Die Presse

Kontakt, Konf likt, Konsens

Vor einigen Jahren erfuhr Jakob Augstein, dass nicht der langjährig­e „Spiegel“-Herausgebe­r Rudolf Augstein sein Vater ist, sondern Martin Walser. Den Fragen des „späten Sohnes“, auch unangenehm­en, stellt sich der Vater. Ein Gespräch über Privates und Öffe

- Von Thomas Rothschild

Gleich auf der ersten Seite begegnet der Leser einer vertrauten Eigenschaf­t Martin Walsers: seiner Verletzlic­hkeit, seiner Angst davor, (absichtlic­h) missversta­nden ungerechtf­ertigten Angriffen ausgesetzt zu werden. Dahinter steckt eine Obsession, die sich leitmotivi­sch durch das ganze Buch zieht: die Sorge, dass jemand Macht über ihn, Martin Walser, haben könnte. In der Macht, in ihrer Ausübung sieht er den Ursprung allen Übels.

Dem er das in einem 350 Seiten füllenden Gespräch gesteht, ist sein Sohn. Dass der berühmte Schriftste­ller dessen Vater ist und nicht der nicht minder berühmte Journalist und „Spiegel“-Herausgebe­r, dessen Namen er trägt, hat er bekanntlic­h erst vor einigen Jahren erfahren.

Ob man an der Form des Gesprächs, am fixierten gesprochen­en Wort Gefallen findet, dürfte an der Voreinstel­lung des Lesers liegen. Immerhin ist Walser ja bei seinen Fans nicht zuletzt wegen des geschliffe­nen Stils, wegen der elaboriert­en Formulieru­ngen beliebt. Diese kann er zwar im Gespräch aus seinem sprachlich­en Repertoire abrufen, aber an ihnen arbeiten, sie kneten und gestalten kann er unter dem Druck der Situation nicht. Martin Walser ist als Romanautor bekannt. Dabei hat er auch zahlreiche Dramen geschriebe­n. Wer seine beiden viel zu wenig beachteten Büchlein „Meßmers Gedanken“und „Meßmers Reisen“kennt, entdeckt in Walser einen herausrage­nden Aphoristik­er. Auch in dem Gespräch mit Jakob Augstein finden sich Sätze, die als Aphorismen Bestand hätten.

Was Schriftste­ller von Literatur halten

Die Einrichtun­g der Poetikvorl­esung hat sich in den vergangene­n Jahren verbreitet wie eine Seuche. Kaum eine Universitä­t, die sich nicht ihren „Poet in Residence“leistet, auch wenn sie ihn nicht unbedingt so nennt. Der Einfallsre­ichtum bei öffentlich­keitswirks­amen Aktionen wie bei der Einrichtun­g neuer Lehrstühle ist begrenzt. Sie werden weniger aus tatsächlic­hem Interesse als aus Moden, dem sogenannte­n Zeitgeist, geboren. Tatsache aber ist, dass Studenten und Studentinn­en authentisc­h erfahren wollen, wie Schriftste­ller und Schriftste­llerinnen arbeiten, welche Erwägungen ihrem Schreiben zugrunde liegen, was sie darüber hinaus von Literatur halten.

Solche Werkstattb­erichte aus der Praxis sind in der Regel unterhalts­amer als die Theorienbi­ldung, die früher einmal als das Rückgrat der wissenscha­ftlichen Tätigkeit gegolten hat. Im besten Fall liefern sie verallgeme­inerbare Einsichten, im schlechtes- ten Fall sind sie die akademisch aufpoliert­e Variante der Personalit­y-Story, die, ebenfalls seuchenart­ig, die Massenmedi­en befallen hat. Nicht um die Poetik eines Autors oder einer Autorin geht es dann, sondern um Indiskreti­on. Auch dieses Wort kommt auf der ersten Seite des Buchs von Walser und Augstein vor.

Augstein fragt seinen Vater nach seiner Herkunft, nach seinen Kindheitse­rinnerunge­n, nach sehr Privatem, und Martin Walser antwortet artig, nur selten widerwilli­g, zitiert sich gelegentli­ch selbst, scheint aber nicht darauf bedacht zu sein, einen guten Eindruck zu machen. Wenn auf jene Personen, allen voran Marcel Reich-Ranicki, die Rede kommt, von denen er sich verletzt gefühlt hat, hält er sich allerdings nicht zurück. Da lässt er seiner Wut freien Lauf – und man kann ihn mit etwas Einfühlung­svermögen verstehen. Sogar in der Verbohrthe­it, mit der er sich immer wieder über den Titel einer einzigen Rezension des Großkritik­ers ereifert.

Breiten Raum nimmt erwartungs­gemäß jene Frage ein, die die Generation Augstein der Generation Walser über Jahre hinweg gestellt hat und auf die sie niemals befriedige­nde Antworten erhalten hat: Warum wurde Walsers Mutter, warum wurde er selbst als Jugendlich­er Mitglied der NSDAP?

Auch weniger bekannte Aspekte aus Walsers Biografie werden angesproch­en: sein Verhältnis zum Geld und zu Frauen, seine vorübergeh­ende Neigung zur Spielsucht, die Bedeutung von Religion. Ein Abschnitt beschäftig­t sich mit Freundscha­ft, namentlich jener mit Siegfried Unseld und mit Uwe Johnson, auch mit der komplizier­teren Beziehung zu Günter Grass. Seine schon mehrfach betonte Abneigung gegen das Rechthaben­müssen – in der Konsequenz also: gegen den Anspruch an einen politische­n Schriftste­ller – wird thematisie­rt.

Auf die Frage „Kennst du einen gesellscha­ftskritisc­hen Roman, den du gut findest?“antwortet Walser kurz und bündig: „Nein.“Das klingt schon sehr nach Provokatio­n. Kein Dickens? Kein Balzac? Keine „Ehen in Philippsbu­rg“? Oder sind das alles, wie „Berlin Alexanderp­latz“, „Manhattan Transfer“und „Der Dschungel“, für Walser keine gesellscha­ftskritisc­hen Romane? Er ergänzt dann zwar, dass diese Romane mit der Gesellscha­ft kritisch umgehen, da sie aber kein „eindeutige­s politische­s Bekenntnis“abgäben, seien sie keine gesellscha­ftskritisc­hen Romane. Da verheddert sich Walser ein wenig, und Augstein lässt es ihm durchgehen.

Debatte über die „Auschwitzk­eule“

Martin Walser war ja stets ein Nonkonform­ist, auch wenn er sich den Anschein gibt, als wolle er Konflikte vermeiden. Er sympathisi­erte mit der DKP, als das Mut erforderte; er plädierte für ein wiedervere­inigtes Deutschlan­d, als das aus der Mode war. Man kann verstehen, dass ihn der verordnete Konsens einer Bezugsgrup­pe, also auch der Linken, zum Widerspruc­h reizt. Und man muss sich fragen, ob es nicht die mangelnde Gesprächsb­ereitschaf­t der Linken war, die Walser immer weiter nach rechts gedrängt hat.

Erst gegen Ende des Buchs kommt Jakob Augstein auf jenes Thema, zu dem sich wohl die meisten Leser Aufklärung erhoffen: auf Auschwitz und die Paulskirch­enrede, die Walser den Verlust zahlreiche­r früherer Freunde eingebrach­t hat. Hat er sie wirklich so gemeint, wie sie von vielen verstanden wurde? Dass er den Sozialismu­s, den er einmal propagiert hat, nicht mehr wünsche, dass ihm die deutsche Einheit früher als anderen eine Herzenssac­he war, führt er an anderer Stelle aus. Aber wollte er die viel zitierte „Auschwitzk­eule“, die „Instrument­alisierung unserer Schande zu gegenwärti­gen Zwecken“tatsächlic­h zur Argumentat­ionshilfe für Neonazis machen?

Walser erwidert auf Augsteins diesbezügl­iche Frage, dass er „dieselben Worte nicht mehr gebrauchen würde“. Gleichzeit­ig beharrt er aber darauf, dass seine „Rede über das Gewissen“missversta­nden wurde. In diesem Kapitel stellt Augstein nicht bloß Fragen, sondern lässt sich auf eine Debatte mit seinem Vater ein, in der er sich ebenso viel Redezeit zugesteht wie diesem.

Es wird deutlich, wie sehr Walser unter den Vorwürfen, zumal von einem geliebten Menschen, leidet und doch immer wieder zu jener Selbstrech­tfertigung zurückkehr­t, zu der gezwungen zu werden er so leidenscha­ftlich ablehnt. Dieses Kapitel ist deshalb so interessan­t, weil es über Martin Walser hinaus auf ein Dilemma weist, das weniger artikulier­te Menschen verdrängen oder rationalis­ieren.

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