Vierter Sieg für Orban´ fast sicher
Ungarn. Der Erfolg ist der Regierungspartei Fidesz kaum zu nehmen. Die Frage ist, ob es für die Absolute reicht. Denn die Wähler sind überdrüssig und die Opposition taktiert.
Die Unzufriedenheit in Ungarn ist groß, aber das ist sie eigentlich immer. Magyaren sind selten wirklich zufrieden mit „denen da oben“. Und es gibt genügend Menschen, denen Ministerpräsident Viktor Orban´ nach acht Jahren an der Macht zum Hals heraushängt. Besonders Jugendliche finden ihn einfach nur noch uncool. Auch die Hürde für einen vierten Sieg des Amtsinhabers ist hoch: Orban´ braucht eine absolute Mehrheit, um zu regieren. Denn koalieren will niemand mit ihm.
Dennoch – der Politiker, der bereits drei Amtszeiten hinter sich hat, kann die Parlamentswahlen am Sonntag nur dann verlieren, wenn alle Meinungsumfragen ganz danebenliegen. Doch das ist reine Spekulation, die verfügbaren Zahlen sprechen klar eine andere Sprache: Die Schätzungen der Meinungsforscher geben der Regierungspartei Fidesz durchschnittlich 41 bis 43 Prozent der Stimmen. Bei einem „Ausreißer“nach oben liegt Fidesz bei 46 Prozent.
Höhere Wahlbeteiligung schadet Fidesz
Die Schätzungen basieren allerdings auf der Annahme, dass die Wahlbeteiligung zwischen 62 und 68 Prozent liegen wird. Eine höhere Teilnahme dürfte ein schlechteres Ergebnis für Fidesz bedeuten. Diese Werte beziehen sich auf die Listenwahl, die aber nur über 93 der insgesamt 199 Wahlmandate entscheidet. 106 Mandate werden in den Wahlkreisen in einer einzigen Abstimmungsrunde direkt vergeben. Man kann also mit weniger als 40 Prozent der Stimmen gewinnen – vorausgesetzt, die anderen Bewerber haben noch weniger.
Damit spekuliert die Opposition: In manchen Bezirken haben sich zumindest die fünf linken und liberalen Parteien auf einen einzigen gemeinsamen Kandidaten geeinigt, doch das bleibt die Ausnahme. Absprachen dieser Art sind bis zum Vorabend der Wahl möglich und könnten, wenn es in letzter Minute zu vielen davon kommt, das Ergebnis zum Nachteil der Regierungspartei beeinflussen. Der Unsicherheitsfaktor ist, wie weit die Bereitschaft unter Linken und Liberalen geht, aus wahltaktischen Gründen mit der rechten Jobbik zu kooperieren. Offiziell halten sich hier alle Seiten bedeckt.
„Überschüssige“Stimmen der siegreichen Direktkandidaten – das sind jene Stimmen, die sie für einen Sieg nicht benötigen – werden den Wahllisten ihrer Parteien gutgeschrieben. Es ist ein Mehrheitswahlsystem, das den Sieger noch stärker macht. Insofern dürften 41 bis 43 Prozent für Fidesz für eine absolute Mehrheit der Mandate reichen.
Über Inhalte wurde im Wahlkampf eigentlich nur bei den linken und liberalen Parteien gesprochen. Fidesz hat nicht einmal ein Programm, und Orban´ hat kein einziges Wahlversprechen abgegeben. Das bedeutet, dass er im Falle eines Sieges ein sehr freies und flexibles Mandat bekäme. Er konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Flüchtlingspolitik.
Die Opposition konzentrierte sich vorwiegend auf das Thema Korruption. Daneben spielte das zu zentralisierte, zu strenge und zu leistungsschwache Bildungssystem eine Rolle, außerdem die Renten und die Gesundheitspolitik. In Ungarns alternder Gesellschaft gibt es immer weniger Ärzte, gleichzeitig aber immer mehr Kranke.
Die einzige Oppositionspartei, die gut abschneiden könnte, ist den Schätzungen zufolge die rechte Jobbik. 2014 erhielt sie 20,5 Prozent der Stimmen. Die aktuellste Schätzung des regierungsnahen Institutes Nezöpont´ gibt Jobbik 22 Prozent. Das linke und liberale Lager hat ein Potenzial von 25 Prozent, ist aber in fünf Parteien gespalten. Die Grünen (LMP) könnten am Wahlabend mit sieben bis acht Prozent durchs Ziel gehen.
Sollte das Wunder passieren und die Opposition die Wahlen gewinnen, wäre die Folge die Unregierbarkeit, weil niemand eine eigene Mehrheit hätte. Die rivalisierenden Parteien haben angekündigt, dass sie im Falle eines Sieges nur das Wahlsystem ändern wollten, dann aber gleich Neuwahlen ausrufen würden.
Entspannung mit Deutschland
Im Falle des – wahrscheinlichen – Sieges von Viktor Orban´ ist offen, was er vorhat. Einige Hinweise gibt es allerdings. Mehrere hochrangige Quellen signalisieren, dass er die Entspannung mit Deutschland suchen wird. Das soll sich auch in der Zusammensetzung seiner Regierung niederschlagen.
Zugeständnisse in der Flüchtlingspolitik sind nicht zu erwarten, aber wirtschaftspolitisch und in der Haltung gegenüber Russland und den USA könnte Orban´ die Maxime ausgeben: „Deutschland, voran, wir folgen dir.“Sein großes Ziel: Berlin soll sich im Verbund mit Österreich für das finanziell solide Ostmitteleuropa als strategischen Partner entscheiden – als Gegengewicht zu Frankreich und den verschuldeten Südeuropäern.
In der Europapolitik würde ein Sieg Orbans´ bedeuten, dass es weniger Unterstützung für den Abbau nationalstaatlicher Kompetenzen in der EU gäbe. Er würde aber selektiv „mehr Europa“befürworten, etwa beim Grenzschutz, bei Abschiebungen oder in der Verteidigungspolitik.