Schweinchen, hast du Töne!
DWer traf wen? Um welches Musikstück handelte es sich? Welche Musiker hat die Komposition inspiriert?
Qas Konzert ist ausverkauft, die Pariser strömen in die Oper. Der Programmzettel verspricht ein eher neues Werk, das seit knapp zwei Jahren für Furore sorgt. Sehr zum Erstaunen des Komponisten, der mit diesem Erfolg nicht gerechnet hat und beobachtet, wie sein Stern heller leuchtet denn je. Und so sitzt er an jenem Sonntag im Saal, um ein weiteres Mal mitzuerleben, wie das Publikum rast. Am Pult steht ein italienischer Dirigent, der dem New York Symphonic Beine macht und das Orchester, dem er schon eine Weile vorsteht, in einem Affentempo durch den Abend jagt. Die Zuhörer folgen ihm atemlos und belohnen ihn und die Musiker mit donnerndem Applaus.
Sehr zum Missfallen des aufgebrachten Komponisten. Er ist entsetzt über das Tempo, in dem sein Stück, das er ursprünglich als Ballett konzipiert hat, dargeboten wird: Man hat damit seine Wirkung vollends ins Lächerliche gezogen. Also sucht er sich Gehör zu verschaffen. „Ich bin der Komponist“, schreit er, „dieses Schwein hat zu schnell gespielt! Unverzeihlich, man hat alles ruiniert!“Und weil er so wütend ist über diese Vergewaltigung seiner Partitur, stürmt er hinter die Bühne und dringt in die Garderobe des Dirigenten ein.
Der ist verdutzt. Er ist kein Anfänger, der sich maßregeln lassen muss. Im Gegenteil: Im verschlafenen Parma geboren, hat er seine Heimat verlassen, um eine Weltkarriere zu starten. Inzwischen leitet er die bedeutendsten Orchester seiner Tage. Sein Stil ist anerkannt, seine Interpretationen haben Gewicht. Entsprechend pikiert ist er, als ihm vorgeworfen wird, er habe das markante Crescendo eigenmächtig überdreht. Ein harscher Wortwechsel zwischen den Männern folgt: „Sie haben sich nicht an meine Tempobezeichnung gehalten!“– „Wenn ich das getan hätte, hätte das Stück keine Wirkung gehabt.“– „Gut, dann spielen Sie es einfach nicht.“– „Sie haben ja keine Ahnung von Ihrer eigenen Musik.“
Die Beleidigung sitzt. Der solcherart verletzte Komponist rauscht ab. Doch die Affäre ist damit noch nicht zu Ende. Kurz darauf, in diesem immer noch prächtigen Frühling des Jahres 1930, erreicht den Dirigenten ein Brief aus Paris. Was darin steht, ist nicht überliefert. Nur so viel: Versöhnliches ist es wohl nicht.