Wie Meinung gemacht wird
In ihrer ausgezeichneten Dissertation „Fifty Shades of Opinion“untersuchte die Anglistin Leitartikel in Qualitätsmedien verschiedener Länder.
Edward Snowden und der NSA-Skandal haben niemanden kaltgelassen. Ist der Aufdecker ein Held oder ein Verräter? Gut oder böse? Schwarz oder weiß? So einfach lassen sich Fragen rund um den im Jahr 2013 aufgeflogenen Datenmissbrauch nicht beantworten – das hat Melanie Kerschner in ihrer Dissertation gezeigt. „Fifty Shades of Opinion“heißt der Titel ihrer Arbeit, in der die junge Wissenschaftlerin der Frage nachging, wie die Aktivitäten des Whistleblowers in unterschiedlichen Ländern von Meinungsmachern in Qualitätszeitungen bewertet wurden. Die Dissertation wurde mit dem Förderpreis der Gesellschaft für Angewandte Linguistik ausgezeichnet.
„Ich wollte immer etwas Mehrsprachiges machen“, erzählt Kerschner, wie sie zu ihrem Thema kam. Die gebürtige Oberösterreicherin hat an der Uni Salzburg Anglistik und Romanistik studiert. Ihr Interesse gilt der Medienkultur und der Soziolinguistik. „Gibt es in unterschiedlichen Medienkulturen unterschiedliche Meinungsdiskurse?“, war der Ausgangspunkt ihrer Forschungsarbeit: Was erwarten die Leserinnen und Leser in ihren Ländern von ihren Kommentatoren? Der NSA-Skandal, der in allen Ländern stark polarisierte, war für sie das ideale Thema, um diese Fragen genauer zu untersuchen.
„Ich habe zwar viele Analysen zu Nachrichtentexten in Zeitungen gefunden, zu Kommentaren und Leitartikeln – also zum Meinungsdiskurs – gibt es aber kaum Untersuchungen“, berichtet Kerschner. Diese Lücke wollte die Wissenschaftlerin mit ihrer Arbeit schließen. Anhand von Leitartikeln ging sie der Frage nach, wie das Verhalten des Whistleblowers, der NSA-Skandal und die generelle Debatte über Massenüberwachung damals von den einzelnen Medien bewertet wurden. Insgesamt 45 Leitartikel aus den britischen Zeitungen „The Guardian“und „The Independent“, den deutschen Medien „Frankfurter Rundschau“und „Die Welt“sowie den italienischen Zeitungen „Corriere della Sera“und „La Stampa“hat sie ausgewertet.
Zuerst musste die junge Wissenschaftlerin aber ein Modell dafür entwickeln. „Am Anfang stand die Frage, wie man Meinung überhaupt ausdrücken kann“, erzählt die gebürtige Oberösterreicherin: „Dabei geht es darum, wie man Meinungsäußerung linguistisch objektiv messen kann.“Sie suchte nach Kriterien, wie Meinung stilistisch ausgedrückt wird. Welche rhetorischen Mittel werden verwendet? Wird die Meinung direkt oder indirekt formuliert? Kerschner hat vier Rollen von Teilnehmern am Diskurs herausgefiltert, die sie sich anhand der linguistischen Kriterien genauer angesehen hat: Wer hat den Text geschrieben? Für welche Leser ist der Text bestimmt? Wer sind die Nachrichtenakteure, also jene Personen, die im Text vorkommen? Wer wird im Text als Quelle für Informationen angegeben? An diesem Punkt kann man etwa ablesen, ob es neutrale oder wertende Quellen sind, die als Basis für einen Kommentar herangezogen werden. Bei den Nachrichtenakteuren macht es einen großen Unterschied, ob über konkrete Personen oder anonyme Massen geschrieben wird. „In Italien werden die Nachrichtenakteure oft mit Wertungen verbunden, die Texte sind viel emotionaler als beispielsweise in Deutschland oder Großbritannien“, nennt Kerschner einen Unterschied, der ihr aufgefallen ist.
Geht es um die Rezipienten, dann hat die Anglistin u. a. darauf geachtet, wie persönlich der Autor den Leser anspricht. Wird in Deutschland in Leitartikeln ein „Wir“verwendet, hat das eher einen verbindenden, inkludierenden Charakter. In Großbritannien dient das „Wir“eher dazu, die eigene Gruppe von jener mit anderer Meinung abzugrenzen, hat die Wissenschaftlerin festgestellt. In deutschen Leitartikeln wird die Meinung sehr klar und deutlich ausgedrückt, in britischen Medien setzt man auf indirekte Formulierungen. Die britischen Kommentatoren halten tendenziell Distanz zum Leser, die italienischen Journalisten sprechen den Leser hingegen sehr unmittelbar an.
Trotz vieler Unterschiede der Medienkulturen gibt es auch Gemeinsamkeiten. So wird quer durch alle Länder eher das Negative aufgegriffen – egal, ob man für oder gegen Snowden argumentiert hat.
ist gebürtige Linzerin. Sie hat an der Uni Salzburg Anglistik und Romanistik (Italienisch) studiert. Ihre Dissertation „Fifty Shades of Opinion: Culturally Induced Style Differences in the Opinion Discourse of British, Italian and German Quality Papers“erschien 2017 im Praesens-Verlag. Sie unterrichtet an der Uni Linz und der Pädagogischen Hochschule OÖ und arbeitet am Forschungsprojekt „Persuasionsstile in Europa“mit.