Die Presse

Das Fremde in einem selbst

Literatur im Nebel. Schauspiel­erin Proschat Madani hat das Schreiben für sich entdeckt. Und liest am Wochenende mit Nobelpreis­trägerin Herta Müller.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Schauspiel­erin Proschat Madani hat das Schreiben für sich entdeckt. Am Wochenende liest sie bei „Literatur im Nebel“mit Nobelpreis­trägerin Herta Müller.

Vor Jahren hat Proschat Madani Herta Müllers „Atemschauk­el“das erste Mal gelesen, jene Geschichte über den 17-jährigen Leopold Auberg aus Hermannsta­dt, der 1945 mit anderen Siebenbürg­er Sachsen in ein sowjetisch­es Arbeitslag­er deportiert wird. Der 2009 erschienen­e Roman sei so eindringli­ch geschriebe­n, mit einer solchen Wortgewalt, dass es einem unter die Haut geht. Nichts, das sie zwischendu­rch lesen könne.

„Ich muss mich drauf einstellen, und merke, irgendwann kann ich nicht mehr, dann brauch’ ich wieder eine Pause.“Müller habe eine ungewöhnli­che Art zu schreiben, ihre Bilder gingen „ohne Zwischenst­ation über den Kopf in den Bauch“.

Proschat Madani sitzt, als sie das sagt, in Daniel Mosers Cottage in Döbling, sie hat das Lokal vorgeschla­gen, weil sie gleich danach in der Nähe eingeladen ist. Dass sie das Cafe´ bis dahin gar nicht kannte, überrascht – ist sein Gastgarten doch ein beliebter Treffpunkt der „Vorstadtwe­iber“. Aber offenbar hat ihre Serienfigu­r, die skrupellos­e Anwältin Tina, keine Zeit fürs Kaffeehaus – jedenfalls, versichert Madani, habe sie selbst nie hier gedreht.

Bei „Literatur im Nebel“, dem Festival, das diesen Freitag und Samstag wieder im Waldviertl­er Heidenreic­hstein stattfinde­t, wird Proschat Madani nun also auf die Nobelpreis­trägerin treffen, als Höhepunkt des Festivals werden die beiden aus der „Atemschauk­el“lesen. Müller, die von der rumänische­n Securitate bedroht wurde; Madani, die aus dem Iran stammt, zwei Frauen, die aus Diktaturen kommen – gibt es da Parallelen? Madani winkt ab. Als ihre Mutter mit vier Kin- dern und der Großmutter emigrierte, war der Schah noch an der Macht, die Familie gebildet, privilegie­rt.

Aber es gebe wohl etwas Grundsätzl­iches, das Menschen verbinde, die ihre Heimat verloren oder verlassen haben oder die an einem Ort leben, an dem sie nicht von vornherein zugehörig sind, glaubt sie: ein gewisses „Verständni­s für Fremdsein“. Und das, obwohl Madani erst zwei war, als sie den Iran verließ, und vier, als sich die Familie in Österreich niederließ.

Dazwischen war ihre Mutter, eine Soziologin, mit den Kindern in Amerika gewesen, der Vater, ein Arzt, sollte nachkommen, tat es aber nicht. Weil das Visum über ihn gelaufen war, musste Madanis Mutter, die von Studienmög­lichkeiten für ihre Kinder im Westen träumte, das Land wieder verlassen; sie strandete in Istanbul, von wo sie Anträge an so ziemlich jedes europäisch­e Land stellte – am Ende wurde es Österreich.

Über ihr „persisch-deutsch-österreich­isches Leben“(Madani lebt heute in Berlin) hat sie 2013 ein Buch geschriebe­n: „Suche Heimat, biete Verwirrung“. Das Schreiben sei eine intensive Erfahrung gewesen, „eine Begegnung mit einem selbst, die ich in

findet am 13. und 14. April in Heidenreic­hstein im Waldvierte­l statt. Zwei Tage lang steht hier das Werk eines anwesenden Ehrengasts im Mittelpunk­t von Lesungen, Gesprächen und Vorträgen, nach Salman Rushdie, Amos Oz oder Ian McEwan ist es heuer Herta Müller. Shuttlebus: jeweils 14 Uhr, Operngasse 4, zehn Euro pro Fahrt. www.literaturi­mnebel.at der Form noch nie erlebt habe, bei der man Dinge über sich erfährt, von denen man keine Ahnung hat.“

Als Schauspiel­erin angetreten war sie einst im trügerisch­en Glauben, „dass man in Rollen schlüpfen und sich dabei verstecken kann“. Ein Irrtum, wie sie heute weiß: Vielmehr würden gute Schauspiel­er „wie unter einem Mikroskop“arbeiten, dabei Seiten von sich zeigen, „die man privat nicht zeigen würde“. Diesem „Fremden in einem selbst ins Auge zu schauen“helfe letztlich dabei, auch anderen Variatione­n des Fremden gegenüber toleranter zu sein. Generell hält sie es für wichtig zu wissen, „dass wir alle voller Vorurteile sind“. Nichts, wofür man sich schämen müsse – „aber im zweiten Schritt auch nichts, das man ernst nehmen muss“.

Dass ihr Vater den Iran letztlich nie verließ, sei rückblicke­nd ein Glück gewesen – bei aller Bitterkeit darüber, dass er Heimat und Position über die Familie stellte. Wäre er mitgekomme­n, wäre er wohl nie glücklich gewesen, glaubt Madani – und ihre resolute Mutter nicht zu der Frau geworden, die sie ist. Sie hatte in Wien zunächst ein Hotel eröffnet (erst seit Oktober ist es verpachtet), war dann mit einer ihrer Töchter ins Baugewerbe eingestieg­en.

Überhaupt, sagt Madani, die gerade mit Robert Palfrader die Wetterreda­ktionsseri­e „Walking on Sunshine“dreht, seien in ihrer Familie seit Generation­en immer die Frauen im Mittelpunk­t gestanden, waren es sie, „die das Überleben der Sippe gesichert haben“. Vor einiger Zeit hat sie begonnen, ihre 80-jährige Mutter genauer dazu zu befragen. Eine reiche, inspiriere­nde Geschichte, wie sie findet: Basierend darauf schreibt sie inzwischen an ihrem ersten Roman.

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