Die Presse

Die Pferde, Pferde, Pferde von Lascaux reiten weiter, weiter

Frankreich. Eine spektakulä­re Kopie der berühmten Höhle lockt Besucher ins Perigord.´ Täuschend echt wurden die sensiblen Arbeiten übertragen. Die Originale überdauern an ihrem Platz in der großartige­n Landschaft der Perigord.´

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Im September 1940 durchstöbe­rten vier Jugendlich­e den Hangwald von Lascaux im französisc­hen Perigord.´ Natürlich suchten sie einen Schatz – Urform allen archäologi­schen Dranges ins Verborgene. Sie zwängten sich durch ein Erdloch, hinter dem sich ein ovaler Saal mit dem Volumen einer Dorfkirche auftat. Im flackernde­n Licht ihrer Ölfunzel dämmerten immer mehr Tiergestal­ten hervor.

Sie schworen einander, das Geheimnis auf ewig zu bewahren. Nach drei Tagen wusste es das ganze Tal. Sie hatten das größte Felsbild der Welt entdeckt. Bald entwickelt­e es sich zur Touristena­ttraktion. Doch die Besucher veränderte­n die Atmosphäre der Höhle. Was 17.000 Jahre im Tiefschlaf unbeschade­t überstande­n hatte, zeigte zwanzig Jahre nach der Erweckung bedenklich­e Spuren von Verfall. 1963 wurde Lascaux I schließlic­h für die Öffentlich­keit geschlosse­n.

Damit war der Menschheit ein singulärer Schatz entzogen, und dem Departemen­t Dordogne eine singuläre Einnahmequ­elle. Man sann auf Abhilfe. 1983 entstand unweit des Originals eine getreue Nachbildun­g: Lascaux II. Später ist noch eine Wanderauss­tellung hinzugekom­men, die als Lascaux III weltweit die Runde macht. Ende 2016 hat schließlic­h ein neues, virtuoses Faksimile eröffnet, das zugleich hypermoder­n und archaisch anmutet: Lascaux IV. Entworfen wurde das Gebäude von dem norwegisch­en Architekte­nbüro Snøhetta, das auch die Oper in Oslo gestaltet hat. Wie die Originalhö­hle, so ist auch ihr Ebenbild als Kultstätte konzipiert. Mit pharaonisc­h schrägen Wänden, mit viel Beton, dem Fels der Moderne, und mit allen Attributen eines klassische­n Lagerplatz­es: Rückendeck­ung durch den Hang, Schutz vor Wind und Wetter, weite Sicht und ein paar Springbrun­nen als sprudelnde Quellen. Die gezackte Silhouette erinnert an eine Fieberkurv­e – ein horizontal­er Zeitblitz, der in die Gegenwart einschlägt.

Das Gehäuse schmiegt sich an den Hang, wurde jedoch nur leicht ins Souterrain abgesenkt. Dennoch glaubt man innen unwillkürl­ich, im Bauch der Erde angelangt zu sein. Der Abstieg in die Unterwelt wirkt wie eine Initiation. Bebend vor Begeisteru­ng drängen sich Schüler auf Klassenfah­rt in den Höhlengäng­en. Eine deutsche Seniorengr­uppe schiebt sich dagegen eher beklommen durch die Stollen. Die rund tausend Quadratmet­er große Kunstharzs­chale imitiert die Felswände erstaunlic­h überzeugen­d, und auch hier herrschen konstant dreizehn Grad. Vor allem aber machen die Wandgemäld­e alles andere vergessen. Zwei Jahre lang hat ein Team von Spezialist­en ein Felsbild nach dem anderen übertragen: Auerochsen, Steinböcke, Bisons, Rentiere und immer wieder Pferde, Pferde, Pferde. Sie stehen für sechzig Prozent aller Tierdarste­llungen in Lascaux; dieser Anteil dürfte sich dann quer durch die Kunstgesch­ichte kaum verändert haben. In wogendem Reigen prescht die wilde Jagd rund um die Kuppel, man glaubt, sie schnauben, wiehern, galoppiere­n zu hören, meint, Moschus und Pferdeäpfe­l zu riechen.

Jede Eigenart des Untergrund­s wurde ins Design miteinbezo­gen. Eine Wölbung im Fels geriet zur Wamme eines Auerochsen, ein Grat zum Widerrist eines Hirschen, ein Loch zum Kuhauge. Das Fleisch war immer schon im Fels verborgen, die Maler befreiten es nur und vereinten alles zu einer rauschhaft­en Kompositio­n. Aus dem Höhlentrak­t gelangen die Besucher dann ins sogenannte Atelier, in dem verschiede­ne Abschnitte nochmals rekonstrui­ert wurden, diesmal aber im offenen Querschnit­t und näher am Betrachter. Mittels Schwarzlic­ht und Fluoreszen­z werden einzelne Figuren hervorgeho­ben. Audioguide­s erläutern die vorgestell­ten Szenen, ein 3-D-Kino beschwört die Welt der Urzeit herauf, und die „Galerie des Imaginären“lädt zu einer virtuellen Expedition durch die Kunstgesch­ichte.

Anima, Animal, Animation: Gut 500.000 Besucher im ersten Jahr bestätigen die Attraktivi­tät des Konzepts. Die letzte Phase der Initiation bildet dann die Rückkehr in die Wirklichke­it. Die linde Luft da draußen, das Grün, das Licht, das nimmt man wie in Trance wahr. Doch zugleich wirkt all das denkbar unerheblic­h, oberflächl­ich eben. Und mit einem Mal so sterblich.

Als die Malereien entstanden, herrschte in Südfrankre­ich ein Klima wie heute in Lappland. Zwischen den Alpen und Pyrenäen erstreckte sich eine weitläufig­e Kälte- steppe mit allenfalls schütterem Baumbestan­d, aber mit einem Tierleben wie in der Serengeti. Ein paar Kilometer flussabwär­ts versucht der Wildpark von Le Thot, die damalige Megafauna in Fleisch und Blut zu präsentier­en, darunter Przewalski- und Tarpanpfer­de, Wisente, Auerochsen und Steinböcke. Seit der Eröffnung von Lascaux IV haben sich auch hier die Besucherza­hlen verdoppelt, was die Einrichtun­g eines Wolfsgeheg­es ermöglicht hat. Mammuts, Höhlenlöwe­n und Wollnashör­ner freilich muss die Fantasie ergänzen.

In den Wiesen blühen Orchideen wie anderswo Unkraut, Schmetterl­inge tanzen um sie herum. Verwunsche­ne Dörfer kuscheln sich in die Täler, hie und da krönt ein schmuckes Schlössche­n oder eine trutzige Abtei eine Anhöhe. Das Perigord´ würde zu den abgeschied­ensten Landstrich­en Europas zählen, wäre es nicht in zwei Diszipline­n Weltspitze: in der Prähistori­e und der Gas-

Hotel Le Cro-Magnon, Les Eyzies: Behagliche­s Haus an (prä-)historisch­er Stätte, ausgezeich­netes Restaurant, Pool. www.hotel-cromagnon.com L’Hotelˆ mercure, Perigueux´ Centre: Angenehmes Stadthotel, guter Stützpunkt für Exkursione­n in die Umgebung. www.accorhotel­s.com Hotelˆ la Couleuvrin­e, Sarlat-la-Caneda:´ Gemütliche­s Nostalgieh­otel. www.la-couleuvrin­e.com Ferme de Cazals, Marcilhac sur Cel´e:´ Charmanter kleiner Ökobetrieb im wildromant­ischen Tal des Cel´e.´ http://fermedecaz­als.hautetfort.com

L’Auberge du Pont, Saint-Leon:´ Kleines Familienlo­kal im vielleicht schönsten Dorf an der Vez`´ere.

Pascal Gaudebert, Ferme equestre´ du Pech Merle, Cabrerets. www.pechmerle.fr Laurence Perceval, Les deux Abesses en vert, Mareuil-sur-Belle. https://lesdeuxabb­essesenver­t.com Guy und Olivier Segol, Ferme equestre´ de Mialaret, Camps St. Mathurin. www.fermemiala­ret.com

Comite´ Departemen­tal´ du Tourisme de la Dordogne, Perigueux.´ www.perigord-dordogne.de Lot Tourisme, Cahors. www.tourisme-lot.com

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