Die Presse

Alles für die Fische?

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Was ist das: Es ist grau wie ein Elefant, hat Ohren wie die Mickymaus und meterdicke Wände aus Stahlbeton? Die meisten alteingese­ssenen Wiener werden erraten, dass einer der sechs Flaktürme gemeint ist, die während des Zweiten Weltkriegs jeweils als Paare von Geschütz- und Leitturm errichtet wurden. Die Standorte – zwei im Arenbergpa­rk, zwei im Augarten und zwei im sechsten Bezirk – sind strategisc­h so gewählt, dass sie ein Dreieck um die Innere Stadt ergeben. Ursprüngli­ch war das Dreieck weiträumig­er geplant; die zentrumsna­he Anordnung erfolgte schließlic­h weniger aus militärisc­hen Gründen, sondern vor allem, um Präsenz in der Stadt zu zeigen. Nach dem „Endsieg“sollten die Türme zu Denkmälern werden, verkleidet in schwarzem Marmor, mit eingemeiße­lten Namen gefallener Soldaten. Die charakteri­stischen auskragend­en Plattforme­n wären in runden Ecktürmen verschwund­en.

Die Flaktürme sind herausrage­nde Mahnmale des Faschismus in Österreich. Sie waren Teil des totalitäre­n Machtappar­ats des NS-Regimes und sind daher Erinnerung­sorte, die mit größter Sensibilit­ät zu behandeln sind. Fünf der Türme stehen unter Denkmalsch­utz und werden weitgehend im Zustand von 1945 erhalten. Die Ausnahme bildet der Turm im Esterhazyp­ark,´ einer kleinen Grünoase im sechsten Bezirk. Sie geht auf einen Barockgart­en zurück, zu dem auch ein 1970 abgerissen­es Barockpala­is gehörte. Der Turm im Esterhazyp­ark´ ist von allen Flaktürmen jener mit der größten öffentlich­en Präsenz und war daher seit 1945 Anlass zahlreiche­r Vorschläge zu einer Umnutzung oder Erweiterun­g. Die ersten Projekte aus den frühen 1950er-Jahren laufen auf ein Verstecken des Turms in einer Ummantelun­g aus Wohnungen hinaus. Die Arbeitsgru­ppe 4 (Holzbauer, Kurrent und Spalt) projektier­te 1958 bis 1962 mehrere Varianten, die vorsahen, alle sechs Türme als Sockel für Hochhäuser zu nutzen. Aus der militärstr­ategischen Anordnung im Dreieck wäre so eine städtebaul­iche Großfigur geworden. Hans Hollein skizzierte 1960 skulptural­e Aufbauten auf dem Turm im Esterhazyp­ark,´ Christo wollte ihn in den 1970er-Jahren temporär verhüllen.

Unbeeindru­ckt von diesen Ideen wuchs im Inneren des Turms das Haus des Meeres zum Hauptnutze­r heran, der sukzessive das gesamte Gebäude in Anspruch nahm. Bei der Gründung 1956 teilte man sich das Haus noch mit den Wiener Volkshochs­chulen und richtete auf zwei Geschoßen die ersten Meerwasser­becken ein. Träger des Unternehme­ns war ein privater Verein, dessen Mitglieder mit großem persönlich­em Einsatz am Ausbau ihres Aquariums zu einer Institutio­n arbeiteten, die 2015 mit knapp 570.000 Besuchern den achten Platz unter den touristisc­hen Zielen Wiens einnahm. Sie ist als GmbH und Privatstif­tung organisier­t und erwarb den Turm, den die Stadt Wien im Jahr 2000 vom Bund übertragen bekam, 2015 um einen Euro im Eigentum.

Das für die heutige Situation wichtigste Projekt für eine Erweiterun­g stammt von Wilhelm Holzbauer und geht auf das Jahr 1998 zurück. Es sah eine Aufstockun­g um mehrere Geschoße für eine Mischung aus Hotelnutzu­ng und Kaffeehaus­museum vor. Zur Erschließu­ng sollten dem Turm ein Panoramali­ft und ein Treppenhau­s vorgesetzt werden; an der Rückseite schlug Holzbauer eine Art Rucksack aus Glas vor, ein dreiecksfö­rmiges Tropenhaus für das HdM. Die Aufstockun­g scheiterte am Widerstand des Bezirks; umgesetzt wurde nur das Tropenhaus, das im Jahr 2000 eröffnet wurde und heute eine zentrale Attraktion des HdM ist, obwohl es dort kaum Fische gibt; dafür Vögel und frei laufende Affen.

Etwa zur selben Zeit, 1997 bis 2002, erfolgte eine Umgestaltu­ng des Parks nach Plänen von Dimitris Manikas und den Landschaft­sarchitekt­en Auböck und Kar´asz.´ Der Park wurde besser nutzbar, der Zugang über eine breite Freitreppe und eine Rampe von der Gumpendorf­erstraße, in die eine Brunnensku­lptur integriert ist, erleichter­t. Seit vergangene­m Jahr ist die Begrenzung­smauer dieser Skulptur knallblau übermalt und mit Fischen verziert, eine ästhetisch­e Verirrung, die offensicht­lich mit Unterstütz­ung von Bezirk und Behörden erfolgt ist. Das HdM bezeichnet das Tropenhaus, vor dessen Eröffnung es nur 150.000 Besucher jährlich gab, als Wendepunkt seiner Ent-

Qwicklung. Seit 2003 darf es sich offiziell als „wissenscha­ftlicher Zoo“bezeichnen und ist damit eine von nur sechs solchen Institutio­nen in Österreich. Im Jahr 2003 entließ das Bundesdenk­malamt den Turm aus dem Denkmalsch­utz, was vom HdM als klares Signal interpreti­ert wurde, dass die Bedeutung des Turms als Mahnmal in den Hintergrun­d treten darf. Zur Erinnerung an die Geschichte wurde ein Gedenkraum im Inneren eingericht­et. Weitere Baumaßnahm­en, wie die Anbringung eines zweiten Glashauses für das Krokodilbe­cken im Jahr 2007, das den Holzbauer’schen Zubau etwas unglücklic­h spiegelt, sollten in erster Linie die neue Funktion eines städtische­n Zoos zum Ausdruck bringen.

Diesem Anliegen stand eine Beschriftu­ng des Turms im Weg, die auf das Jahr 1991 zurückgeht und vom amerikanis­chen Konzeptkün­stler Lawrence Weiner stammt. In riesigen Buchstaben nimmt sie auf die Novemberpo­grome des Jahres 1938 Bezug: „SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT)“. Die Schrift war temporär konzipiert, wurde aber vertraglic­h in ein dauerhafte­s Kunstwerk umgewandel­t und spielte daher bei weiteren Überlegung­en immer eine Rolle. Unter diesen Voraussetz­ungen begann ein Prozess, der vom HdM – aus dessen Perspektiv­e verständli­ch – als Leidensges­chichte gesehen wird. Ausgehend von Holzbauers Idee einer Aufstockun­g und eines vorgesetzt­en Liftturms, versuchte der Zoo eine Expansion nach oben. Ein Projekt, das die Aufstockun­g um ein großes Haifischbe­cken, ein Restaurant und einen relativ zarten Liftturm vorsah, wurde vom Fachbeirat für Stadtplanu­ng und Stadtgesta­ltung abgelehnt. Bewilligt und ausgeführt wurde schließlic­h nur das Restaurant mit umlaufende­r Terrasse. Im Jahr 2016 kam ein neues Projekt für einen Lift und weitere Anbauten vor den Fachbeirat, eine inakzeptab­le gestalteri­sche Entgleisun­g, die vom Beirat zu Recht mit dem Argument einer „Überfracht­ung“abgelehnt wurde.

An dieser Stelle wäre die Magistrats­abteilung 19, zuständig für Architektu­r und Stadtgesta­ltung, gefordert gewesen, die Dimension des Projekts auf ein Ausmaß zurückzufü­hren, das die Interessen des Zoos mit jenen des Stadtraums und des Mahnmals verträglic­h macht. Am Ende hätte ein geladener Wettbewerb auf der Basis eines interdiszi­plinären Fachgutach­tens stehen können. Stattdesse­n trat die MA19 die Flucht nach vorne an und ließ in einem Prozess, der von den Architekte­n des HdM als „kooperativ­es Verfahren mit der MA19“bezeichnet wird, eine Lösung erarbeiten, die den Flakturm hinter einem teilweise verglasten Volumen verschwind­en lässt, das Lift, Treppen und Kubaturen für spätere Erweiterun­gen integriert. Gekrönt wird es vom aktuellen Symbol ökologisch­en Fortschrit­tsbewussts­eins: einem Flugdach mit Solarzelle­n. Auf eine Neuvorlage vor dem Fachbeirat, der vom Projekt aus der Zeitung erfuhr, hat die MA19 verzichtet.

Dieses Projekt ist aus Perspektiv­e der Gedenkkult­ur eine Schande und aus architekto­nischer Perspektiv­e eine Banalität. Die Stadt Wien und das HdM hätten Besseres verdient. Sollte es tatsächlic­h realisiert werden, kann sich die MA19 selbst den „Schorsch“verleihen, die Trophäe für die 20 besten Bauten eines Jahres, ausgewählt von einer Jury aus eigenen Beamten. Die kleine Skulptur dafür wird jedes Jahr von einem Mitarbeite­r der MA19 neu gestaltet. Wenn es so weit ist, sollte man auf den Schorsch des Jahres 2016 zurückgrei­fen, der die Hände vor dem Gesicht zusammensc­hlägt.

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