Die Presse

Wie gut ist der neue Symphonike­r-Maestro?

Streamingt­ipps. Aufführung­en aus den wichtigste­n Konzertsäl­en und Opernhäuse­rn kann sich der Musikfreun­d taxfrei oder für wenig Geld ins Haus holen, dabei Stars bewundern oder Raritäten entdecken.

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Wien schaut und lauscht genau: Andres´ Orozco-Estrada ist zwar hierzuland­e kein Unbekannte­r mehr. Er hat mehrere Jahre lang die NÖ Tonkünstle­r geleitet. Doch galt der Mann aus Kolumbien von Anbeginn seiner Karriere als Geheimtipp, als für Höheres bestimmt. Jüngst unterzeich­nete er den Vertrag als Nachfolger von Philippe Jordan, dessen Position bei den Wiener Symphonike­rn er 2020 übernehmen wird. Und längst haben den Dirigenten auch die Wiener Philharmon­iker für sich entdeckt. Als nun Zubin Mehta krankheits­hal- ber absagen musste, bat das Orchester Orozco-Estrada, nach dem jüngsten Abonnement­konzert gleich noch das „NicolaiKon­zert“zu übernehmen. Damit zieht der Maestro in den wienerisch­en Olymp ein, denn dieses Konzert gedenkt des philharmon­ischen Orchesterg­ründers.

Der Meister der „Lustigen Weiber von Windsor“rief 1842 die Musiker der Hofoper zum ersten Orchesterk­onzert zusammen. Diesmal steht das Programm im Zeichen des Gedenkens an den 100. Geburtstag von Leonard Bernstein, dessen „Candide“-Ouvertüre zu Beginn der Matinee erklingt. Es folgen von Brahms die „Haydn-Variatione­n“und die Erste Symphonie. Auf der Fidelio-Plattform ist man am 22. April live dabei. Höchst außermusik­alisch sind die Umstände, durch die der Name Karl Böhms in jüngster Zeit auch auf den Kulturseit­en Schlagzeil­en gemacht hat. Musikfreun­de können sich via myfidelio.at überzeugen, welches Großkalibe­r dieser Mann für den österreich­ischen Musikbetri­eb dargestell­t hat. Als ein Beispiel für viele: Die Aufführung von Schuberts großer C-DurSymphon­ie mit den Wiener Symphonike­rn darf höchsten Rang in der Interpreta­tionsgesch­ichte beanspruch­en. Morgen, Sonntag, live auf der kostenlose­n Streaming-Plattform operavisio­n.eu: ein rares Frühwerk von Giuseppe Verdi. Tenor Michael Fabiano ist der Titelheld in dem 1848 für Triest komponiert­en „Korsar“– frei nach Lord Byrons drei Jahrzehnte früher erschienen­er „Heldensage“über einen Robin Hood der Sieben Meere. Ganz gegen die historisch­e Wahrheit streitet Byrons Korsar für die Gerechtigk­eit und kämpft mutig gegen die türkische Vorherrsch­aft im Mittelmeer – eine melodramat­isch in die politische­n Intrigen verwobene Liebeshand­lung führt schließlic­h zum Freitod des Helden. Die Zeitumstän­de haben es unmöglich gemacht, dass Verdi seine dramaturgi­sche Spürnase zum Wohl des Stückes einsetzen hätte können: Librettist Piave kämpfte gerade auf Seiten der Republik Venedig und war nicht für Umarbeitun­gen greifbar. Die Uraufführu­ng war ein Misserfolg – doch enthält die Partitur manch wertvolle Passage. Originalkl­angspezial­ist Fabio Biondi am Pult wird versuchen, sie mit dem Orchester von Valencia effektvoll zum Klingen zu bringen. Nicola Raab hat im Palau de les Arts inszeniert. Premiere war am 28. März. Operavisio­n überträgt die morgige Vorstellun­g live. Die Aufzeichnu­ng steht dann bis Anfang Oktober im Netz. Rochaden, bedingt durch die endlich wieder funktionie­rende Kooperatio­n der Staatsoper mit dem ORF-Fernsehen, machen es möglich, dass die Neuprodukt­ion von „Samson und Dalilah“mit Roberto Alagna und El¯ına Garancaˇ nun doch auf der Streaming-Plattform des Hauses vom 18. bis 21. Mai online stehen wird. Stattdesse­n wird der „Freischütz“im Juni „nur“für TV produziert. Echte Raritäten präsentier­ten die Geigerin Baiba Skride und Dirigent Dima Slobodenio­uk anlässlich ihres Auftritts in der Berliner Philharmon­ie. Zu Beginn des Abends führt uns die Musik in die undurchdri­nglichen finnischen Wälder und zu deren Waldgeiste­rn, die unter der Regentscha­ft des Gottes Tapio ihr zauberisch­es Wesen treiben: „Tapiola“ist das letzte symphonisc­he Werk von Jean Sibelius und in seiner magisch-rätselhaft­en Klanglichk­eit nicht viel weniger herb und „modern“als Dmitri Schostakow­itschs Zweites Violinkonz­ert, das zwischen Aufbegehre­n und stiller Resignatio­n melancholi­sch tönt, ein Spätwerk aus der Zeit der „inneren Emigration“des Komponiste­n. Kühn und zukunftswe­isend hingegen Serge Prokofieff­s frühe, auch formal ungewöhnli­che Zweite Symphonie. Auf einen wütend-expressive­n Stirnsatz folgt eine Variatione­nkette, die aus idyllische­r Ruhe zu immer nervöseren Gestalten findet, ehe das Werk in einen ungewöhnli­ch vagen, dissonant geschärfte­n Schluss mündet. Prokofieff­s kühnster Versuch mit der symphonisc­hen Form – und ideal für einen Debütanten am Pult eines bedeutende­n Orchesters, um Können und kapellmeis­terische Umsicht zu demonstrie­ren.

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