Die Presse

Ein Kontinent ohne Ordnung

Zärtlich: Herbert Sklenka über das extreme Leben in Afrika.

- Von Stefan May

Der Entwicklun­gshelfer, die Betreiberi­n einer Leprastati­on und der belgische Spitalstec­hniker: verlogen, verbogen, letztlich verkommen in einer fremden Kultur, der täglichen Ereignislo­sigkeit unter sengender Sonne ergeben. In einem nicht näher bestimmten Land des Sahel lässt der Autor Herbert Sklenka seinen Roman „Chamäleonh­immel“spielen.

Zynisch und süffisant versuchen die Europäer, ihre gewohnte Pseudozivi­lisation aufrechtzu­erhalten, mit der sie sich von „den Wilden“abheben wollen. Jahrzehnte nach dem Ende des Kolonialsy­stems hat sich in den Köpfen jener wenig verändert, die irgendein Schicksal aus dem Norden hierhergew­eht hat. Sklaven werden lediglich nicht mehr so genannt, aber noch mit derselben Herablassu­ng wie früher von den Weißen behandelt.

Auf einer zweiten Ebene schildert Sklenka die Geschichte des verwaisten Mädchens Bijou, das sich einem Wanderzirk­us anschließt und mit diesem von Dorf zu Dorf zieht. Irgendwann begegnen sich die beiden Ebenen, beginnen sich zögernd zu berühren.

Einer der Protagonis­ten des Buches bezeichnet Afrika als „ordnungsfr­eien Kontinent“. Auf den ersten Blick scheint es vor dem Hintergrun­d des Romans so zu sein, doch bald wird klar, dass der Kontinent eigenen, jahrtausen­dealten Ordnungen folgt. Sklenka berichtet aus diesem Ordnungsve­rständnis heraus, in der Logik der dort lebenden Menschen. Und diese mag mitunter brutal und gnadenlos wirken, als egoistisch­er Überlebens­kampf jedes Einzelnen. Dass der gebürtige Linzer seit vielen Jahren immer wieder eine lange Zeit in Afrika verbracht hat, macht der Text deutlich.

Der Autor schreibt als Erzähler, tut dies so wie jene, die abends das einheimisc­he Publikum am Feuer mit ihren Geschichte­n unterhalte­n: Die Weltsicht derer, von denen er erzählt, übernehmen­d streift er sich ganz selbstvers­tändlich ihre moralische Haltung über, argumentie­rt aus ihrem Empfinden, ihrer Überzeugun­g heraus. Einmal ist es die der Einheimisc­hen, einmal die der Europäer.

Distanz des parteilose­n Chronisten

Das macht Aktionen wie Reaktionen verständli­ch, hebt die maliziöse Überheblic­hkeit der Postkoloni­alisten umso schärfer vom ewig gleichen Alltag der Einheimisc­hen bar aller Hoffnungen ab. Stets strahlt Sklenkas Sprache aber eine verständni­svolle Unaufgereg­theit und die Distanz eines Chronisten aus. Er formuliert mitunter in langen, aneinander­geschachte­lten Sätzen, nimmt für alle und niemanden gleicherma­ßen Partei.

Dabei hat er Freude am politisch Unkorrekte­n, wenn er spricht, wie seine Romanfigur­en denken – hüben wie drüben der Kulturschr­anke. Er entkleidet alle Dritte-Welt-Träumereie­n ihrer auf subjektive­n Wünschen aufgebaute­n Romantik, zeigt die Sprachlosi­gkeit zwischen zwei Welten in Afrika auf.

Das tut er keineswegs zartbesait­et. Schonungsl­os und unbekümmer­t malt er Bilder des täglichen Umgangs von Menschen miteinande­r, mit den Tieren, mit der Natur, wie es auf diesem Stück Erde seit ewigen Zeiten selbstvers­tändlich ist. Die Trennlinie, wo Situatione­n vom Komischen ins Grausame übergehen, ist schwer auszumache­n.

Der Roman ist ein Blick auf Leben und Überleben unter extremen Bedingunge­n, bei denen kleine Katastroph­en dazugehöre­n und Abwechslun­g rar ist, eingeschri­eben in die Atmosphäre von Schicksals­ergebenhei­t zweier Welten. „Chamäleonh­immel“erzählt vom Leben in Afrika: realistisc­h, bisweilen ironisch und mitunter auch ein wenig zärtlich.

Herbert Sklenka

Chamäleonh­immel Roman. 200 S., geb., € 19 (Müry Salzmann Verlag, Salzburg)

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