Der Gründungsvater der Republik
Karl Renner. Er stand an der Wiege der Ersten und der Zweiten Republik. Aber auch an der Bahre der Ersten. Nun wollen die Neos seinen Ringstraßenteil umbenennen. Eine gute Idee?
Barbara Prammer war Österreichs erste Nationalratspräsidentin, sie war Frauenministerin und stellvertretende Bundesparteivorsitzende der SPÖ, von 1999 bis 2006 war sie Nationalratsabgeordnete, davor Landtagsabgeordnete in Oberösterreich. Das ist nicht nichts.
Allerdings: Karl Renner spielt da schon noch einmal in einer anderen Liga. Er stand an der Wiege der Ersten Republik und der Zweiten Republik. Er ist, wenn man so will, der Gründungsvater der Republik Österreich. Ohne ihn ist weder deren Entstehung noch deren Wiedererstehung denkbar.
Karl Renner stand jedoch auch an der Bahre der Ersten Republik. Nicht ganz vorne, aber doch. Zum einen 1933. Mit einem taktisch motivierten Schachzug, der zum Eigentor wurde – und zwar gleich für die ganze Demokratie in diesem Land. Renner wollte eine Abstimmung gewinnen, trat als Nationalratspräsident zurück, um als einfacher Abgeordneter mitstimmen zu können, löste damit eine Kaskade weiterer Rücktritte aus und ebnete so Engelbert Dollfuß den Weg zum Staatsstreich. Zum anderen 1938. Als er „freudigen Herzens“bekundete, für den Anschluss Österreichs an Deutschland zu sein.
Vor allem Letzteres hat die Neos nun dazu bewogen, die Umbenennung jenes Teilstücks der Wiener Ringstraße zu fordern, das nach Karl Renner benannt ist. Die Innenstadt-Neos wollen stattdessen lieber einen „Barbara-Prammer-Ring“.
Woher rührte Renners „Anschluss“-Begeisterung? Ein Nazi war der Sozialdemokrat über Nacht jedenfalls nicht geworden. Eine Erklärung dürfte in seiner Biografie liegen. Eine andere in der Entstehungsgeschichte seiner Partei. Denn viele Vertreter der österreichischen Sozialdemokratie waren deutschnational eingestellt gewesen: Sie wollten ein demokratisches Deutschland, das auch Österreich umfassen sollte. Eine große sozialistische Republik. Sie strebten den Anschluss an Deutschland 1918 selbst an. Jener, den Hitler vollzog, hat sie von dieser Sehnsucht aber geheilt.
Karl Renner ist 1870 in Untertannowitz in Südmähren geboren und aufgewachsen. Der Nationalitäten- und Sprachenstreit seiner Zeit hat auch ihn nicht unbeeindruckt gelassen. Untertannowitz war deutsches Siedlungsgebiet. Die Spannungen mit der tschechischen Mehrheitsbevölkerung dürf- ten in ihm nachhaltig Spuren hinterlassen haben. Später unterstützte und rechtfertigte er die Annexion des Sudetenlandes durch NS-Deutschland.
Wobei Renner schon auch am Habsburgischen Vielvölkerstaat hing. Er hätte ihn gern erhalten – so schwebte ihm eine „Donauföderation“vor. Sein unbeschwertes Verhältnis zum Kaiserhaus brachte ihm immer wieder Kritik vom linken Flügel seiner Partei ein. Renner schrieb neben zahlreichen rechtssoziologischen Schriften auch ein Buch zur Nationalitätenfrage: „Staat und Nation“.
Karl Renner war in keine sozialdemokratische Familie hineingeboren worden. Seine Eltern waren Weinbauern. Deren Schicksal machte ihn zum Sozialdemokraten. Die landwirtschaftliche Krise jener Zeit führte dazu, dass das Elternhaus versteigert werden musste, Vater und Mutter verarmten. Auch mit der Kirche brach der Sohn deshalb: „Die persönliche Gottesvorstellung erlitt Schiffbruch in den Katastrophen meines Vaterhauses.“
Karl Renner konnte dennoch das Gymnasium besuchen, danach in Wien Jus studieren. Und er wandte sich in Theorie und Praxis der Sozialdemokratie zu. Er war zu seiner Zeit der namhafteste Vertreter der Rechten in der Sozialdemokratie, sein Antipode auf der Linken war Otto Bauer. Renner war 1920 für einen Verbleib in der Regierung, Bauer für die Opposition. Renner war ein bedingungsloser Befürworter der parlamentarischen Demokratie, Bauer war der Sozialismus wichtiger und er kokettierte auch mit einer „Diktatur des Proletariats“.
Wobei Renner schon immer wieder einmal über das Ziel hinausschoss – auch das ist ein weiterer Kritikpunkt der Neos –, wenn er den Kapitalismus und seine Schattenseiten mit dem Judentum assoziierte. In Parlamentsreden sprach er von „jüdischen Bankiers“und geißelte das „jüdische Großkapital“. Restitution nach 1945 lehnte er ab.
Im Neos-Antrag zur Umbenennung ebenfalls auf der Schattenseite geführt werden Karl Renners „schmeichlerische Briefe“an den „Hochverehrten Genossen Stalin“nach dem Zweiten Weltkrieg. Allerdings könnten gerade diese – und das passt dann doch ganz gut zu den vielen Paradoxien im Leben und Wirken des Karl Renner – Österreich die Demokratie und die Freiheit gesichert haben. Als der Kampf um Wien im April 1945 noch tobte, bot sich Karl Renner der Sowjetunion als Führer einer provisori- schen österreichischen Regierung an. „Was? Der alte Verräter lebt noch immer?“, soll Stalin amüsiert gefragt haben, als er davon in Kenntnis gesetzt wurde. (Es gibt dieses Zitat auch noch in der Version mit „alter Fuchs“und „alter Gauner“).
Renner schrieb dem „Hochverehrten Genossen Stalin“dann einen schmeichelhaften Brief („Das Vertrauen der österreichischen Arbeiterklasse insbesondere in die Sowjetrepublik ist grenzenlos geworden. Daß die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist unfraglich und bedarf keiner Betonung“) – und wurde von diesem mit der Regierungsbildung beauftragt. Damit waren Fakten geschaffen, denn Renner arrangierte sich auch mit den West-Alliierten – und die Austro-Kommunisten hatten das Nachsehen. Eine Volksfront-Regierung sollte es hier nicht geben. Die KPÖ wurde lediglich in eine Koalitionsregierung aus SPÖ und ÖVP mitaufgenommen. Kanzler wurde Karl Renner. Nach der Nationalratswahl im Dezember 1945 übernahm dann Leopold Figl das Amt. Und Renner wurde Bundespräsident.
Karl Renner war auch der erste Kanzler der Ersten Republik gewesen. Der pragmatische, volksnahe Sozialdemokrat schien prädestiniert dafür. Und er stellte sich auch selbst in die erste Reihe. Den Gesetzesentwurf zur neuen Staatsform hatte er verfasst, dieser wurde am 12. November 1918 in der provisorischen Nationalversammlung angenommen. „Es gibt wohl kein zweites historisches Beispiel dafür, dass es ein und demselben Mann zweimal vergönnt und auferlegt war, eine solche Leistung zu vollbringen“, so Norbert Leser, der rote Parteihistoriker.
Renner führte die österreichische Delegation bei den Friedensverhandlungen in St. Germain an. Und dichtete den Text zur Nationalhymne „Deutschösterreich, du herrliches Land“. Das Land durfte dann aber offiziell nicht Deutsch-Österreich heißen. Sondern Republik Österreich.
Die schmachvolle, ungerechte Behandlung in St. Germain, die Bestätigung des für ihn schmerzhaften Verlusts der sudetendeutschen Gebiete an die Tschechoslowakei dürften bei seinem Ja zum „Anschluss“eine Rolle gespielt haben. Der Selbstschutz sicher auch – Renner ersparte sich so die Emigration. Und wahrscheinlich hoffte er auf diesem Wege auch, seinen jüdischen Schwiegersohn zu schützen.
Karl Renner also. Viel Licht. Und einiges an Schatten. Ob das eine Umbenennung rechtfertigt, mag der Leser selbst beurteilen.