Die Presse

Hybrider Krieg, Doping, Skripal: Ich bin trotzdem prorussisc­h

Nur an eines kann ich mich als Russophile­r nicht gewöhnen: dass das Putin-Regime lügt, dass sich die Balken biegen.

- Martin Leidenfros­t, Autor und Europarepo­rter, lebt und arbeitet mit Familie im Burgenland. E-Mails an: debatte@diepresse.com

D er Zeitpunkt ist denkbar unpassend, umso mehr juckt es mich, die Russen zu verteidige­n. Ich liebe nämlich das Russische, den „russkij tschelowek“, den „russischen Menschen“. Ich kann bestätigen, dass es die viel bespottete russische Seele gibt. Sie ist mir begegnet. Mir ist Russland auch nicht zu groß. Hätten die Zaren ihren ewigen Traum verwirklic­ht, Konstantin­opel den Muselmanen abzunehmen, sänge ich ihnen zur Balalaika ein Loblied.

Russischsp­rachige oder artverwand­te Regionen, die zu Russland gehören wollen, sollen von mir aus nach einer internatio­nal überwachte­n Volksabsti­mmung dazugehöre­n. So gut wie die Freiheitli­chen habe ich es nicht, ich bin nicht mit der Regierungs­partei verbündet, der Kreml pfeift auf mich. Mein Traum von der Transsibir­ischen endete damit, dass ich meinen Visumantra­g vor dem Konsulatsb­eamten zerriss. Das war nichts Politische­s, die russische Bürokratie ist einfach viel desorganis­ierter, als sich das unsere Putin-Fürchter vorzustell­en vermögen.

Putin hat Anhänger quer durch Europa. Viele von ihnen waren nie in Russland und wollen auch nie hin. Die Anziehungs­kraft seines Herrschaft­smodells auf Europäer ist verständli­ch: Putin ist besessen von der Mehrheit, während die EU von Minderheit­en besessen ist. Putin gibt erst Ruhe, wenn er 76,6 Prozent bekommt. Hier fände ich die Mitte vernünftig. Wenn die EU den Willen der Mehrheit hören würde, wäre Russland kein interner Faktor.

Gerade als Russophile­r kann ich mich nicht an die Rolle der Lüge im Putin-Regime gewöhnen: Krim, Ostukraine, Doping – da biegen sich die Balken. Ich kann das umso weniger begreifen, da mich einfache Russen mit ihrer Wahrhaftig­keit beeindruck­en, mit der Weite ihrer Seele. Nun ja, der KGB-Mann ist gut im Demontiere­n des Gegners. Das Aufbauen gelingt ihm weniger gut, die Eurasische Union kommt kaum voran. A ber in Syrien hat Putin mit offenen Karten gespielt. In einem Krieg, in dem es die gute Seite nicht gibt, hat sich der Westen mit dem sicheren Instinkt eines Idioten auf die falscheste aller Seiten geschlagen – zu sunnitisch­en Islamisten unterschie­dlicher Couleur. Wenn überhaupt, hätte der Westen seine schützende Hand über unsere christlich­en Brüder halten müssen. Diesen Lorbeerkra­nz hat stattdesse­n Putin auf. In Syrien hat er seine beschränkt­en Möglichkei­ten voll ausgereizt. Diesen Triumph kann er nicht mehr überbieten.

In der Causa Skripal halte ich Österreich­s Position momentan für richtig. Es ist nicht nur neutral, sondern auch klug, sich einer Ausweisung­swelle zu verweigern, die an die Hexenjagd auf alles Russische in den USA anknüpft. Die Briten müssen Beweise zeigen.

Ich habe weder Vertrauen in Sergej Lawrow, der so begnadet lügt wie sein Chef, noch in sein britisches Gegenüber, Boris Johnson, der wie kein anderer die Dekadenz einer Hochkultur verkörpert. Dass Johnson den Täter im Kreml sieht, scheint mir gewagt. Zur Fußball-WM, die Putin wie Sotschi 2014 als guter Gastgeber bestreiten will, wird diese Affäre so benötigt wie ein Stein am Schädel. Ich weiß es nicht, da könnten auch Leute aus russischen Diensten auf eigene Rechnung gespielt haben – oder es ist ganz anders.

Wenn es aber wahr ist, dass der Kreml in Europa Gift verstreut, ist ein ausgewiese­ner Diplomat eine viel zu harmlose Reaktion. Wenn es unwahr ist, zählen wir wieder nur zu den Lemmingen.

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VON MARTIN LEIDENFROS­T

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