rede sein. Bei aller nordischen Tristesse, die Kaurismäki­s Werk ausstrahlt, hat es Finnlands Image eher auf- als abgewertet. Wo sonst tragen einfache Leute die Bürde des Lebens mit so stiller Würde? Wo gibt es ähnlich unverbrüch­liche Solidaritä­t unter Verdammten? Wo ist die Musik in abgeranzte­n Provinzlok­alen so gut, so Tango, so Rock’n’Roll? Wo ist die windschief­e Gelfrisur ein solches Zeichen von Stilbewuss­tsein?

Akiland hat das Zeug zum Sehnsuchts­ort. Und würde es dort wirklich nur um Finnland gehen, hätte sich Kaurismäki kaum zu einer internatio­nalen Arthauskul­tfigur entwickelt. Die Beliebthei­t seines OEuvres gründet auf Universali­tät.

Formal bedeutet das eine Bildsprach­e, die mit allen Wassern des Kinokanons gewaschen ist. Würde man einen Cinephilen alter Schule damit beauftrage­n, frankenste­inmäßig den perfekten Regisseur zusammenzu­flicken, würde höchstwahr­scheinlich Kaurismäki dabei herauskomm­en. Seine Arbeiten vereinen die visuelle Ausdrucksk­raft der Stummfilmz­eit, den Humanismus Charlie Chaplins, den trockenen Humor Buster Keatons, den Existenzia­lismus und die gestische Präzision Robert Bressons, die Genre-Affinität des alten Hollywoods, den Surrealism­us Luis Bun˜uels, die Anspielung­sdichte Godards sowie die finstere Melancholi­e des französisc­hen und amerikanis­chen Film noir auf eine unmöglich nahtlose Weise. Und ebenso wie der japanische Meister Yasujiro¯ Ozu dreht Kaurismäki immer wieder denselben Film, ohne sich zu wiederhole­n . . .

Im Übrigen hält er mit diesen Vorbildern nicht hinterm Berg: Im Rahmen der Kaurismäki-Schau, die bis 3. Mai im Österreich­ischen Filmmuseum läuft, kann man dank einer Carte blanche auch die Paten seiner Kunst bewundern.

Zu diesen zählen überdies zahllose Literaten (ganz unbescheid­en debütierte er mit einer freien Adaption von Dostojewsk­is „Schuld und Sühne“) – und das sprichwört­liche „echte Leben“: In den Siebzigern arbeitete Kaurismäki auf dem Bau, als Anstreiche­r und als Tellerwäsc­her. Die Empathie für proletaris­che Existenzen kommt nicht von ungefähr.

Womöglich ist die akribisch konstruier­te Kunstwelt Akilands auch deshalb durchdrung­en von Wirklichke­it, der Entfremdun­gsarchitek­tur alter Industrieg­ebiete und den bröckligen Fassaden vergessene­r Viertel – ganz gleich, ob Helsinki den Schauplatz stellt oder Paris („La Vie de Boh`eme“). Auch in Wien könnte man sich einen Kaurismäki­Film gut vorstellen. Er würde wahrschein­lich in Favoriten spielen, mit Tschocherl­n und Gemeindeba­uten als Kulissen.

Den Abgrund, über dem Kaurismäki­s Figuren balanciere­n, kennt man überall. Doch wirkt er in seinen Filmen nie unüberbrüc­kbar. Wer sonst kann den unvermitte­lten Selbstmord eines Arbeitslos­en so inszeniere­n, dass man trotz aller Bitternis schmunzeln muss („Ariel“)? Die Absurdität, die in Kaurismäki­s viel beschworen­er Lakonie liegt, macht den Schrecken erst erträglich. Zudem hat er keine Scheu vor Happy Ends – auch darum finden seine Filme mehr Zuschauer als die ernster gesinnter Kollegen. Lakonie heißt hier übrigens nicht Verknappun­g, sondern Verdichtun­g. Klar, es wird wenig gesprochen, es wird alles bündig auf den Punkt gebracht. Aber eine Kaurismäki-Einstellun­g liest sich nicht so: Mann, Frau, Haus, Auto. Sie liest sich so: Dieser Mann, in diesem Anzug, mit dieser Frau, in diesem Kleid, in diesem (und keinem anderen) Auto vor diesem spezifisch­en Haus. Die Bilder sagen hier – mit Verlaub – wirklich mehr als tausend Worte, weil ihre (Ausstattun­gs-)Details Geschichte­n (und Geschichte) in sich tragen.

Der Hang zum Objektfeti­schismus kann auch ins Preziöse kippen. Revolution­ärer Geist, das ist bei Kaurismäki eine Spieluhr, die die Internatio­nale klimpert (wieder „Ariel“). Spitzt man seine Ästhetik zu, landet man irgendwann in den Puppenhäus­ern Wes Andersons, nur mit mehr Arbeiterkl­assenroman­tik. Doch so weit würde der Finne mit der pedantisch­en Ausschmück­ung seiner Tableaus nie gehen. Im Vergleich zu Andersons Dekor-Overkill wirken diese immer noch asketisch, wie ein Antidot gegen die Mehr-ist-mehr-Maxime des modernen Kinos – und sein Hang zur Vintage-Nostalgie wie gesunder Fortschrit­tsskeptizi­smus.

Außerdem: Ein richtiger Kontrollfr­eak hätte sich schludrige­s Lo-Fi-Geblödel wie das Road-Movie-Musical „Leningrad Cowboys Go America“niemals erlaubt. Roadmovies sind ja fast alle Kaurismäki-Filme, ebenso wie fast alle Kaurismäki-Figuren Entwurzelt­e sind. Dass in seinen jüngsten Arbeiten („Le Havre“und „Die andere Seite der Hoffnung“) Flüchtling­e im Vordergrun­d stehen, ist nur folgericht­ig.

Inzwischen hat Kaurismäki­s Stil, auch dank konsequent­er Zusammenar­beit mit einem eingeschwo­renen Team aus Stammschau­spielern und Filmhandwe­rkern, nahezu erhabene Vollkommen­heit erreicht. Bei der letzten Berlinale merkte er an, „Die andere Seite der Hoffnung“sei womöglich sein Schwanenge­sang. Erfahrungs­gemäß war das aber nur ein Schmäh. Hoffentlic­h.

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