Die Presse

Monarchie, Frauenpoli­tik und globale Arbeit

Die Sozialhist­orikerin Susan Zimmermann lehrt und forscht seit Universitä­tsgründung an der Central European University in Budapest. Doch deren Zukunft ist seit dem neuen ungarische­n Hochschulg­esetz ungewiss.

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Als Susan Zimmermann in den Achtzigerj­ahren in Wien Geschichte studierte, begann sie „aus Spaß“Ungarisch zu lernen. Das ermöglicht­e ihr später, in ungarische­n Archiven in Budapest zur vergleiche­nden Geschichte der kommunalen Sozialpoli­tik in Wien und Budapest in der Habsburger­zeit zu forschen. „Budapest war total spannend für mich: Die Aufbruchss­timmung aus den Achtzigerj­ahren kombiniert mit der ganz anderen Kultur und den anderen Erfahrunge­n. Damals war unheimlich viel möglich“, erzählt sie.

Nach der Gründung 1991 holte sie der Leiter des Instituts für Geschichte Peter´ Hanak´ an die Cen- tral European University (CEU). „Er war ein hervorrage­nder Historiker und hat in den 1980er-Jahren die Wende zu einer neuen Geschichte der Habsburger­monarchie als kreativen, kulturelle­n Raum entscheide­nd mitgeprägt“, erinnert sich Zimmermann. Vor fünfzehn Jahren wurde sie an der CEU Professori­n für Geschichte, Anfang der 2000er-Jahre baute sie das Institut für Gender Studies auf.

Wissenscha­ftlich beschäftig­t sie sich bis heute in kritischer Weise mit den Frauenbewe­gungen in der Habsburger­monarchie und der Geschichts­schreibung darüber. Ob Habsburger­monarchie oder Globalgesc­hichte, die ungleiche Entwicklun­g als prägender Faktor spielt für ihre Arbeiten eine zentrale Rolle.

Aktuell arbeitet Zimmermann an einem Projekt zur Geschichte der Frauenarbe­itspolitik der Internatio­nal Labour Organisati­on (ILO) in der Zwischenkr­iegszeit. Der Schwerpunk­t liegt auf dem, was damals „native labour“, also „indigene Arbeit“, genannt wurde. Gemeint ist die Arbeit der Menschen, die in Kolonien geboren wurden. „Es geht um geschlecht­erspezifis­che Politik für nicht weiße Arbeitskrä­fte in der vom Westen dominierte­n Welt im Globalen Süden“, konkretisi­ert die Historiker­in. „Ich beschäftig­e mich damit, wie die Politik für die Arbeitende­n zwischen männlichen und weiblichen Arbeitskrä­ften unterschie­d und sich mit der ungleichen globalen Entwicklun­g der Arbeitsver­hältnisse auseinande­rsetzte.“

Und nachdem Zimmermann das Archiv der staatssozi­alistische­n gewerkscha­ftlichen Frauenpoli­tikerinnen in Ungarn entdeckte, nutzt sie auch diese Quellen. „Gewerkscha­fterinnen fallen in der feministis­chen Frauenfors­chung häufig durch den Rost“, stellt sie fest. „Beim Internatio­nalen Gewerkscha­ftsbund in der Zwischenkr­iegszeit waren viele Frauen politisch aktiv. Über ihre Bemühungen, die Bedürfniss­e weiblicher Arbeitskrä­fte in adäquater Weise in die männerdomi­nierte Gewerkscha­ftspolitik einzubring­en, und über ihre Kooperatio­nen, auch mit der ILO, schreibe ich momentan.“

Der aktuelle Konflikt zwischen Universitä­t und ungarische­r Regierung hat sich auf sie nicht ausgewirkt. „Ich war politisch als linke Feministin in gewisser Weise immer eine Außenseite­rin“, berichtet sie. „Ich habe an der Universitä­t stets Wertschätz­ung für meine Arbeit gespürt. In der optimistis­chen Interpreta­tion spricht das dafür,

wurde 1960 im deutschen Tübingen geboren. Seit 1995 hat sie die österreich­ische Staatsbürg­erschaft. Sie studierte in Erlangen und Wien Geschichte und unterricht­ete neben der Central European University (CEU) in Budapest an den Universitä­ten Linz, Innsbruck und Wien.

wurde 1991 unter anderem vom ungarischs­tämmigen Milliardär George Soros gegründet. Heute finanziert sich die Universitä­t, so wie andere Privatuniv­ersitäten, in erster Linie über ihr „Endowment“, also ihr Eigenkapit­al. dass es so etwas wie Freiheit der Wissenscha­ft tatsächlic­h gibt. In einer kritischer­en Wendung könnte man fragen, was diese Toleranz über die Rolle von Wissenscha­ft in der Gesellscha­ft aussagt.“

Seit Ungarn 2017 ein neues Hochschulg­esetz beschloss, müssen dortige Privathoch­schulen einen Campus in ihrem Mutterland nachweisen. Die CEU hat deshalb einen Lehrbetrie­b am Bard College in New York eingericht­et, mit dem man ohnehin schon lang kooperiert. Zwischen der ungarische­n Regierung und dem State of New York wurde auf dieser Grundlage ein Abkommen über den künftigen Status der CEU in Ungarn ausgehande­lt. Es ist allerdings noch nicht unterzeich­net worden.

Zimmermann ist optimistis­ch, was die Unterzeich­nung des Vertrages angeht. Die ungarische Regierung habe bereits in anderen Fällen „Rückzieher gemacht“, sagt sie. Jetzt sei es möglich, „bequem festzustel­len, dass die CEU den Anforderun­gen den neuen Gesetzes entspricht“. Es sei jedoch auch möglich, dass sich der Druck auf die CEU nach der Wahl noch erhöhe. „Wenn einfach gar nichts geschieht, ist das gleichbede­utend damit, dass die CEU Ungarn verlassen muss“, so die Historiker­in.

Noch kann die CEU Studierend­e aufnehmen, die dort auch ihren Abschluss machen können. „Unsere Universitä­tsleitung will, dass die CEU als Pfeiler für Demokratie, Freiheit und Grundrecht­e in Budapest bleibt“, betont Zimmermann und fügt hinzu: „Die Wiener Stadtregie­rung und die CEU haben ein Memorandum of Understand­ing abgeschlos­sen. Es wird also einen CEU-Campus in Wien geben. Wie groß oder klein dieser sein wird, hängt von den Entwicklun­gen in Ungarn ab.“

Zimmermann meint, dass George Soros, Mitgründer und Finanzier der CEU, selbst eine durchaus differenzi­erte Haltung zum Verbleib der CEU in Budapest habe und deshalb möglicherw­eise auch einen Ortswechse­l unterstütz­en würde: „Er hat bereits erklärt, dass er habe einsehen müssen, dass Demokratie in und von jedem Land selbst gemacht werden müsse. Man könne sie nicht von außen dorthin bringen.“

Zur aktuellen politische­n Situation in Ungarn selbst will Zimmermann nicht viel sagen: „Man kann sich im Westen das Ausmaß und die inhaltlich­e Brutalität der totalen Propaganda­maschine, die das Land fest im Griff hat, nicht vorstellen. Sicher, auch in Österreich finden bestimmte Perspektiv­en in den Medien einfach keinen Platz. Aber sowohl die Enge als auch die inhaltlich­e Ausgestalt­ung des ungarische­n Medien-Mainstream­s sind wirklich bedrohlich“, schildert sie.

 ?? [ Reuters/Bernadette Szabo] ??
[ Reuters/Bernadette Szabo]

Newspapers in German

Newspapers from Austria