Wen kümmert schon Demokratie: Verharmlosung, „bis es zu spät ist“?
Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright warnt vor der Gleichgültigkeit autoritären Tendenzen gegenüber in Europa und in den USA.
Es wird auf das Ausmaß des Wahlsiegs von Viktor Orban´ am Sonntag in Ungarn ankommen, ob sein Konzept der „illiberalen Demokratie“bestätigt wird oder einen Dämpfer erhält. In jedem Fall wird das Ergebnis die internationale Diskussion über den Zustand der Demokratie, wie wir sie kennen, beflügeln.
Diese Diskussion wurde in den vergangenen Monaten auffallend intensiviert – weniger in Österreich. Schließlich hat hier das Volksbegehren „Demokratie Jetzt!“2013 nur blamable 65.000 Unterschriften und damit nicht einmal die Schublade im Parlament erreicht. Schließlich wurde es damals von der ÖVP mit dem Bemerken negiert: „Demokratie interessiert doch niemanden.“
Schließlich konnte Vizekanzler Heinz-Christian Strache erst im Jänner dieses Jahres beim FPÖ-Frühschoppen verkünden, wenn er es mit absoluter Mehrheit könnte, würde er es „wie Orban´ machen“– ohne dass dies irgendjemanden besonders empört hätte. Hält man eine solche Aussage – und etliche Vorfälle im Dunstkreis der ÖVP-FPÖ-Regierung in den vergangenen Monaten – für völlig inakzeptabel oder gar gefährlich, hat man schnell den Ruf, hysterisch überall antidemokratische Absichten zu wittern.
Meist kommt es dann zum Streit um die Frage, soll man überall einen möglichen Angriff auf die liberale demokratische Ordnung, der man sich verpflichtet fühlt, sehen – oder sich die Aufregung für später aufsparen, falls es wirklich gefährlich werden sollte? Es ist schwer, zwischen den Aufgeregten und den Verharmlosenden einen Ausgleich zu finden. Einigen kann man sich höchstens darauf, dass die Gefährdung der Demokratie in Europa und in den USA so nicht zu erwarten war.
Auch wenn in Österreich kaum jemand an der Diskussion darüber interessiert scheint, so wird das Thema so bald nicht von der Tagesordnung verschwinde. Jüngst erregten die Publikation der US-Autoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt „How Democracies Die“und das neueste Buch der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright „Fascism: A Warning“großes Aufsehen. Bevor nun wieder der antiamerikanische Reflex einsetzt: Albright ist gebürtige Tschechin.
Ein großes Hindernis in jedem nüchternen Diskurs über die Gefahren für unsere Demokratie ist immer der Totschlagvorwurf, man wolle die jetzige Situation in Österreich mit den 1930er-Jahren und dem Aufstieg des Nationalsozialismus vergleichen. Nichts wäre dümmlicher. Deshalb ist der große Nachteil in Albrights Ausführungen auch der Begriff „Faschismus“. Wenn man aber in dem Satz „Lasst den Faschismus nicht unbemerkt, bis es zu spät ist“durch „Lasst antidemokratische Tendenzen nicht unbemerkt . . .“ersetzt, ist er auf das Hier und Jetzt in Österreich anwendbar. Auch ihre Warnung, die „kleinen Schritte“könnten unbemerkt bleiben, „bis es zu spät ist“, trifft zu.
Soll man sich nun über zweifelhafte Personalentscheidungen, brutale Umfärbungen, jede Schwächung einer Institution, jeden Angriff auf Medien, jeden überzogenen Ausbau des Überwachungsstaats aufregen oder nicht?
Die einzige Möglichkeit, Schaden abzuwenden, ist Wachsamkeit; auch wenn sie andere nervt; auch wenn sie den momentanen Machthabern nicht passt; auch wenn die Gefahr nicht vom Faschismus droht, sondern „nur“von autoritären Strukturen; auch wenn jemand glaubt, die schäbige Behandlung von Minderheiten oder die Einschränkung von Freiheiten ginge ihn nichts an; auch wenn diese Wachsamkeit im Moment nicht mehrheitsfähig ist.
Wann kann es „zu spät“sein? Man weiß es nicht. Wann werden sich die kleinen Teile, die man beunruhigt wahrnimmt, plötzlich zu dem großen Bild einer autoritären Ordnung zusammenfügen? Das hängt von vielen Faktoren ab. Darf man aber deshalb wegschauen, so tun, als wäre Demokratie nicht mehr als ein Urnengang ohne Wahlbetrug? In diese Falle sind schon andere Länder getappt. Zurzeit steht sie in Budapest.